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Techniken und Superslow-Methode zur Knie-Rehabilitation

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Die meisten unserer Leser werden schon die eine oder andere größere Verletzung beim Fußballspielen erlitten haben. Weil Fußball ein Wettkampf- und Rotationssport ist, reicht eine konservative Behandlung nur selten aus, wenn Bänder oder Sehnen reißen. Darum gibt es operative Eingriffe, bei denen die Erholung respektive die Rückkehr auf den Platz enorm lange dauern.

Ich kann ein Lied davon singen – aktuell erhole ich mich von einer Kreuzband-OP. Mit ein paar sehr simplen Kniffen habe ich es geschafft, schon relativ schnell wieder eine Belastungsfähigkeit herzustellen, weshalb ich meine Vorgehensweise mit euch teilen möchte. Zuvor möchte ich aber auf die grundlegenden Aspekte einer Operation, mit Fokus auf dem Kreuzband, eingehen.

Abbau und Neuaufbau

Bei Kreuzbandrissen leidet beispielsweise der Oberschenkelmuskel enorm darunter, wegen der Operation und dem Absaugen vom entstehenden Bluterguss kann das Bein oftmals einen bis eineinhalb Tage lang gar nicht bewegt werden. Dadurch wird der Oberschenkelmuskel kaum gefordert und kann auch nicht belastet werden. Die Schläuche im Knie verhindern jegliche Bewegung. Diese Zeit sorgt bereits für einen extremen Muskelabbau (Atrophie).

Wegen der Schwellung ist auch die Funktionsfähigkeit eingeschränkt, wegen der Operation sind außerdem andere Muskelgruppen beeinträchtigt. Heutzutage werden die meisten Kreuzbandoperationen mit einer Kreuzbandplastik gemacht, wo das „neue“ Kreuzband aus einer Muskelfaser/-sehne (die Semitendinosussehne) gestellt wird.

Dies führt zu Schmerzen bei Belastung im hinteren Teil des Oberschenkels, wo sich der Großteil der Muskelsehne befand, und direkt unter dem Knie, wo der vordere Teil der Muskelsehne an das Schienbein andockte. Manchmal wird deswegen ein Teil der Patella genommen, um eine frühere Belastung herzustellen; allerdings gilt diese als langfristig weniger effektiv und sicher.

Zumeist gibt es bei beiden Operationsarten eine mehrtägige Phase, in welcher man das Bein kaum bewegen und belasten kann. Diese postoperative Inaktivitätsphase sorgt für eine weitere Muskelatrophie. Im Buch „Rehabilitation“ von Christoph Schönle  (Auflage von 2004) steht beispielsweise auf Seite 95 folgendes:

„Eine Minderbeanspruchung oder eine postoperative Teilbelastung eines Beines ruft eine Muskelatrophie hervor. (…) Der Muskelschwund kann noch über Jahre nachweisbar bleiben: Noch 1-2 Jahre nach Kreuzbandoperationen oder nach Implantation einer Knieendoprothese wurden Kraftdefizite des M. quadriceps festgestellt, während sich die Kraft der ischiokuralen Muskulatur regenerierte.“

Auf der gleichen Seite geht es interessant weiter:

„Die völlige Ruhigstellung eines Gelenkes (Gips, Schiene oder auch nur Lagerung im Bett etc.) hat eine Reduktion der Eiweißsynthese des Muskels und einen beschleunigten Abbau des Muskeleiweißes zur Folge. (…)Nach 6-wöchiger Immobilisation ist die elektrische Aktivität des M. quadriceps um 79% vermindert.

Vor allem in der ersten Woche einer Immobilisation tritt ein her Verlust der Muskelkraft auf. Schon am ersten Tag der Immobilisation ist ein Verlust der mitochondrialen Kapazität zu verzeichnen. Die Hälfte des zu erwartenden Verlustes der Muskelmasse erfolgt zwischen dem 2. und 9. Tag: Hier wird ein messbarer Kraftverlust von 1-6% pro Tag angenommen.“

Weiters wird in diesem Buch noch ausgeführt, dass die oxidativen Typ-1-Fasern betroffen sind, weil diese einen höheren Eiweißumsatz und mehr oxidative Enzyme benötigen, wodurch sie abhängiger von einer adäquaten Sauerstoffversorgung sind. Der Muskel wird also nicht nur schwächer, sondern auch langsamer.

Es stellen sich also drei große Fragen:

  • Wieso wird natürliches Gewebe genommen, wenn es dadurch Nebenwirkungen in der Muskulatur und mehr Schmerz gibt?
  • Wie kann man das bekämpfen?
  • Und gibt es andere Möglichkeiten, um diese Aspekte zu verkürzen?

Die erste Frage ist einfach zu beantworten.

Natürliches Gewebe heilt schneller und besser. Ist es das eigene Gewebe, erkennt der Körper das und schafft Verbindungen. Dies wird auch als Vaskularisation bezeichnet. Dadurch kommt das neue Kreuzband von der Funktion perfekt an das alte ran und ist fast gleich stark. Vornehmlich ist es, wie oben geschildert, die Muskulatur, welche langfristig darunter leidet. Die OP entfernt normalerweise auch mithergehende Meniskus- und Knorpelschäden. Genaueres zur OP  findet sich unter diesem Link.

Widmen wir uns Frage 2. Die Bekämpfung der Muskelatrophie ist relativ einfach. Der Muskel sollte möglichst früh wieder aktiviert und kontrahiert werden. Gleichzeitig sollte verstärkt Protein zu sich genommen werden, während man Omega-6-Fettsäuren meiden sollte; allerdings ist Fett nicht gleich Fett. Omega-3-Fettsäuren gelten zur Bekämpfung von Entzündungen als empfehlenswert.

Bei der Quantität der Ernährung muss beachtet werden, dass der Energieverbrauch wegen mangelnder Bewegung natürlich geringer ist. Dennoch wäre es falsch, aus Eitelkeitsgründen die Nahrungsaufnahme (drastisch) zu reduzieren. Vielmehr sollte die Ernährung verstärkt auf Proteine umgestellt werden, um eine Proteinzufuhr zum Muskel aufrechtzuerhalten, aber gleichzeitig die Kalorienmenge leicht zu senken.

Auch in der Reha sollte dies berücksichtigt werden, ebenso wie viele Vitamine und Mineralstoffe.

Bei Frage 3 kommen wir nun näher zur ursprünglichen Intention dieses Artikels. Ideal ist eine mögliche frühe und schmerzorientierte Belastung der Muskulatur (böse Zungen behaupten, Deutschland spielte früher einen schmerzorientierten Fußball). Damit wird versucht, dem Verlust von Muskulatur wegen Immobilität entgegenzuwirken. Sobald man auf Krücken gehen darf, sollte man dies auch machen und das Bein dabei leicht belasten, während die Krücken stabilisieren. Empfehlenswert ist auch eine Physiotherapie vor der Operation – zuerst lässt man sich die Schwellung punktieren (Blut und ggf. Gelenksflüssigkeit aussaugen) oder natürlich vergehen, danach macht man eine kurze, intensive Physiotherapie und geht dann mit mehr Muskulatur zur Operation.

Kevin Tipton, Professor an der School of Sport and Exercise Science der University of Birmingham, rät von einer künstlichen Hemmung von postoperativen natürlichen Entzündungen durch Schmerzmittel ab, um den Heilungsprozess nicht zu hemmen. Eine logische Konsequenz bei einem relativ frühen Verzicht auf Schmerzmittel ist ebenfalls, dass man die Schmerzgrenzen und ausführbaren Bewegungen alsbald kennenlernt, was zu einer effektiveren Physiotherapie führen kann.

Kommen wir aber nun zu dem entscheidenden Aspekt dieses Artikels – der Rehabilitation.

Worauf kommt es an und wie intensiviert man die Reha?

Zuerst: Alle Sachen sind individuell unterschiedlich und es sollte in jedem Fall der Rat des Physiotherapeuten und der Ärzte befolgt werden. Alles in allem sieht das Vorgehen aber zumeist relativ ähnlich aus.

Zu Beginn tastet man sich langsam an die Herstellung der einfachen Funktionen an. Das Knie wird, zumeist in der Vertikale stabil („Kniescheibe schaut immer nach vorne“), bewegt. Fuß nach vorne geht relativ bald relativ gut, einzig die Schwellung stört hier. Fuß nach hinten ziehen ist etwas schwerer, aber abgesehen von Problemen am Schienbeinkopf und hinten am Oberschenkel sollte es funktionieren.

Später beginnt man mit Übungen. Diese Übungen beschäftigen sich meist mit einfachen Stabilisierungen, einer Aktivierung der Muskulatur im Oberschenkel und ums Knie herum sowie gleichzeitiger Verbesserung der intramuskulären Koordination. Leichte und hohe Kniebeugen werden genutzt, Wadenheben ebenfalls, dazu Gleichgewichtsübungen auf dafür geschaffenen Platten.

Ist man über die Anfangsphase hinweg (normalerweise 3-5 Wochen), bleiben die Übungen gleich – werden eigentlich nur schwerer, länger und intensiver. Allerdings wird auch hier nach wie vor der eingeschränkten Bewegung Tribut gezollt.

Darum habe ich mir eine bestimmte Trainingsmethode überlegt.

Anleihe aus dem Bodybuilding

In der Physiotherapie geht es zu Beginn nicht um Hypertrophie (Muskelaufbau), sondern eine Rückkehr der ursprünglichen Muskulatur durch leichte Aktivierung mit einfachen Übungen und viel Stabilisationstraining. Wie erwähnt leiden die Übungen hier unter der mangelnden Beweglichkeit des Knies. Doch dies kann umgangen werden.

Im Bodybuilding gibt es unterschiedliche Übungen zur Intensivierung einzelner Trainingsübungen. „Erzwungene Wiederholungen“ sind beispielsweise unmöglich. Das Knie würde überfordert werden, die Ausführung wäre unpräzise – was an sich kein Problem wäre, aber beim noch frisch operierten Knie zu einem Riss des noch nicht perfekt in den Körper integrierten neuen Bandes führen könnte.

Stattdessen gibt es eine andere Alternative. Im Hochintensitätstraining, dem HIT, gibt es zwei große Richtungen: Heavy Duty (selbsterklärend) und Superslow. Letzteres ist insbesondere bei solchen Funktionsbeschränkungen hilfreich.

Das Prinzip ist dabei denkbar einfach. Bei der Superslow-Methode wird eine Übung enorm langsam ausgeführt, wodurch sie sehr intensiv wird. Ein Satz dauert hierbei circa 1-2 Minuten und eine Wiederholung folgt (beispielsweise) einem 8-4-8-Takt; acht Sekunden in der konzentrischen Phase, vier Sekunden am Endpunkt halten, acht Sekunden wiederum in der exzentrischen Phase.

Selbst Ausführungen in einem 4-2-4-Takt und etwas mehr Wiederholungen sorgen für Erfolge. Dies ist für Rekonvaleszente enorm praktisch, um den Druck zu verringern.

Man sucht sich eine einfache Übung, beispielsweise eine leichte Kniebeuge, und führt sie langsam aus. Durch die Langsamkeit kann sich der Patient auf die richtige Ausführung konzentrieren und sein Knie stabilisieren. Gleichzeitig kann er den Muskel intensiver fördern. Diese erhöhte Intensität belastet den Muskel stärker und führt zu – eventuell der einzig möglichen – Belastung in einem Ausmaß, die eine Hypertrophie erzeugt.

Dabei sollte man die grundlegenden Prinzipien des HIT beachten. Der Muskel sollte mit 1-2 Sätzen belastet werden. Eine Sache kann man aber ignorieren – nach der totalen Erschöpfung des Muskels sollte man ausnahmsweise keine zusätzliche, forcierte Serie machen, um das Knie zu schonen. Das Superslow-Prinzip könnte aber in der Physiotherapie bei dafür zugeschnittenen Übungen (einbeinige Kniebeugen mit stabilisierender Unterstützung) wohl zu enorm guten Wirkungen führen.

Wegen der Beanspruchung empfehle ich persönlich aber anfänglich eine „Slow“-Methode statt einer „Superslow“-Methode. Die Dauer und Intensität kann mit mehr Übung gesteigert werden. Alternativ kann man sie mit isometrischen Übungen ergänzen.

Im Selbsttest (ja, ich habe mir nur für euch das Kreuzband operieren lassen)  scheint es wie in der Einleitung erwähnt sehr gut zu klappen. Nach weniger als drei Wochen nach der OP (Kreuzbandplastik und Meniskus) bin ich im Stande die Superslow-Methode statt der verkürzten Slow-Methode anzuwenden, kann ohne Probleme schwere Einkäufe über einen Zeitraum von einer Viertelstunde schleppen oder ohne Stütze Stiegen steigen und bin dabei absolut schmerzfrei.

Persönlich nutze ich beispielsweise eine sehr einfache Übung: Eine einbeinige Kniebeuge, wobei ich den Oberkörper leicht nach vorne lehne und mich mit meinen Händen in Schulterhöhe an stabilen Gegenständen (Wand z.B.) anhalte. Ich mache diese und andere Übungen (Wadenheben z.B.) abends, um tagsüber mit einem fitten Muskel private Dinge erledigen zu können; abends wird er dann ermüdet und im Schlaf sofort erholt. Eine Trainingsintensität von 5-15 Minuten pro Tag sowie viel einfache Bewegung (Spazieren, etc.) scheinen aktuell ideal zu sein.

Alle Angaben aber ohne Gewähr und Umsetzung auf eigene Verantwortung.


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