Welcher Hobbyfußballer kennt sie nicht, diese qualvollen Runden um den Fußballplatz? Mit Tempowechseln, als Steigerungsläufe, in Intervallen oder als gemächliche Dauerfolter. Viele Trainer in den unteren Ligen sehen hierbei keinen Ausweg. Wie soll man sonst in den spärlichen zwei bis maximal vier Trainingseinheiten pro Woche seinen Spielern die nötige Kondition eintrichtern?
Manche gehen zumindest etwas „moderner“ vor. Beispielsweise wird das Aufwärmen mit Ball gemacht, die Läufe ohne Ball sind meist intensiv und kurz, um tunlichst lange Auszeiten vom Ball zu vermeiden. Viele gehen dabei sogar dazu über, dass sie ihre Spieler mit Sprints fordern, ihnen dazwischen kurze Pausen geben und quasi aktiv mit dem Ball zwischen den Einheiten zu regenerieren und bei niedrigerem Pulsschlag weiterhin an der Grundausdauer zu feilen. Die meisten nutzen die langen Winterpausen im Amateursport, um diese Grundausdauer über mehrere Wochen hinweg durch eine erhöhte Zahl an Trainings zu schaffen. Während der Saison werden dann Sprint- und Koordinationsübungen im Verbund mit Standards, Torschuss- oder Passübungen trainiert, wo man von der zuvor gelegten Basis zehrt.
Egal, wie man vorgeht – der Aspekt des Trainings mit Ball kommt oftmals zu kurz. Viele Trainer gehen dazu über, dass sie im Trainingslager Sprint- und Koordinationsübungen trainieren, unter der Saison aber selbst diese mit Ball machen. Insbesondere die Dortmunder mit Jürgen Klopp und natürlich dem Genie für Trainingsübungen, Zeljko Buvac, sind bekannt dafür und zeigen, wie erfolgreich man damit vorgehen kann. In diesem Artikel listen wir die Vor- und Nachteile auf, zeigen die Grundaspekte der Umsetzung und äußern uns auch taktisch wie philosophisch über die veränderte Trainingsauffassung.
Zeit und Aufwand
Beim Training geht es nicht nur um die Effektivität – also den maximalen Output unabhängig vom Input –, sondern auch um eine möglichst hohe Effizienz. Ob im Jugendfußball oder bei Weltklasseakteuren; bei beiden muss zwingend darauf geachtet werden, dass die Zeit am Trainingsplatz bestmöglich genutzt wird. Darum wird in der modernen Trainingsplanung versucht viele Aspekte innerhalb einer Übung zu vereinen.
„Klopp ist der Meister der Ansprache und Mannschaftsführung, Buvac der Meister der Trainingsinhalte und Strategie. Klopp ist zwar ebenfalls Fachmann, doch erst im Zusammenspiel mit seinem Co-Trainer Buvac kommen seine Fähigkeiten richtig zur Geltung.
Neben seinem analytischen Geschick zeichnet sich Buvac vor allem als Erfinder von komplexen Übungs- und Spielformen aus. Dort beweist er eine enorm kreative Ader und schafft es, 10 bis 15 Elemente aneinanderzureihen, ohne dass der Fluss verloren geht. Passspiel, Laufwege, der Abstand der Spieler zueinander, der Abschluss und all die anderen spielrelevanten Dinge können so in immer neuen Variationen durchgespielt werden.“ – im Tagesspiegel
Wie in diesem Zitat zu sehen, sind die Dortmunder in diesem Aspekt Vorreiter. Durch die Komplexität der Übung werden vielfältige Fähigkeiten trainiert und geschult. Grob vereinfacht kann man sagen: was die meisten Trainer in vielen Übungen isoliert voneinander machen, schaffen die Dortmunder (und manche andere) mit einer Übung und einem Bruchteil der Zeit. Gleichzeitig wird die Intensität der Übung erhöht. Wegen der vielen Anforderungen an den Spieler werden diese besser an das Spiel angepasst, wo sie in einer Spielsituation ebenfalls mit unterschiedlichen Komponenten konfrontiert werden: Tempo, Bedrängnis, Ballbehauptung, Ballsicherung, Abspiel, die richtigen Abstände zu den Mitspielern und die passende Bewegung. In einer isolierten Übung fallen insbesondere die letzten Aspekte weg.
Technik und Spielintelligenz
In gewisser Weise verringert die bessere Technik auch einige unnötige Laufwege, wie zum Beispiel Sprints nach unnötigen Ballverlusten und Zweikämpfe wegen schwacher Ballverarbeitungen. Bei den Spielern des FC Barcelona wird auch deswegen gesagt, dass sie „sich in Ballbesitz ausruhen“. Das bedeutet keineswegs Standfußball, sondern eine Verringerung der Laufintensität. Sie können ihr Lauftempo selbst wählen, ebenso wie die Anzahl und Länge ihrer schnellen Bewegungen – halten sie den Ball tief, agieren sie weniger dynamisch mit längeren Wegen des Balles und könnten mit geringerer Intensität das machen, was viele Trainer zwischen Sprintintervallen machen: aktive Regeneration.
Ein statischer Vergleich dazu – Barcelona kommt auf ungefähr 111 Kilometer pro Champions-League-Spiel, lag im Achtelfinale sogar an viertletzter Stelle aller Mannschaften. Der BVB hingegen kommt zumeist auf über 120 Kilometer, wobei man auch differenzieren muss. Dies liegt nicht an einer schlechten Trainingsmethodik oder vielen unnötigen Ballverlusten, sondern der extrem aufs Pressing fokussierten taktischen Ausrichtung, der proaktiven Spielweise und an einer richtigen Trainingsmethodik. Es ist ausgerechnet dieses Komplextraining, welches ihnen diese körperlich wie taktisch hochintensive Spielweise ermöglicht.
Dank dieser erhöhten Anforderungen und der Verpackung vieler Aspekte in eine Übung entsteht nämlich ein großer Nebeneffekt: die Spieler werden nicht nur intensiver, sondern auch öfter mit dem Ball konfrontiert. Damit werden ihre technischen und taktischen Fähigkeiten besser geschult.
Neben der besseren Technik und Entscheidungsfindung, welche unnötige Zweikämpfe und kurze Sprints verringert, steigt durch das Komplextraining und die vielen Spielformen im Ball auch die Spielintelligenz. Durch die höhere kognitive Beanspruchung und den erhöhten Umgang im Mannschaftsverbund, statt durch isolierte Einzelübungen, verbesserte sich Qualität und Effizienz der Läufe. Die Effektivität ist dabei bei gleichbleibend oder sogar höher. Manche Spieler kommen über ihre quantitative Laufarbeit – vorrangig Terrier wie Gennaro Gattuso oder Außenbahndauerläufer früherer Tage –, doch im modernen Fußball reicht dies kaum.
Auf den meisten Positionen pendeln sich die Spieler bis auf wenige Extrembeispiele in sehr ähnlichen Laufleistungen ein. Viele Akteure agieren bereits am Maximum und die Schwelle wird sich in den nächsten Jahren nicht mehr dramatisch erhöhen, wie es in den 70er Jahren der Fall war. Heutzutage geht es um die Qualität der Läufe. Laufe ich richtig im Pressing an? Nutze ich meinen Deckungsschatten ideal? Stehen wir im Verbund ordentlich und verschieben wir harmonisch? Bleiben wir kompakt in beide Richtungen? Bewegen wir uns im Aufbau- und Offensivspiel in die richtigen Räume und bilden Dreiecke?
Lionel Messi ist hier das positive Beispiel. Zumeist führt er die Laufleistung seiner Mannschaft an – von hinten. Ausgesprochen selten überschreitet er die zehn Kilometer, pendelte sich sogar sehr oft unter neun Kilometern ein. Nelson Haedo-Valdez kratzte gerne an den elf Kilometern, aktuell ist auch Klaas-Jan Huntelaar gelegentlich einer der drei laufstärksten Spieler seiner Mannschaft. Beide laufen viele Wege vergebens. Einer hat zumindest eine taktische Entschuldigung: Haedo-Valdez beackerte die gesamte Horizontale, presste extrem stark und verschob durchgehend mit. Huntelaar hingegen versucht sich ins Aufbau- und Offensivspiel einzuklinken.
Beide sind aber selten – im Gegensatz zu Messi – unter den Top-Fünf an Passgebern und –empfängern innerhalb ihres Teams zu finden. Dies mag auch auf die unterschiedliche Spielweise (insbesondere bei Valdez) und Höhe des Kollektivs zurückzuführen sein, aber die intelligentere Bewegung von Messi und natürlich auch seinen Mitspielern verstärkt diesen Effekt. Und die Bewegung der Mitspieler ist auch das Stichwort für den nächsten Absatz.
Einfluss auf die Kollektivtaktik
Durch die erhöhte Anzahl von Spielformen und die intelligentere Bewegung in Raum, Zeit und Mannschaftsverbund ergibt sich auch ein positiver Effekt auf das gesamte Team. Man wird eingespielter, lernt sich kennen und erhöht dadurch die Präzision und Effektivität im Ballbesitz.
Das „Kennenlernen“ bedeutet eine Vielzahl kleinerer Aspekte. Wann geht mein Partner Risiko, wann startet er ins Loch? Dies kann beispielsweise bei einem Flügelstürmer und einem Außenverteidiger beim Hinterlaufen enorm wichtig sein, damit man unter Druck blinde Pässe in den Raum schlagen kann und weiß, ob der Außenverteidiger aufrückte und nicht absicherte. Ein Kreativspieler weiß auch, auf welchen Fuß sein Mitspieler den Pass will, mit welcher Härte und in welche Zone. Sebastian Deisler gab dazu einst ein schönes Zitat ab:
„Ich hatte auf dem Feld nicht diesen einen festen Plan, ich habe gesehen, wo die Stärken und Schwächen meiner Mitspieler waren, ich habe gesehen, welchen Ball, welchen Pass wer braucht. Verstehen Sie, was ich meine? Das ist meine Intuition, meine Kreativität, das ist meine Fantasie. Das ist es, warum ich so gut Fußball gespielt habe in meiner guten Zeit.“ – In der Zeit, 2007
Allerdings ist nicht jeder ein einmaliges Talent wie Deisler. Welcher Spieler welchen Pass in welcher Situation braucht, ist eine Kunst, die kaum erlernbar ist – doch durch Abstimmung und das Kennenlernen untereinander, welches Zeit benötigt, kann man dem schon nahe kommen. Bestes Beispiel ist einmal mehr der FC Barcelona, wo bereits die U10 die Spielphilosophie der Großen pflegt, Kurzpässe austauscht und sich harmonisch im Raum bewegt. Hier anzunehmen, dass elf junge Deisler auf dem Platz stehen, ist falsch. Vielmehr verfolgen die Miniaturen der großen Zwerge eine gemeinsame Idee, werden nach gleichen Stärken ausgewählt und trainieren durchgehend mit Ball und in Spielformen. Daraus entwickeln sich dann auch zwei weitere Stärken neben der Eingespieltheit.
Die erste ist jener mythische Begriff der Passkommunikation, den insbesondere Marcelo Bielsa geprägt hat. Dieser unterscheidet laut eigener Aussage sogar 36 unterschiedliche Formen über einen Pass mit einem Mitspieler zu kommunizieren. Für einen Fußballlaien klingt dies wie eine Lüge, eine Übertreibung und – pardon – Schwachsinn eines Verrückten.
Im Endeffekt ist es „nur“ eine Sprache für Fußballbegabte. Andrés Iniesta und Xavi vom FC Barcelona (Extreme sind die besten Beispiele!) dienen hierbei als Vorbild. Spielt Xavi einen harten Pass, wird ihn sich Iniesta nur dann stoppen, wenn er sich sicher ist, dass er für ihn bestimmt ist. Dies weiß er durch die Kenntnis seiner Umgebung und die Präzision Xavis. Kommt ein Ball exakt mit übertriebener Härte auf Iniesta zu und steht ein Spieler in dieser Passlinie hinter ihm, dann wird er den Ball wohl in keinem von hundert Fällen stoppen. Der Ball ist schlichtweg nicht für ihn bestimmt und Iniesta weiß es.
Steht aber keiner hinter Iniesta, dann erhält der Pass eine andere Aussage, als „dorthin“ oder „du stehst falsch“. Jetzt heißt es: „Wir sind unter Druck, wir müssen die Passschnelligkeit und dadurch die Ballzirkulation erhöhen.“ Im Normalfall folgt ein schneller Pass von Iniesta, der dieser Anweisung folgt. Oftmals sind es sogar keine Pässe, sondern schnelle Abpraller nach hinten, wodurch ein schneller Ball auf die Seite oder in die Spitze folgen kann.
Abermals ist die Eingespieltheit, die erhöhte Spielintelligenz und die verbesserte Technik – alles Effekte des Trainings mit maximalem Ballfokus – Voraussetzung für eine höhere Kunst. Als zweiter großer Effekt der erhöhten Eingespieltheit und Spielintelligenz kommt die Anpassung an situative Veränderungen hinzu. Wird mit isolierten Übungen, beispielsweise statischen Flankenübungen, trainiert, dann entwickeln sich gewisse Schablonen im kollektiven Spiel. Viele Mannschaften früherer Zeiten errangen durch den Fokus auf einen Spielaspekt mit bestmöglicher Umsetzung zahlreiche Titel.
Die legendäre Kombination „Kaltz-Flanke, Hrubesch-Tor“ errang in den späten 70ern Kultstatus in der Bundesliga – mit durchschlagendem Erfolg. Doch aktuell sind einfache und penetrant wiederholte Spielzüge kaum noch zielführend. Das Niveau der Verteidigungsreihen in puncto Abstimmung, Übergeben und Staffelung ist stark angestiegen, hinzu kommt die Gegneranalyse, womit man sich im Training gezielt auf das Neutralisieren solcher schablonenartiger Angriffe konzentrieren kann. Dank der erhöhten Spielintelligenz sowie der verstärkten Konfrontation mit dynamischen Spielsituationen entwickelt sich eine größere Vielfalt und ein Ideenreichtum in der Gruppentaktik beim Knacken von Defensivblöcken oder dem Bespielen freier Räume.
Vielerorts, ob in Medien oder durch Experten, wird der Mangel an Straßenfußballern kritisiert. Auch einer der erfolgreichsten Bundesligatrainer der vergangenen Jahre hat sich zu dieser Problematik indirekt geäußert.
„Allerdings muss man den heutigen Spielern mehr erklären, was sie auf dem Platz tun müssen, als das früher der Fall war. (…) es wird anders über Fußball gedacht. Früher haben wir auf der Straße selbst Spielformen erfunden, das fördert die Kreativität und das Verständnis von Fußball. Dadurch entwickelst du einen bestimmten Instinkt und Fußballintelligenz. Heutzutage fehlt das oft, weil niemand mehr auf der Straße spielt.“ – Huub Stevens in der 11Freunde
Stevens führt weiter aus, dass er deswegen als Jugendtrainer seine Schützlinge beim PSV Eindhoven eine halbe Stunde „sich selbst überließ“. Früher wurden diese Aspekte in Spielformen in der Freizeit erarbeitet, aktuell gehört die freie Zeit meist dem Nachholen von Schulstoff oder der Zeit mit Freunden und Hobbys; die besetzte Zeit gehört zwar König Fußball, aber jenem geplanten Fußball in den Akademien und Jugendinternaten.
Dort wird aber oftmals zu sehr auf einzelne Aspekte geblickt und auf die Perfektion isolierter Fertigkeiten gedrillt, wodurch das Erlernen des individual- und gruppentaktischen Bespielens von Situationen vernachlässigt wird. Auch Bernhard Peters äußerte sich diesbezüglich bei einem exklusiven Interview auf unserer Seite:
„In der Tradition der Trainerausbildung fehlt in der Entwicklungstreppe eine entscheidende Stufe, nämlich zwischen der Ausbildung der Positionstechnik und der Anwendung im Spiel. Ich sehe in einer Stufe dazwischen das Erarbeiten von individualtaktischen und gruppentaktischen Prinzipien. Das macht man durch Spielphasenübungen, in denen man das Antizipieren,Wahrnehmen und Entscheiden in taktischen Situationen trainiert, mit halbaktiven oder aktiven Gegenspielern.
Man trainiert in speziellen Spielräumen, mit Provokationsregeln und unter speziellen Prinzipien, um diese Lösungen erfolgsstabil zu machen. Im Fußball gibt es zu oft nur Techniktraining, in denen ohne aktiven Gegnerkontakt trainiert wird, und dann gibt es das Spiel, aber die Stufe dazwischen fehlt. (…)Das ist eine Stufe, die im Hockey intensiver betrieben wird und wo sich der Fußball weiterentwickeln kann im Methodischen.
Du musst das trainieren, was das Spiel am Wochenende fordert: Ich bin auf jede sich schnell und ständig ändernde Spielsituation durch das variable Training von Entscheidungsverhalten stabil vorbereitet.“ – Bernhard Peters, Nationalmannschaftstrainer im Hockey
Diese Entscheidungsfindung kann durch die Erhöhung der Spielformen und die maximale Fokussierung auf den Ball trainiert werden – bei richtiger Behandlung der Spieler sogar gezielt und zwar ohne direkt Einzugreifen. Nahezu jeder Trainer arbeitet mit Korrekturen während des Trainings. Im Trainingsbetrieb werden Fehler aufgezeigt, ob taktischer oder technischer Natur, und umgehend korrigiert. Doch was tun, wenn die Zeit begrenzt ist?
Bei nur wenigen Minuten an Spielformen und gruppentaktischen Übungen werden oftmals nur individualtaktische Mängel angeschnitten – oder gar nichts. Schlimmstenfalls werden die sporadischen Fehler in den wenigen Minuten sogar übersehen oder gar aus Zeitmangel nicht ausgebessert. Durch die erhöhte Zeit am Ball und im Spiel werden die Akteure nicht nur öfter beobachtet, sondern die Situationen können problemlos wiederholt werden. Damit übt man die richtige Bewegung, kann automatisch und intrinsisch umlernen und langfristig gehen weniger Probleme unter. Dies erhöht die taktische Qualität des Einzelnen und der Gruppe, was die Leistung auf dem Platz verbessert.
Conclusio: Die Vorteile sind überraschend viele und nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. In den meisten Aspekten entsteht sogar eine Plus-Plus-Situation. Die höhere Technik und Spielintelligenz verbessert den Einzelnen und das Kollektiv, was wiederum einander befruchtet. Dadurch wird auch eine höhere Stufe des Fußballs im Team, beispielweise das strategische Bespielen sich verändernder Situationen oder nonverbale Kommunikation auf dem Platz, erreicht. Die Liste ließe sich mit kleineren Aspekten noch unendlich fortführen.
Dies ist aber nicht das Ziel dieses Artikels, sondern ein objektiver, wenn objektiver Diskurs mit dieser Trainingsweise bzw. Trainingsphilosophie. Darum wird nun auf die (vermeintlichen) Nachteile eingegangen.
Weniger gezielte Physis?
Jener Punkt, den immer wieder genannt wird, ist das mangelnde Training der Athletik. Über Spielformen kann diese angeblich nicht ideal trainiert werden und bekanntlich ist Fußball ja Laufsport. Die Spieler stehen mit Nachspielzeit an die 100 Minuten auf dem Platz, laufen dabei 9-14 Kilometer und leiten Bälle innerhalb von einer halben bis maximal zwei Sekunden an den Mitspieler weiter.
Mit den jeweiligen Ballkontaktzahlen über die gesamte Spielzeit kumuliert erreichen sie Werte zwischen einer halben (der ehemalige Wolfsburger Innenverteidiger und aktuelle Juventus-Verteidiger Andrea Barzagli) und maximal drei Minuten (Bayernstar Franck Ribéry) am Ball pro Spiel.
Wieso sollte man die Spieler dann ausschließlich noch mit Ball trainieren? Die meisten laufen doch statistisch über 250 Meter pro Ballkontakt. Die Antwort ist eine einfache: Der Ball kann nur bei ordentlicher Technik so schnell verarbeitet werden, ohne dass ein Fehler bei der Annahme oder ein Ballverlust welcher Sorte auch immer entsteht. Und das Training mit Ball bedeutet keineswegs, dass die Physis nachlässt. Das einzige Problem dürfte sein, dass der jeweilige Trainer wissen muss, wie er diese beiden Aspekte à la Zeljko Buvac miteinander verbindet. Die Erfolge auf dem Trainingsplatz sind natürlich schwieriger messbar – dafür werden sie im Spiel erkennbar.
Allerdings trauen sich die meisten Trainer zu Recht nicht über diese Hürde, was jedoch weitestgehend auf ihre eigene Kompetenz sowie den Charakter ihrer Spieler zurückzuführen ist. Hierzu analysieren wir ein paar Aussagen und Zitate, welche es in der überaus interessanten Themenwoche von Spox zu lesen gab.
“Auch Mannschaften in der Bundesliga haben versucht, in verschiedenen Spielformen Konditionsarbeit zu machen. Aber durch Pulsmessungen in Echtzeit haben wir gesehen, dass sich einige Spieler dabei einfach verstecken. Man braucht dafür 20 absolut willige Profis und muss sie außerdem gut von außen coachen, um die Spieler anzutreiben, ständig in Bewegung zu sein. Und da wird der Unterschied zwischen Theorie und Praxis schnell spürbar.” – Raymond Verheijen, dessen herausragendes Konzept wir in einem morgigen Artikel vorstellen werden
Das bedeutet nichts anderes, als dass vereinzelte Spieler die Spielformen nutzen, um sich auszuruhen. Das Problem liegt hierbei in der Auffassung von Spielformen begründet. Wenn in der Jugend gespielt wurde, dann war es eine Belohnung und/oder aktive Regeneration – keine Anstrengung, sondern ein Spaß.
Guus Hiddink und sein Konditionstrainer Jan Verheijen hingegen verbinden diese Aspekte. Wichtig ist dabei Hiddinks analytisches Geschick und Motivationsfähigkeit. Als Quelle dient natürlich abermals der sehr gute Artikel von Spox.
Der zu Pointen aufgelegte Verheijen reduziert diesen Unterschied freilich auf eine einzige Person: Wie kein zweiter sei Guus Hiddink in der Lage, eine komplette Mannschaft zu überblicken, anzutreiben und zu motivieren. Alle anderen sollten seinetwegen weiter auf die alte Art Kondition bolzen: “Wenn der Trainer nicht coachen kann, ist um den Platz zu laufen eine gute Alternative.”
“In vielen Ländern geht man davon aus, dass man zunächst einmal Fitness haben muss, um Fußball zu spielen. Wir sagen: Wenn Du Fußball spielst, bekommst Du Fitness”, erklärte Verheijen seine Methode. Keine einzige Runde seien die Südkoreaner während der Vorbereitung um den Platz getrabt. Keine Dauerläufe, keine Medizinbälle, nur Fußball.“
Die Südkoreaner sollten sich letztlich im eigenen Land dazu aufmachen, überraschend Vierter zu werden und ihre Gegner in Grund und Boden zu laufen. Auch Hiddinks Russen galten bei der Europameisterschaft 2008 als laufstärkste Mannschaft und abermals wurden Dopingvorwürfe laut – die Sbornaja schaffte es mit ihrer Mischung aus laufintensivem Spiel und Stärken im Umschalten bis ins Halbfinale.
An diesem Beispiel wird auch klar, was die Vor- und Nachteile sind. Als Vorteil ist – neben den bereits erwähnten Vorzügen des Trainings mit Ball – die perfekte Anpassung an die Begebenheiten des Spiels aus konditioneller Sicht zu nennen. Nachteilig ist aber die hohe fachliche und personelle Kompetenz, um ein solches Training effektiv umzusetzen.
Die Nachteile sind aber ein zweischneidiges Schwert und desweiteren überaus unterschiedlich. Ein Problem gibt es zum Beispiel für den Arbeitgeber. Der 08/15-Präsident / Vereinschef kann nicht wirklich unterscheiden, ob sein Trainer die richtige Methodik anwendet oder ob er sie überhaupt anwenden kann. Der zweite Nachteil ist schon weniger eindeutig, denn er liegt bei den Trainern. Für viele Trainer, die bspw. von Taktik und/oder Trainingsmethodik wenig Ahnung haben, wird es schwer, diese Trainingsart zu implementieren. Für sie ist es nachteilig – weil sie wegen mangelnder Kompetenz hinterherhinken. Für einen kompetenten Trainer hingegen ist es gar ein Vorteil, weil er dadurch durch seine fachliche Kompetenz auch in der Trainingsführung auswirken kann und er diesen Vorteil nicht einfach verlieren kann. Denn im Gegensatz zu (insbesondere taktisch) schwächeren Kollegen kann er die Anforderungen dieser Trainingsführung erfüllen.
Der Trainer muss andauernd ein Auge auf sämtliche Spieler haben, Nachlässigkeiten erkennen und Kommandos geben. Es sind eben deswegen analytisch starke Trainer mit dem nötigen Charisma wie José Mourinho, Josep Guardiola, Jürgen Klopp und Guus Hiddink, die ein Training mit maximalem Ballfokus ideal vermitteln können. Außerdem muss darauf geachtet werden, wann die Spieler beginnen müde zu werden. Fällt das Niveau ab, wird die Übung in Spielform kontraproduktiv und darum muss die Anzahl und Länge der Pausen sowie die Art derselben richtig gewählt werden, um die Intensität hochzuhalten. Neben diesen Komplikationen gibt es einen weiteren Faktor: Spaß am Training mag zwar schön und gut sein, doch intensive Laufeinheiten oder überharte Trainingssessions werden bewusst eingesetzt, um die Spieler fordern. Nicht (nur) körperlich, sondern auch mental.
Strafen & Mentalität
Es geht bei solchen Dauerläufen mit Medizinbällen insbesondere darum, den „inneren Schweinehund“ zu überwinden. Felix Magath ist einer jener verbliebenen Trainer, der diese absolute Härte propagiert. In seiner ersten Amtszeit beim VfL Wolfsburg ließ er den Hügel der Qualen aufschütten und zwang seine Spieler zum Lauf auf einen über 2300 Meter hohen Berg in der Schweiz – Grafitè kollabierte.
Im Oktober 2012 rationierte er das Wasser bei seiner zweiten Amtszeit beim VfL. Ziel war es hierbei die Spieler zu fordern, durstig zu machen und danach als „pädagogische Maßnahme“ das Wasser zu begrenzen, um einen positiven Effekt bei der mannschaftlichen Gemeinschaft zu erzielen. Nach der Niederlage gegen Mainz wurden die Spieler aus ähnlichen Gründen für über eine Stunde zum „Auslaufen“ geschickt. Vielerorts wird das Lauftraining als Strafe und zur Mentalitätssteigerung genutzt. Um über eine Stunde in einem (schnellen) Dauerlauf zu galoppieren, schult laut vielen Alttrainern nicht nur den Körper, sondern auch den Geist.
Nach Niederlagen können die Spieler auch gerne ein bisschen gequält werden, damit ihnen ihre schwache Leistung inklusive Konsequenzen schmerzlich vor Augen geführt werden kann. Einige Mannschaften müssen beispielsweise nach Niederlagen mit einem harten Sprinttraining und Ballentzug rechnen. Dies steht oftmals in keinem Verhältnis zur Ursache der Niederlage, die damit auch nicht bekämpft wird. Im Gegenteil.
Die Spieler werden körperlich erschöpft und geistig zermürbt, was in nachteiligen Trainingseinheiten darauf resultiert. Viel eher wäre eine Fehleranalyse und effektive Bekämpfung dieser Mängel zielführend. Allerdings mangelt es solchen Trainern an der Kompetenz dafür, weswegen sie auf das abgelutschte Mittel der Bestrafung durch Ball- und Spaßentzug zurückgreifen. Im Endeffekt bedeutet dies folgendes: der Trainer bestraft dadurch die Spieler für seine und nicht ihre Fehler.
Dies ist auch der Grundtenor, der wohl im aktuellen Fußball unter Trainern herrscht. In flachen Hierarchien und kameradschaftlichen Trainern, deren neue Generation von Taktikern und Analytikern geprägt ist, heißt es nicht: „Ihr habt Fehler gemacht. Ich bestrafe euch jetzt ohne Kontext und Verbindung zu den Fehlern und hoffe, ihr lernt eure Lektion und macht die Fehler nicht mehr.“
Das wäre auch, gelinde gesagt, einfach nur schlechtes Coaching. Das Motto lautet stattdessen, dass per Videoanalyse und darauffolgender Trainingsausrichtung verstärkt auf diese Fehler geachtet wird. Der mündige Profi ist kein Kind, welches es noch zu erziehen gilt. Die Fehler sollen in einem gemeinsamen Diskurs debattiert werden, ihre Relation zur Spielphilosophie aufgezeigt und dann in einer Wiederholung verbessert werden. Auch hier sollte das Training mit maximalem Ballfokus effektiver sein, als eine schnöde Dauerlaufeinheit.
Ist es auch in unteren Ligen möglich?
Fraglich ist, ob und inwiefern eine solche Trainingsmethodik im Breitensport umgesetzt werden kann.
Hierzu muss der Unterschied zum Spitzenniveau beachtet werden. Der moderne Fußball besteht aus Sprints und Verschieben, in den niedrigeren Klassen gibt es zumeist kein Pressing, oftmals keine Raumdeckung und keine Raumverknappung. Dies bedeutet eine durchgehende Verfolgung des Gegenspielers, was längere langsame Bewegungen bedeutet und weniger Sprintintervalle. Die vorkommenden Sprintintervalle sind allerdings öfters länger, weil die Absicherungen fehlen, Laufduelle nach langen Bällen häufiger vorkommen und der effektiv bespielte Raum seltener, aber weiter wechselt.
Desweiteren ist der Platz geringer. Ein Profifußballer muss auf einem circa 7140m² großen Platz agieren, ein Amateurspieler hingegen öfters sogar auf unter 5000m² – je nach Liga, Platzgröße und –qualität. Das Minimum in den unteren Ligen ist dabei bei 4050m² (90×45), wird aber vereinzelt sogar unterschritten. Der Unterschied ist in der Länge kaum sichtbar. Auch weil die meisten Profimannschaften eine deutlich bessere und präzisere Abseitsfalle ohne Libero nutzen, dürfte die Länge des effektiven Spielfelds in etwa gleich sein, die Breite aber weniger.
Dadurch ist das Verschieben im Raum, welches zumeist in der Breite stattfindet, bei den Profis weitläufiger. Kürzere Sprints sind dadurch häufiger, längere Sprints in die Tiefe des Raumes gibt es hingegen bei den Amateuren wegen der taktischen Ausrichtung öfter. Darum muss überlegt werden, inwiefern ein maximaler Ballfokus umsetzbar ist. Ein Trainer alleine für 20 Leute – es gibt selten den Luxus von mehreren Assistenztrainern – dürfte Probleme haben, allen seinen Spielern auf die Beine zu schauen, sie durchgehend zu animieren und die Fehler sofort zu erkennen und auszubessern.
Ein klassisches Training ist bei mangelnder Kompetenz des Trainers, bei viel weniger Trainingseinheiten (30-40h/pro Woche bei Profis vs. 6h/pro Woche bei Amateuren) und schwächerer Grundphysis der Spieler deswegen empfehlenswert; aber auch nur dann. Im Idealfall sollte es aber eine Mischung aus Komplexübungen, kurzen intensiven Sprintintervallen und vielen Spielformen sein, die mit dem Maximum an Motivation ausgeübt werden. Besitzen die Spieler jedoch die passende Eigenmotivation, den dazugehörigen Trainer, dann ist diese Trainingsmethodik auch auf niedrigstem Niveau umsetzbar. Und spätestens ab der Bezirksliga sollte man unter normalen Umständen Erfolge erzielen können. Meine persönliche Meinung: Ein spielformorientiertes Training ist in jeder Klasse und Liga mit leichten Anpassungen die beste Wahl.
Fazit
Zurück zu kehren zum düsteren Anbeginn des Fußballtrainings, als die Engländer ihren Spielern die gesamte Woche über den Ball verweigerten, damit sie im Spiel hungrig auf ihn seien, will natürlich keiner. Doch bis vor fünfzig Jahren stellte dies sogar den Standard dar. Die Brasilianer 1958 und 1970 gaben dem modernen Fußballtraining einen Tritt in die richtige Richtung. Sie arbeiteten mit damaligen Sportwissenschaftlern zusammen, stimmten ihr Training an den neusten Stand der Wissenschaft ab und wurden beide Male souverän Weltmeister. Der Klubfußball und Europa wurden erst ab den 70er-Jahren davon betroffen. Vereinzelt hatten Trainer wie Sepp Herberger sich darüber Gedanken gemacht – der Bundestrainer gab seinen Nationalspielern „Hausaufgaben“ –, aber wirklich durchgesetzt hatte sich noch nichts. Die Veränderung kam mit vier überaus erfolgreichen Trainern.
Dettmar Cramer bei den Bayern orientierte sich an modernen Stand der Wissenschaft und baute sein Training danach. Valeriy Lobanovskiy in der Sowjetunion hatte einen Stab von Ärzten, Statistikern und sonstigen, oftmals dubiosen Vertretern unterschiedlicher Zünfte als Berater, nach denen er sein Training ausrichtete. Rinus Michels nutzte die Quantität und war eher ein Vertreter der Magath- und Zebec-Schule, während Ernst Happel wohl am stärksten dem aktuellen Stand entsprach.
1964 propagierten die Amerikaner Walson und Logan das SAID-Prinzip. SAID bedeutet „Specific Adaptations to Imposed Demand” („spezifische Anpassung an auferlegte Forderungen”). Vereinfacht: was man dem Körper antut, darauf passt er sich an. Ernst Happel nutzte das: harte Ausdauereinheiten wechselten sich mit vielen Spielformen ab, er nutzte auch das „Entdeckungslernen“ nach Volker Finke schon in den 60ern. Damit wurde den Spielern die Taktik nicht verbal oder auf der Magnettafel vorgekaut, sondern in die Regeln von Trainingsspielen eingewebt. Tore zählten nur, wenn die gesamte Mannschaft über der Mittellinie aufgerückt war – stand der Gegner nicht vollzählig in seiner eigenen Hälfte und auf den richtigen Positionen, zählte das Tor sogar doppelt.
In den 80ern und 90ern haben dann Guus Hiddink beim PSV Eindhoven und Johan Cruijff beim FC Barcelona den Ballfokus ausgeweitet. Louis van Gaal zerstörte dann sogar die Idee von Dauerläufen komplett – beim FC Barcelona wurde seit diesem Jahrtausend kein Lauf mehr gemacht, der länger als drei Minuten am Stück dauerte. Die Erfolge dieser Trainer und Mannschaften sprechen für sich. Sie sollten als Fundament für viele Dinge dienen: für Trainer mit Unterstützung (Co-Trainer bspw.) ab der Kreisliga und spätestens ab der Bezirksliga als Standard.
Besonders wichtig sollte es im Bereich der Jugendförderung sein. Durch Komplexübungen zur besten Vermittlung einer Basis lassen sich schnell Fortschritte erzielen und auf diesem schnellstmöglich erreichten Fundament kann dann weitergearbeitet werden. Mit Spielformen lernen die Spieler zu harmonieren, kommunizieren verbal und nonverbal, reifen als Spieler und könnten ihr Potenzial ausschöpfen. Eventuelle Mängel in der Kondition, die sich im Normalfall nicht ergeben sollten, können dann in einem einzigen Trainingslager beim Übergang in den Erwachsenenfußball nachgeübt werden.
Dies spart Zeit, sorgt für die beste Entwicklung und: der Spaß am Spiel bleibt erhalten. Egal, auf welchem Niveau.
Anmerkung: Dieser Artikel erschien ursprünglich in der ersten Ballnah. Da sie aber generell für Trainer sehr wichtig ist und die kostenpflichtige Veröffentlichung bereits lange her ist, habe ich es mir erlaubt sie hier nochmal zu posten. Wir wollen in den nächsten Wochen und Monaten mehr in puncto Trainingstheorie arbeiten. Marco Henseling und ich schreiben gar ein Buch dazu. Ich hoffe deswegen, dass mir dieser Re-Post darum von keinem unserer damaligen Käufer übel genommen wird.
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