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Passive Erholung im Fußball: Schlaf und Ernährung

Fußball ist ein überaus intensiver und körperlich enorm fordernder Sport. Um den hohen physiologischen Anforderungen gerecht zu werden, benötigt der Körper auch die entsprechende passive Erholung. Die Regeneration ist wichtig für Leistungsaufbau und -erhalt.

Ein Faktor dabei ist die Ernährung. Obgleich man insbesondere im Amateur- und Jugendsport nur wenig Einflussmöglichkeiten auf die Ernährung seiner Spieler hat, so sollte der Trainer doch über grundsätzliches Wissen über diese Thematik verfügen und seine Spieler zumindest auf die Vor- und Nachteile sowie Richtlinien für einen adäquaten Ernährungsplan hinweisen.

Ernährung im Fußball

Fußballer auf allerhöchstem Niveau benötigen bis zu knapp unter 1700 Kilokalorien für ein Spiel, im Amateurfußball ist dies zwar deutlich weniger, doch die Studien von Burke et al. (2006) zeigten, dass zu geringe Energieaufnahme ein wichtiger Faktor für verringerte Leistung, erhöhte Müdigkeit und Verletzungen war.

Im Buch Fitness in Soccer (2014) findet sich ein Artikel, in welchem fußballspezifische Bedürfnisse an die Ernährung angegeben werden. Zur Berechnung der täglich benötigten Energieaufnahme nutzen die Autoren eine Forme zur Berechnung der „Basal metabolic rate“ (BMR). Die Formel namens Mifflin-St Jeor Berechnung lautet wie folgt:

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Formel1

Das Ergebnis dieser Formel wird mit unterschiedlichen Faktoren gewichtet, um den Energiebedarf der regulären Tagesaktivität zu berechnen:

  • Faktor 1,3 bei sehr geringer Aktivität (z.B. freier Tag im Bett, Bürojob ohne Bewegung)
  • Faktor 1,6 bei eher geringer Aktivität (z.B. Bürojob mit etwas Bewegung)
  • Faktor 1,7 bei moderater Aktivität (z.B. viel Aktivität in der Arbeit mit wenig Belastung)
  • Faktor 2,1 bei hoher Aktivität (z.B. körperlich harte Tätigkeit)

Zusätzlich wird für ein Training Energie benötigt. Hierbei wird folgende Formel für ein Fußballtraining angewendet:

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Formel2

Dies ergibt eine beispielhafte Tabelle wie folgt:

 

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Ernährung1

Allerdings ist natürlich auch die Frage, wie die Ernährung zusammengestellt wird. 1 Gramm Kohlenhydrate bringt beispielsweise 4 Kilokalorien, 1 Gramm Fett bedeutet 9 Kilokalorien, 1 Gramm Protein sind 4 Kilokalorien und 1 Gramm Alkohol entspricht 7 Kilokalorien. Sie sind allerdings von unterschiedlicher Bedeutung.

Kohlenhydrate

Kohlenhydrate sind die Energielieferanten im menschlichen Körper. Sie beinhalten unterschiedliche Saccharide alias Zucker, wie beispielsweise Frucht- oder Milchzucker. Fußballer sollten prinzipiell eine eher kohlenhydrathaltige Ernährung zu sich nehmen. Bei geringer Zufuhr fehlt es an der nötigen Kraft zum Leistungsabruf.

Fitness in Soccer führt beispielsweise aus, dass schon nach vier Trainingstagen bei 40 statt 70%igem Anteil an Kohlenhydraten in der Ernährung die Glykogenspeicher in den Muskeln erschöpft sind. Als Richtlinie gelten darum:

  • 8-10g Kohlenhydrate (= 32-40 Kilokalorien) pro Kilogramm Körpergewicht in 24 Stunden
  • Direkt nach dem Training zur Regeneration 1g (4 Kilokalorien) pro Kilogramm Körpergewicht
  • Drei bis vier Stunden vor Spielbeginn 4g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht
  • Bei physischer Aktivität sind es 30-60 Kohlenhydrate pro Stunde, um vor Ermüdung zu schützen

Es sollen eher Einfachzucker (Glukose, Fruktose, Galaktose) genutzt werden. Diese finden sich meist in Früchten wieder. Zweifachzucker setzen sich aus zwei Einfachzuckern zusammen, wo Sukrose beispielsweise den Tischzucker darstellt und Laktose der Milchzucker ist. Erbsen und Bohnen Oligosaccharide, also Mehrfachzucker, die nur von Stärke in der Masse an Kombination von Einzelzuckern übertroffen werden. Eine Tabelle zu den Ladungen findet sich hier:

Fette

Auch Fette sind wichtig. Sie werden eher bei niederer bis mittlerer Aktivität verbrannt. Bei sehr intensiver Aktivität (im anaeroben Bereich) nutzt der Körper verstärkt andere Ressourcen, da kein Sauerstoff zur Fettverbrennung genutzt werden kann, doch besonders bei längeren intensiven Einheiten oder Dauerläufen wird Fett als Antrieb verwendet. Desweiteren dienen sie bei der Absorption fettlöslicher Vitamine (A, D, E und K), die auch den Zellaufbau und -schutz im Körper unterstützen.

Bei der Aufnahme von Fett sollte jedoch darauf geachtet werden, ob diese gesättigt oder ungesättigt sind. Gesättigte Fettsäuren kommen meistens von Tieren, Transfette wiederum aus chemisch bearbeiteten Nahrungsmitteln. Insbesondere Letztere gelten als gesundheitsschädlich und sollten gemieden werden.

Ungesättigte Fettsäuren finden sich in pflanzlichen Ölen wie Olivenöl (exkl. Kokosnussöl und Nussölen). Dies wiederum äußeren sich positiv auf das körperliche und geistige Befinden. Besonders Omega-3-Fettsäuren aus Fischölen wirken gesundheitsfördernd und unterstützen auch die Augen, was bei Athleten wichtig ist.

Zusätzlich sollten Getreide in hohem Ausmaß und ergänzt mit gelegentlichem Fleischverzehr zur Abdeckung des Proteinehaushalts genutzt werden, der besonders wichtig bei der Regeneration von Zellen ist. Fleischverzehr gilt als wichtig, da acht der zwanzig Aminosäuren nicht vom Körper hergestellt werden und sich vorrangig in Tierfleisch finden.

ATP

Die ATP oder Adenosinphosphate sind biochemisch für die Anwendungsmöglichkeit von Energie zuständig.

Für Fußballer ist insbesondere das ATP-CP-System wichtig, da es die kurzen und hochintensiven Aktionen ermöglicht. Kreatin und Training fördern dieses. Beim System der Anaeroben Glykose geht es um die Energie bei Zeitintervallen über 10 Sekunden, die meist vom Muskelglykogen bereitgestellt wird.

Die Oxidative Phosphorylation wiederum übernimmt die Energiebereitstellung jenseits der 30 Sekunden und bis zu 2 Minuten. Hierzu werden Kohlenhydrate genutzt und auch das ist ein enormer Faktor im Fußball, insbesondere bei längeren Phasen ohne Spielunterbrechung und hoher Intensität im Spiel. Die Kinase als viertes System ermöglicht als Enzym den Transfer von Phosphaten um bei enorm hoher Intensität Energie zu liefern.

Die ATP-Systeme sind auch unterschiedlich je nach Muskelfasern. Typ 1 Muskelzellen sind langsamer Natur und aktivieren sich aerobischer Belastung, während die Typ 2a und 2b Muskelzellen. Letztere besitzen einen anaeroben Mechanismus und verbrauchen sehr viel Glykogen. Die meisten Fußballer haben/benötigen Typ 2a Muskelzellen, die sowohl aerobisch als auch anaerobisch wirken.

Die azyklische Natur des Fußballs bedeutet auch, dass zwischen den Energiesystemen flexibel gewechselt wird. ATP-CP-Systeme werden bei kurzen Sprints genutzt, u.a. im Dribbling, bei Laufduellen oder beim Pressing. Die anaerobischen und von Kohlenhydraten gestützten Prozesse kommen beim intensiven Verschieben, Seitenwechseln, Herausrücken oder Verschieben gegen schnell und weiträumig zirkulierende Gegenspieler zustande. Die aerobischen Prozesse stellen den Rest dar und dienen auch zur Erholung der anderen Systeme.

Um dies zu ermöglichen wird eine variable Ernährung empfohlen, wie bereits ausgeführt. 70% Kohlenhydrate, 20% Fette (in Form von ungesättigten- und Omega-3-Fettsäuren) und 10% Proteine gelten als gute Richtlinie. Zum genauen Energieverbraucht sh. die Formeln zu Beginn des Kapitels.

Vitamine

Die Vitamine A , C, und E gelten als Antioxidantien, die Zellen vor den freien Radikalen schützen sollen. In Anbetracht der Anforderungen im Fußball – mit enormen Wechseln zwischen aeroben und anaeroben Belastungen – muss der Körper verstärkt gegen diese freien Radikale unterstützt werden. Die B-Vitamine sind nötig für die metabolischen Reaktionen zur Energieerzeugung, während Vitamin D sich um die Skelettmuskulatur und den Hormonhaushalt kümmert. Bei Fußballern ist ein Mangel an Vitamin D darum potenziell verantwortlich für Verletzungen und Leistungseinbußen. Nahrungsergänzungsmittel können hierfür genutzt werden, sind aber bei passender Ernährung mit Getreiden, Obst, Gemüse, etwas Fett und genügend Zufuhr von frischem Sauerstoff sowie Licht nicht benötigt.

Mineralien

Selen fungiert wie die Vitamine A, C und E als Antioxidant. Kalzium hilft bei der Instandhaltung der Knochen, Zink wiederum übernimmt eine ähnliche Rolle für das Immunsystem und die Muskulatur. Eisen unterstützt wiederum den Sauerstoffhaushalt im Blut. Die Elekrolyte Sodium, Potassium und Chlorid kümmern sich um das Weitergeben von allen elektrischen Informationen im Körper, also Nerven- und Muskelimpulsen. Bei balancierter Ernährung wird der Körper sich ausreichend damit versorgt.

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Ernährung3

Ernährungsperiodisierung

  • Kohlenhydratreiche Ernährung in den Tagen vor dem Spiel durch Nutzung komplexer Kohlenhydrate wie Reis, Getreide, Gemüse, Kartoffeln.
  • Füllen der Glykogen-Reserven vor dem Spiel mithilfe von zwei Bananen oder einem kleinen Müsli.
  • Eine oder zwei Bananen zur Halbzeit.
  • Ein kleines, kohlenhydratreiches Essen nach dem Spiel/Training zur beschleunigten und verbesserten Regeneration der Muskeln.
  • Kleinere fettarme, kohlenhydratreiche Häppchen mehrmals bis zum Schlafengehen
  • Kleine Proteindosis, bspw. durch etwas Putenfleisch oder einen Schokodrink, zur Verbesserung der Zellregeneration.

Weitere Richtlinien und Tipps

  • Kohlenhydratarme Ernährung zum Gewichtsverlust ist ineffektiv, weil sie wenig am Körperfett verändert und eher den Körper erschöpft sowie der Gewichtsverlust durch Verlust an Glykogen und Wasser in den Muskeln stammt.
  • Es soll in kurzen Intervallen vermehrt Wasser getrunken werden, vor, während und nach dem Training/Spiel. Salz im Wasser unterstützt bei der Aufarbeitung und dem Füllen der entleerten Energiereserven.
  • Gesättigte Fettsäuren sind bei Raumteperatur meistens fest und sollten gemieden werden.
  • Alkohol sollte gemieden werden, da es schädliche Effekte besitzt und insbesondere nach dem Training der Regeneration schadet.
  • Energiedrinks mit Kohlenhydraten in der Halbzeit oder adäquate Ernährung vor dem Spiel sorgt für geringere Erschöpfung im Spiel. Auch Koffein kann dabei helfen.
  • Ein halber Liter Wasser mit einem halben bis zu einem ganzen Teelöffel Salz kann die Wahrscheinlichkeit auf Krämpfe senken.

Schlaf als Mittel zur passiven Erholung (und aktivem Training?)

Der Schlaf ist ebenfalls eine sehr unterschätzte und enorm wichtige Komponente eines leistungssteigernden und –erhaltenden Trainings. Darum sollen kurz die relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgestellt werden, welche eine korrekte Adaption aus Sicht des Trainers für seine Spieler gewährleistet.

Unterschiedliche Schlafstadien

Grundsätzlich wird zwischen Schlafzustand mit raschen Augenbewegungen, dem sogenannten REM-Schlaf (REM steht für Rapid Eye Movement) und dem Schlafzustand ohne rasche Augenbewegungen unterschieden. Dieser wird als nonREM-Schlaf bezeichnet. Entgegen früherer Erkenntnisse ist heutzutage bekannt, dass innerhalb kürzerer Zeit mehrere Schlafstadien auftreten können und der Schlaf somit ein kontinuierlicher Prozess ist, der nicht in bestimmte Abläufe gepresst werden kann.

Dennoch gibt es ein paar bestimmte Punkte. Die Standard American Academy of Sleep Medicine unterscheidet im AASM Manual (2007) fünf Stadien:

  • Wachstadium
  • NonREM1
  • NonREM2
  • NonREM3
  • REM-Schlaf

Die Unterschiede in diesen fünf Stadien sind in dieser Grafik übersichtlich dargestellt:

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Grafik nach Hödlmoser & Schabus (2014)

Grafik nach Hödlmoser & Schabus (2014)

Mit fortschreitender Tiefe des Schlafes in der NonREM-Phase (von N1 zu N3) werden die Augenbewegungen also immer langsamer und weniger. Auch der Muskeltonus verringert sich. Im REM-Schlaf entsteht die sogenannte Schlaflähmung, die immer wieder von phasischen Zuckungen unterbrochen wird. In diesem Stadium gibt es die mit Abstand meisten Augenbewegungen.

Interessant sind aber die EEG-Besonderheiten, welche die Gehirnwellen darstellen. Je länger und weniger frequent die Amplitude, umso tiefer der Schlaf. Die N3-Phase gilt somit als Tiefschlaf.

In der N2-Phase finden sich zwei weitere Unüblichkeiten: Die K-Komplexe und die Schlafspindeln. Die K-Komplexe sind Gehirnwellen mit kleiner Frequenz (12-14 Hz), welche aus einer negativen scharfen Welle und einer direkt darauffolgenden positiven Welle zusammengesetzt sind. Eine besondere Betrachtung verdienen die Schlafspindeln.

Schlafspindeln

Die Schlafspindeln sind besondere Muster der Gehirnwellen, die im zweiten Schlafstadium in zentralen Hirnregionen auftauchen. Es gibt langsame und schnelle Spindeln (11-16 Hz). Die Funktion von Schlafspindeln ist noch nicht geklärt, doch die moderne Forschung geht von drei grundsätzlichen Wirkungen aus:

  1. Schlafprotektive Wirkung
  2. Gedächtniskonsolidierung
  3. Rolle bei subjektiver Schlafwahrnehmung

Schlafspindeln zeigen in Studien beispielsweise, dass sie das deklarative Gedächtnis verbessern. Sie sind sowohl für Löschung als auch für Speicherung und Verbesserung dieser Gedächtnisinhalte zuständig (Schabus et al. 2008; Saletin et al 2011). Die Ergebnisse von Schabus (2006) zeigten auch, dass höhere Spindelaktivität mit einem höheren Wert bei IQ-Tests und stärkeren Lerneffekten korreliert.

Somit ist der Schlafrhythmus bzw. das Erreichen der N2-Stufe sehr wichtig, um deklarative Gedächtnisinhalte zu konsolidieren. Doch wie sieht der Schlafrhythmus insgesamt aus?

Schlafzyklus

Der Schlaf verläuft meistens in 90 Minuten Zyklen, ergo sind es 4 bis 6 Zyklen bei jugendlichem Schlaf (6 bis 9 Stunden), bei Erwachsenen sind es meist 3-5 Schlafzyklen. Zu Beginn des Schlafes überwiegt der nonREM-Schlaf. Insbesondere Tiefschlaf (N3) nimmt im weiteren Verlauf der Nacht ab, der REM-Schlaf hingegen nimmt zu. Allerdings ist der genaue Verlauf auch altersabhängig.

In der Zeit nach der Geburt schläft man 16-18 Stunden, was bis in die Adoleszenz auf 8,5 und in der späten Adoleszen sogar auf 7 Stunden abfällt. Der REM-Schlaf wird ebenso weniger, der Schlaf der Phase 2 nimmt zu und der Tiefschlaf nimmt ab. Im hohen Alter dominiert sogar der Leichtschlaf und es gibt einen sehr fragmentierten Schlaf (vrgl. Ohayon et al. 2004).

Herzfrequenz und Blutdruck sinken im Schlaf zuerst ab, steigen in den REM-Phasen aber wieder an. Die Körpertemperatur nimmt ab, erreicht zur Schlafmitte – meist gegen 3 Uhr morgens – ihr Minimum. Bei der Atmung wird wiederum im Tiefschlaf die Frequenz gesenkt und das Volumen erhöht.

Von Wichtigkeit ist aber eine ganzheitliche Betrachtung des Schlafzyklus. Zu Schlafbeginn werden Wachstumshormone ausgeschüttet, die sich auf Knochen, Muskeln und Organe positiv auswirken sowie Blutzucker und Fett abbauen.

Der circadiane Schlafrhythmus orientiert sich außerdem an externen Zeitgebern. Der endogene Oszillator im Körper fungiert als Schrittmacher, doch er dauert 25 Stunden. Der Lichteinfluss und Hormonhaushalt in Reaktion auf externe Zeitgeber sind die wichtigsten Taktgeber. Die Hormonausschüttung ist auch verantwortlich dafür, dass man aufwacht (Cortisol als Hormon für die Schlafkonsolidierung) und wie man sich im Tagesverlauf verhält.

So ist der Leistungspunkt ungefähr zwei bis drei Stunden nach dem Aufstehen am höchsten, in der arbeitstätigen Bevölkerung also zwischen 9 und 11 Uhr. Der Leistungstiefpunkt im Wachzustand liegt wiederum bei 12 bis 14 Uhr, bevor es wieder bergauf und nach dem Einschlafen scharf bergab zum absoluten Leistungspunkt zwischen 2 und 4 Uhr früh geht.

Neben dem Schlaf als Erholung und zur Gedächtniskonsolidierung gibt es auch die Wirkung von Träumen, welche in der fußballwissenschaftlichen Literatur oft vernachlässigt werden.

Träumen und ihr möglicher Einfluss auf den Fußballspieler

Die moderne Wissenschaft hat den meisten klassischen Traumtheorien den Riegel vorgeschoben werden. Psychodynamische Theorien wie jene von Freud gelten zumindest in ihrer ursprünglichen Konzeption als obsolet. Die Aktivations-Synthese-Theorie von Allan Hobson, welche behauptet, dass unsystematischer und zufälliger Input vom Individuum im Nachhinein zu einer sinnvollen Geschichte konstruiert wird, wird ebenfalls meist abgelehnt.

Stattdessen gelten Theorien zur Verbesserung des Gehirns und seiner Leistungsfähigkeit als wahrscheinlich. Drei solcher Theorien können interessant kombiniert werden:

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Schlaf2

Die Studien von Dement und Kleitman fanden heraus, dass der Mensch sowohl in nREM- als auch in REM-Phasen träumt, die meisten (~80%) sich allerdings nur an die Träume aus den REM-Phasen erinnern. Entgegen der weitläufigen Ansicht träumt man allerdings auch in nREM-Phasen und bei gutgetimten Aufwecken können sich Versuchspersonen in bis zu 60% der Fälle an ihre Träume erinnern. Die nREM- und REM-Phasen können in puncto Trauminhalte so voneinander unterschieden werden:

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Schlaf3

Demzufolge dienen nREM-Phasen (insbesondere N2) eher zu Konsolidierung semantischer/expliziter Gedächtnisinhalte, während die REM-Phase sich um prozedurale/implizite Gedächtnisinhalte kümmert. Die Beeinflussung der REM-Phase zur zielgerichteten Training von Situationen ist ein weiteres interessantes Konzept, welches vereinzelt schon Eingang in den Hochleistungssport gefunden hat.

Luzides Träumen

Als luzider Traum wird ein Traum bezeichnet, in dem man sich über das Träumen bewusst wird. Beim Klartraum können die Träumer den Traum sogar willentlich Steuern und Beeinflussen. In den Büchern von LaBerge und Tholey wird zum Beispiel berichtet, dass die Autoren damit Sportarten erlernt haben oder motorische Abläufe eintrainieren konnten. Was nach einem Gimmick klingt, ist wissenschaftlich bewiesen.

Interessanterweise zeigen moderne Studien wie von Voss, Holzmann, Tuin & Hobson (2009), dass sich auch neuropsychologische und biologische Korrelate des luziden Träumens finden:

  • Die Frequenz der Delta- und Theta-Wellen entspricht den REM-Phasen.
  • Es gibt vermehrt eine Frequenz von 40 Hz im Vergleich zum nicht-luziden Träumen, besonders in den frontalen und frontolateralen Hirnregionen.
    • Somit wirkt es wie eine Mischung aus Wachzustand und REM-Phase.
  • Die Kohärenz der Gehirnverbindungen ist signifikant erhöht im Vergleich zum üblichen REM-Schlaf.

Mithilfe unterschiedlicher Methoden kann sowohl die Traumerinnerung als auch die Traumkontrolle trainiert werden. Ein Traumtagebuch, welches direkt nach dem Aufstehen ausgefüllt wird, hilft bei der Traumerinnerung. Dazu gibt es grundlegende Methoden, um sich im Traum über das Träumen bewusst zu werden.

Ein Beispiel sind die sogenannten Realitätschecks, wo mithilfe von Überprüfungen im Wachzustand, die zur Kontrolle dienen, ob man sich in einem Traum befindet, werden diese auch in den Traum übertragen. Diese Methode wird als Mnemonically Induced Lucid Dream bezeichnet und gilt als herkömmlichste und simpleste Art und Weise zum Erlernen von luziden Träumen.

Durch das luzide Träumen könnten theoretisch z.B. die Koordination oder auch technisch-taktische Aspekte trainiert werden, ohne den Körper zu belasten. Die REM-Dauer korreliert außerdem mit der berichteten Traumberichtlänge, wodurch quasi in Echtzeit diese Komponenten trainiert werden könnten.

Mögliche Implikationen für das Training

  • Training kurz nach der Mittagszeit ist nicht empfehlenswert, auch nicht in Trainingslagern, weil die körperliche Fähigkeiten verringert und die Verletzungsgefahr erhöht ist.
  • Durch die Hormonausschüttung ist es in Anbetracht des homöostatischen Prozesses einfacher später als früher ins Bett zu gehen. Bei Reisen in andere Zeitzonen ist es also besser von Osten nach Westen zu reisen als umgekehrt. Trainingslager sollten dementsprechend geplant werden.
  • Im Amateurfußball bei Schichtarbeitern ist es empfehlenswert, dass diese vor der Nachtschicht (ausgehend einer Startzeit von 21 Uhr) das Training besuchen, es aber nicht komplett mitmachen. Nach der Arbeit in der Früh noch kurz wachzubleiben und danach bis zum späten Nachmittag zu schlafen ist ideal. Arbeiten sie in der Frühschicht ist empfehlenswert, dass sie direkt nach dem Training ins Bett gehen oder das Training früher beenden. Ebenso sind aus biopsychologischer Perspektive die Schichtwechsel von Nachtschicht zu Frühschicht zu Spätschicht am besten.
  • Im Trainingslager sollten Trainings nicht zu früh und nicht zu spät, aber auch nicht mittags abgehalten werden.
  • Schlaf ist wichtig, da Schlafdeprivation zu Verletzungen und schwächere Informationsaufnahme führt. Es reduziert auch die Fähigkeit Glykogen zu speichern, verschlechtert die Reflexe und Entscheidungsfindung, der Kortisolspiegel bleibt hoch, es gibt gleichzeitig weniger Wachstumshormone sowie insgesamt eine schlechtere Regeneration (van Winckel et al. 2014).
  • Im Jugendfußball ist es darum auch empfehlenswert sich eher auf Situationen und Spielformen zu konzentrieren und implizit zu coachen, da der REM-Schlaf in diesem Alter vorherrscht.
  • Zum Verbessern des Schlafes sollten auch die externen Zeitgeber beobachtet werden. Wenige Geräusche und wenig Licht schon ein paar Stunden vor dem zu Bett gehen sollten eingehalten werden, um früh einzuschlafen.
  • Eine Temperatur von 18°C gilt im Zimmer als ideal zum Einschlafen.
  • Nickerchen sollten gemacht werden, aber unter 30 Minuten, um nicht in Tiefschlaf zu verfallen.

 

Quellenverzeichnis (Ernährung):

Atkinson, F.S., Foster-Powell, K., Brand-Miller, J.C. (2008). International Tables of Glycemic Index and Glycemic Load Values. Diabetes Care, 31(12). 2281-2283.

Burke, L., Loucks, A. & Broad, N. (2006). Energy and carbohydrate for training and recovery. Journal of Sports Sciences, 24(7), S. 675-685.

Meert, J-P., Hara, S., Tenney, D. & van Winckel, J. (2014). Nutrition. In J. van Winckel (Hrsg), Fitness in Soccer. The Science and Practical Application (S.43-72). Klein-Gelmen: Moveo Ergo Sum.

Quellenverzeichnis (Schlaf und Träumen):

Hödlmoser K. & Schabus, M. (2014). Physiologie des Schlafes I. Im Rahmen der Vorlesung Schlaf und Bewusstsein der Universität Salzburg im Bachelorstudium Psychologie.

Hödlmoser K. & Schabus, M. (2014). Chronobiologie Traum. Im Rahmen der Vorlesung Schlaf und Bewusstsein der Universität Salzburg im Bachelorstudium Psychologie.

Van Winckel J., Helsen W., McMillan K., Tenney D., Meert J-P. & Bradley P. (2014). Fitness in Soccer. S. 214 & 226. Klein-Gelmen: Moveo Ergo Sum.

Iber C., Ancoli-Isreal S., Chesson A. & Cuan S-F. (2007). The AASM Manual for The Scoring of Sleep and Associated Events: Rules, Terminology and Technical Specifications. 1st ed.: Westchester, Ilinois: American Academy of Sleep Medicine.

Ohayon M., Carskadon M.A., Guilleminault C. & Vitiello, MV. (2004). Meta-analysis of quantitative sleep parameters from childhood to old age in healthy individuals: Developing normative sleep values across the human lifespan. Sleep, 27, 1255-1273.

Saletin J.M., Goldstein A. & Walker M.P. (2011). The role of sleep in directed forgetting and remembering of human memories. Cerebral Cortex, 21, 2534-2541.

Schabus, M., Hoedlmoser, K., Pecherstorfer, T., Anderer, P., Gruber, G., Parapatics, S., Sauter, C., Klösch, G., Klimesch, W., Saletu, B., & Zeitlhofer, J. (2008). Interindividual sleep spindle differences and their relation to learning-related enhancements. Brain Research, 1191, 127-35.

Schabus, M. et al. (2006). Sleep spindle-related activity in the human EEG and its relation to general cognitive and learning abilities. European Journal of Neuroscience, 23(7), 1738-1746.

Voss U., Holzmann R., Tuin I. & Hobson A.J. (2009). Lucid Dreaming: A State of Consciousness with Features of Both Waking and Non-Lucid Dreaming. Sleep, 32(9), 1191-1200.

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Trainingssteuerung

Die primäre Aufgabe eines Trainers ist es natürlich, die Leistungsfähigkeit seiner Spieler zu steigern. Dabei wird aber ein wesentlicher Aspekt leider viel zu häufig ignoriert: Welche Risiken entstehen durch Training?

Wir haben bereits gesehen, dass vor allem Mannschaften von Verletzungen betroffen sind, deren Spieler ein hohes Wettkampfpensum absolvieren müssen. Es ist nur folgerichtig, erhöhte Belastungen als ursächlich für potenzielle Verletzungen anzusehen. Aber Sportler werden nicht nur durch Wettkämpfe belastet sondern ebenso durch das Training. Manche Trainer belasten ihre Spieler im Training sogar deutlich stärker, als diese tatsächlich im Spiel belastet werden. Insofern sollte bei der Ursachenforschung für Verletzungen vor allem die Trainingssteuerung in den Fokus rücken.

Um nachvollziehen zu können, wie sich Belastungen auf den Körper auswirken, müssen einige physiologische Grundprinzipien klar sein. Durch sie sind erste Rückschlüsse möglich, wie man Spieler im Einzelnen, aber auch als Mannschaft weiterentwickeln kann. Darüber hinaus ist ein Verständnis über die ganzheitlichen und systemdynamischen Zusammenhänge des Fußballs wichtig, um zu erkennen, welche Trainings- und Steuerungsmethoden Sinn machen und welche nicht.

1. Die Superkompensation

Um die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern, müssen Belastungsreize zu einer Ermüdung des Körpers führen. Dabei kommt es zu einem Ungleichgewicht der Funktionssysteme des Organismus (Heterostase): Es entstehen Mikrorisse in den Muskelfasern (Muskelkater), die Nährstoffspeicher werden aufgebraucht und Milchsäure sowie CO¬2 stauen sich im Blut an. Verbesserungen der physischen Leistungsfähigkeit werden aber nicht während der Belastung selbst erreicht, sondern bei der Erholung von derselben. In dieser Zeit wird das Gleichgewicht der Funktionssysteme (Homöostase) wieder hergestellt und der Organismus passt sich auf die spezifischen Reize an, um für zukünftige Belastungen „gewappnet“ zu sein. Der Körper stellt nach einer Belastung also nicht nur die Bereitschaft zur Erbringung des gleichen Leistungsniveaus wieder her, sondern steigert im Verlaufe der Erholungs- bzw. Regenerationsphase die Leistungsfähigkeit über das ursprüngliche Niveau hinaus.

Über einen bestimmten Zeitraum wird die höhere Leistungsfähigkeit behalten. Wird dieses höhere Leistungsniveau jeweils für neue Trainingseinheiten genutzt, kommt es im Rahmen der natürlichen körperlichen Grenzen zu einer kontinuierlichen Leistungssteigerung.

Die Regeneration stellt demnach einen wichtigen Aspekt zur Steigerung und Aufrechterhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit dar. In der Erholungszeit werden die erschöpften Nährstoffspeicher wieder aufgefüllt, Zellgruppen aufgebaut/gestärkt und Anpassungen im Nerven-, dem Herz-Kreislauf-System und den Muskeln vorgenommen. Die Erholung kann passiv oder aktiv erfolgen. Zu den passiven Regenerationsmaßnahmen gehören u.a. Schlaf, gesunde Ernährung, und physiotherapeutische Anwendungen. Aktive Erholung findet mittels geringintensiver Bewegungseinheiten statt. Durch lockere und geringkomplexe Übungsformen sollen die Durchblutung und der Stoffwechsel angeregt[1] und mentale Entspannung erreicht werden. Die Bewegungs- und Spielformen können unspezifisch und disziplinfremd sein, um Abwechslung im Training herzustellen. So lässt Guardiola bspw. Basketball spielen. Neben der Intensität ist auch die Belastungsdauer zu reduzieren. Aktive Regenerationseinheiten sollten nicht länger als 60-70min dauern. Auch das cool down, welches am Ende einer jeden Trainingseinheit stattfinden sollte, fällt unter die aktive Erholung.

Ist die Regenerationsphase zwischen den Trainingsbelastungen zu groß, geht der Trainingseffekt verloren. Wird hingegen zu intensiv trainiert, ohne dass der Körper genügend Zeit zur Regeneration erhält, kommt es zum Übertraining. Durch Übertraining sinkt das Leistungsniveau infolge unvollständiger Versorgung mit Nährstoffen ab und es steigt die Anfälligkeit für Verletzungen. Zudem ermüdet das zentrale Nervensystem. Es arbeitet in der Folge langsamer, sodass Signale vom Gehirn zum Muskel und umgekehrt länger brauchen.[2]

2. Die Bedeutung des ZNS

Die Neuroathletiktrainer Lars Lienhard und Martin Weddemann, deren Arbeit wir im letzten Teil dieser Serie vorstellen werden, beschreiben die Bedeutung des zentralen Nervensystems wie folgt: “Das Gehirn und das zentrale Nervensystem sind für die Steuerung jeglicher Bewegungen zuständig. Das Gehirn hat aus evolutionsbiologischer Sicht die Aufgabe, unser Überleben in der Umwelt zu sichern. Dafür muss es Gefahren für den Körper erkennen und ihn auf diese Gefahren aufmerksam machen. Das Gehirn weiß nicht, ob wir gerade Sport treiben oder um unser Überleben kämpfen. Es bekommt Input, analysiert und wertet diesen aus und gibt dann einen Bewegungsoutput. Wenn wir dies aufs Training übertragen, sollten wir dafür Sorge tragen, dass sich unser Gehirn und Nervensystem sicher fühlen und keine Gefahren aus der Umwelt oder aus dem eigenen Körper wahrgenommen werden.

Wird keine Gefahr festgestellt, läuft alles ganz normal weiter. Wird allerdings eine reale oder potentielle Gefahr antizipiert, findet das Gehirn Mittel und Wege, auf diese Gefahr hinzuweisen. Dies äußert sich u.a. etwa durch Krafteinbußen, Bewegungseinschränkungen, diffuse Schmerzen, bewegungsinduzierte oder wiederkehrende Verletzungen. In der Folge sinkt die Leistungsfähigkeit. Werden die natürlichen Schutzmechanismen, wie beispielsweise Schmerzen, ignoriert oder gar ausgeschaltet – wie es manche Profivereine durch das sogenannte „Fitspritzen“ praktizieren –, kann das für den Körper gefährliche Folgen haben.“

Einen großen Stellenwert in der Arbeit von Lienhard und Weddemann nehmen neben dem visuellen und dem vestibulären System die sogenannten Propriozeptoren ein. Diese liefern dem Gehirn Informationen über die Gelenkstellung, Muskelspannung und -Dehnung. Je besser diese Informationsverarbeitung funktioniert, desto schneller können die jeweiligen Muskeln und Gelenke bei intensiven Aktionen (Landung nach Sprung, plötzliche Richtungsänderung im Sprint, Drehung, Antritt, plötzliches Abstoppen) stabilisiert werden. Ist das zentrale Nervensystem in Folge von hohen Belastungen jedoch ermüdet bzw. erschöpft, ist die Kontrolle und Stabilisierung bei explosiven Aktionen geringer oder erfolgt zu spät, wodurch es – infolge von „Umknicken“ oder „Überdrehen“ – leichter zu Verletzungen der Sehnen und Bänder kommen kann.

Neben den bereits genannten muskulären Folgen des Übertrainings können auch Stress, emotionale Unausgeglichenheit bis hin zum Burnout durch Übertraining herbeigeführt werden.[3] Zeigen sich derartige Beschwerden, muss die Belastung verringert oder ganz gestoppt werden; der Körper muss regenerieren. Wie lang eine optimale Regeneration sein sollte und wie sie im Detail zu gestalten ist, weicht je nach Alter, Geschlecht, Fitnesszustand und Leistungsniveau von Mensch zu Mensch ab.

3. physiologische Einflussfaktoren

Es zeichnet sich also ein gewisses Dilemma ab: Durch das Training wird die Leistungsfähigkeit der Spieler erhöht, sodass sie den intensiven Wettkampfbelastungen standhalten können. Eine hohe Belastungsintensität schwächt und ermüdet jedoch Muskeln und Nervensystem und führt so gleichermaßen zur physischen und mentalen Erschöpfung. Die Faktoren, die die Leistungsfähigkeit von Athleten beeinflussen, sind mannigfaltig. So ist etwa die natürliche Veranlagung eines jeden Einzelnen ebenso wie Fitnesszustand und Leistungslevel maßgeblich. Aber auch der altersabhängige Entwicklungsstand von Körper und Geist wirkt sich auf die periodische Schwerpunktsetzung der Trainingsinhalte aus. Kinder und Jugendliche sind aufgrund fortschreitender Entwicklungsprozesse des Nervensystems, der Knochen und Muskeln jeweils anders zu trainieren als Erwachsene. Letztlich müssen in der Periodisierung ganzheitliche Aspekte berücksichtigt werden.

3.1 Leistungsniveau

Je höher die Spielklasse, desto höher ist die allgemeine Spielintensität (näher dazu siehe unten). Darüber hinaus steigt mit zunehmendem Leistungsniveau die Anzahl an Trainings und Spielen (Belastungsumfang). Im Bereich des Hochleistungssports, in dem allein durch eine hohe Zahl von Wettkämpfen die Belastungsintensität über einen langen Zeitraum sehr groß ist, kann es leicht zu Überbelastungen kommen, wohingegen Verbesserungen der athletischen Leistungsfähigkeit kaum noch zu erreichen sind. Um eine Überbelastung zu vermeiden, müssen Umfang und Intensität im Training sogar dosiert werden.

3.2 Alter

Das Alter der Athleten spielt in zweifacher Hinsicht eine entscheidende Rolle. Zum einen haben ältere bzw. trainingserfahrene Athleten, die über eine lange Zeit sportlich aktiv sind, größere Energiereserven, die die Leistungsfähigkeit quasi konservieren (residualer Trainingseffekt).[4] Durch langjähriges Training haben sich viele Organsysteme des Sportlers an die stetige Belastung angepasst und sind so in der Lage, schneller zu regenerieren. Diese Anpassungen gehen ohne Training nur sehr langsam wieder verloren. Derartige Reserven müssen jüngere Athleten erst noch aufbauen. Diesbezüglich regenerieren Sportler, die noch keine jahre- bzw. jahrzehntelange Belastungserfahrung haben, langsamer und benötigen unter Umständen längere Regenerationsphasen.

Andererseits nimmt die Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter ab. Um das 50. Lebensjahr baut die Anzahl der Muskeln in Gestalt der motorischen Einheiten (efferente Nervenzelle mitsamt allen innervierten Muskelfasern) und der Muskelfasern kontinuierlich ab. Mit der Abnahme der Muskelmasse geht ein Zuwachs des Körperfettanteils einher. Vom 5. bis zum 50. Lebensjahr bleibt die Anzahl der Muskeln jedoch stabil.[5]

Auch die Energiebereitstellung durch Sauerstoff nimmt in der altersabhängigen Beeinflussung der Leistungsfähigkeit eine große Rolle ein. Die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max), welche für die Ausdauerleistungsfähigkeit und Energiebereitstellung maßgeblich ist, nimmt ab dem 25. Lebensjahr jedes Lebensjahrzehnt um ca. 9% ab; bei Leistungssportlern beträgt die Abnahme etwa 5%.[6]

3.3 Muskelbeschaffenheit

Auch die natürliche Veranlagung beeinflusst die Regeneration. Dabei geht es vor allem um die Muskelbeschaffenheit. Man unterscheidet zwischen „langsamen“ Muskelfasern (Typ-I-Faser) und „schnellen“ (Typ-II-Faser). Von Geburt an haben Menschen entweder mehr langsame oder schnelle Muskelfasern. „Langsame“ Muskelfasern sind stärker durchblutet und gewinnen ihre Energie aus Kohlenhydraten, freien Fettsäuren und Oxidation (aerobe Energiegewinnung). Aus diesem Grund sind sie weitgehend ermüdungsresistent. Etwas anderes gilt für Spieler, die eher schnelle Muskelfasern (Typ-II-Fasern) haben. Deren Energiequellen stellen Glykogen und Phosphate dar (anaerobe Energiegewinnung), die zwar zu einer schnellen Kraftfreisetzung führen, die Muskeln aber schnell ermüden lassen und länger zur Regeneration benötigen.

Die Regenerationszeit hängt zudem von den biologischen Teilsystemen ab (Heterochronismus der Regeneration).

3.4 Reizintensität und Anpassung

Die Reizschwelle, die überschritten werden muss, um die Heterostase überhaupt herbeiführen zu können, weicht wie die optimale Regenerationszeit je nach Alter, Geschlecht, Veranlagung und Fitnesszustand ab. Untrainierte Menschen brauchen nur geringintensive Reize, um ihre Reizschwelle zu überschreiten, wohingegen Leistungs- und Profisportler ungleich höhere Reize zur Überschreitung ihrer Schwelle benötigen. Unterschwellige Reize bleiben ohne Wirkung, während stark überschwellige Reize zu Übertraining führen können.

Ebenso wie die Zeit der Erholung zwischen den Teilsystemen variiert, ist auch die Zeit der Anpassung in den einzelnen Organsystemen unterschiedlich ausgeprägt. So passen sich etwa Nervensystem, Herz-Kreislauf-System und die Muskulatur schneller an spezifische Reize an als Sehnen, Bänder, Gelenke und letztlich auch die Knochen.

Nerven- und Herz-Kreislauf-System brauchen nur wenige Belastungseinheiten über einige Wochen, um Anpassungen vorzunehmen. Die Muskeln, Sehnen, Bänder und Gelenke benötigen für Anpassungen einige Monate. Da in erster Linie neuronale Vorgänge für die Bewegungssteuerung verantwortlich sind, kann bereits durch wenige Reize eine verbesserte Kontrolle des gesamten Bewegungsapparates erreicht werden. Haben sich die Organsysteme angepasst, müssen die Reize erhöht werden, da gleichbleibende Reize nun keinen überschwelligen Charakter mehr haben.

Wird der Körper über Jahre Belastet und die Reizintensität kontinuierlich gesteigert, wird das erhöhte Leistungsniveau zunehmend stabilisiert und Reserven erzeugt (residualer Trainingseffekt). Im Jugendalter müssen die Belastungssteigerungen behutsam erfolgen. Der im pubertären Wachstum befindliche Körper ist verletzungsanfälliger[7] und kann noch keine residualen Trainingseffekte erzielt haben. Er muss sich daher langsam an die vermehrten und erhöhten Reizintensitäten gewöhnen und bedarf dafür einer ausgiebigeren Regeneration.

3.5 Zwischenfazit

Die Wirksamkeit von Reizen und Erholung werden durch verschiedene Faktoren beeinflusst, die bei jedem Menschen anders ausgeprägt sind. Dafür bedarf es individualisierter Trainingspläne. Die nächste Schwierigkeit ergibt sich aus der Situation einer Mannschaft. Im Gegensatz zu Individualsportlern müssen Mannschaftssportler ein uniformiertes Training bekommen, damit sich die Individuen als Einheit weiterentwickeln. Da aber jeder Athlet auf die gleichen Reize unterschiedlich reagiert, muss das Mannschaftstraining sehr genau geplant und mit den individuellen Trainingsplänen harmoniert werden.

Das Prinzip der Superkompensation stellt also kein Instrument für eine präzise Trainingsplanung dar. Es vermittelt lediglich die Grundprinzipien und allgemeinen Wirkungsweisen von Belastung und Erholung auf den Körper und erlaubt so, einen ungefähren Rahmen für eine leistungsadäquate Trainingsintensität für den Einzelnen, aber auch die Mannschaft abzustecken. Auf Grundlage dieser Prinzipien werden Intensität und Umfang des Trainings saisonal periodisiert.

4. Fußballfitness

Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit bilden die drei grundlegenden physischen Fähigkeiten eines Athleten. Zusammen mit der Koordination und der Beweglichkeit – den motorischen Fähigkeiten – werden sie unter der Kondition zusammengefasst. Jede fußballspezifische Aktion erfordert stets das simultane Beherrschen konditioneller, technischer und taktischer Fähigkeiten. So sind Sprints mit Ball (Dribbling) nicht nur von der Schnelligkeit abhängig, sondern ebenso von der technischen und koordinativen Qualität der Ausführung und müssen einen taktischen Nutzen haben. Sprintaktionen ohne Ball (Anlaufen des gegnerischen Ballführers, Laufduell, besetzen offener Räume) bedürfen neben der Grundschnelligkeit die Beachtung taktischer Prinzipien und eine gute Orientierung im Raum.

Zweikämpfe, Kopfballduelle sowie Pass- und Schussaktionen setzen jeweils eine spezifische Kraft voraus (Zweikampfkraft, Sprung- und Schnellkraft, Stoßkraft). Dazu müssen verschiedene Muskelgruppen in abgestimmten Bewegungen präzise koordiniert werden (Kopplungsfähigkeit). So schießen rechtsbeinige Fußballer mit dem rechten Bein weiter und fester als mit dem linken. Allerdings springen sie regelmäßig mit dem linken Bein ab und erreichen so größere Höhen oder Weiten, als wenn sie mit rechts abspringen würden. Die Grundkraft ist also in beiden Beinen in etwa gleich ausgeprägt.[8] Letztlich sind Koordination und Technik bei der Bewegungsausführung entscheidend und von größerer Bedeutung als die reine Kraft. Dies gilt ebenso für Zweikämpfe, wo koordinative und technische Geschicklichkeit eher über den Ausgang entscheiden, als pure Kraft.

In diversen Studien konnte nachgewiesen werden, dass Fußballer mit steigendem Leistungslevel vermehrt intensive Aktionen (Zweikämpfe, Sprints, kurze Antritte) haben.[9] Zumindest in den drei höchsten englischen Ligen sinken aber Dauer und Distanz jener intensiven Aktionen mit zunehmendem Leistungslevel.[10] Dieser Umstand wird mit dem taktisch klügeren Verhalten und technisch stärkeren Fertigkeiten erklärt, wonach höherklassige Spieler Situationen schneller wahrnehmen und verarbeiten, bessere Entscheidungen treffen, diese besser umsetzen und so insgesamt mehr Aktionen ausführen, dafür aber weniger Laufen müssen:[11] So wird der Ball seltener lang gespielt (weniger Laufleistung), weil sich besser und schneller angeboten wird, was der jeweilige Ballführer früher erkennt. Zweikämpfe können dann mittels Kurzpässen umgangen werden (weniger Kraftaufwand) und im Falle von Ballverlusten kommt man schneller ins Gegenpressing, sodass man zwar nicht langsamer, dafür aber insgesamt weniger laufen muss.

Dahingehend besteht also ein systemdynamischer Zusammenhang zwischen taktischem Verständnis, technischen Fertigkeiten und konditionellen Anforderungen. Um Aktionen auch unter großem Druck mit einer hohen Qualität umsetzen zu können, muss schnell gespielt und sich schnell bewegt werden. Dies führt zwangsläufig zu mehr Aktionen, die wiederum eine höhere Qualität verlangen (Intensität). Es muss also das Ziel sein, die Qualität der Entscheidungen sowie die Qualität und Intensität der entsprechenden Ausführung zu erhöhen. Zeitgleich sollen die Spieler in die Lage versetzt werden, dies über die gesamte Spieldauer möglichst konstant abzurufen. Die Spielintensität wird demnach nicht bloß vom läuferischen Vermögen der Spieler beeinflusst, sondern vor allem durch die technisch-taktischen Fähigkeiten.

4.1 Energiebereitstellung

Durch die Muskelkontraktion – eine durch einen Nervenimpuls (Reiz) ausgelöste Verkürzung des Muskels – werden mechanische Kräfte im Muskelgewebe erzeugt, wodurch der Körper bzw. Teile davon überhaupt erst in Bewegung gesetzt wird. Die Energie, die in den Muskelzellen für diese mechanische Arbeit benötigt wird, liefern ATP (Adenosintriphosphat) und KP (Kreatinphosphat). Kreatinphosphat stellt die Phosphorylgruppe zur Verfügung, die zur Rückwandlung des bei der Muskelkontraktion entstandenen ADP (Adenosindiphosphat) in ATP genutzt wird. Das ATP-KP-System ermöglicht kurze und hochintensive Aktionen unter 15 Sekunden.

Für länger anhaltende Belastungen über 15 Sekunden werden andere Energieträger benötigt. Diese sind Kohlenhydrate und Fette. Kohlenhydrate dienen – umgewandelt in Glykogen – der kurz- bis mittelfristigen Speicherung und Bereitstellung des Energieträgers Glukose (Traubenzucker). Bei vermehrtem Energiebedarf (Belastung ab 45 Sekunden) verwenden die Muskelzellen ihren Glykogenspeicher. Bei einer Belastungsdauer bis 60 Sekunden (intensive Ausdauerbelastung = Kraft- und Schnelligkeitsausdauer) werden Kohlenhydrate unter Bildung von Milchsäure – Laktat (CH3–CHOH–COO-) + Wasserstoff-Kationen (H+) – unvollständig abgebaut (anaerobe Glykolyse). Dabei häuft sich Laktat in den Muskeln an (metabolische Azidose). Wird der leicht alkalische pH-Wert des Blutes von 7,4 unterschritten, kommt es zur Übersäuerung, wodurch die Muskelkontraktion gehemmt wird. Die Übersäuerung äußert sich durch Schmerzen und in einer stark verminderten Leistungsfähigkeit. Um der Azidose entgegenzuwirken, wird Kohlenstoffdioxid abgeatmet. Eine tiefe und beschleunigte Atmung ist die Folge.[12] Das vermehrte Aufkommen von Kohlenstoffdioxid beeinträchtigt die Atmung und Sauerstoffaufnahmefähigkeit, sodass letztlich die Ausdauerfähigkeit sinkt.

Für Belastungen, die länger als 60 Sekunden andauern, werden Kohlenhydrate und Fette durch vollständige Verbrennung (Verbrauch von Sauerstoff = aerob) in ATP und somit Energie gewandelt. Durch den Verbrennungsprozess entstehen die Nebenprodukte CO¬2 und ¬H2O, aber kein Laktat. Dieser aerobe Energiebereitstellungsvorgang findet in den Mitochondrien statt.

Fette dienen letztlich der Energiebereitstellung bei langen Ausdauerbelastungen von geringer Intensität. Dabei werden aber weiterhin auch Kohlenhydrate verbraucht.

Die Belastungen im Fußball sind hinsichtlich Intensität und Dauer sehr unterschiedlich. Einem Intensiven Sprint über 10-15m kann eine längere Erholungsphase folgen, auf die wiederum ein Zweikampf folgt. Wegen dieser sich stets ändernden Belastungsarten werden die einzelnen Energiegewinnungs- und -Bereitstellungsvorgänge im Fußball in fließenden Übergängen begriffen.

4.2 Trainingsgrundsätze

Die athletischen Anforderungen von Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit sind im Fußball also azyklisch. Das bedeutet, dass Aktionen nicht gleichbleibend sind, wie etwa beim 100m-Sprint, wo sich der Athlet in einem möglichst stabil hohem Tempo mit den immerselben (zyklischen) Bewegungsabläufen fortbewegt. Stattdessen variieren die Aktionen im Fußball je nach Situation. So müssen ständig Richtungs- und Geschwindigkeitsänderungen vorgenommen werden, wobei sich Pässe, Schüsse und Zweikämpfe fortwährend abwechseln.

Isolierte Laufübungen – mit einer Intensität von 90-95% der maximalen Herzfrequenz – führen zwar zu konditionellen Verbesserungen der Schnelligkeit und Schnelligkeitsausdauer,[13] sind aber angesichts mangelnder Azyklik und fehlender Spezifik wenig erfolgversprechend, um entsprechende fußballtypische Aktionen, wie das Dribbling oder schnelle Richtungswechsel (multidirektionale Sprints) zu trainieren. Auch Dauerläufe zur Verbesserung der Ausdauerfähigkeit sind aus denselben Gründen für den Fußball nicht zielführend. Mittels Hantel- und Medizinballübungen zur Kräftigung können wiederum nur gewisse Muskelgruppen stabilisiert werden. Die koordinativen Anpassungen (insbesondere Kopplungs- und Orientierungsfähigkeit), die in einer Spielsituation wie dem Zweikampf oder dem Torabschluss notwendig sind, werden so aber unmöglich simuliert. Technisch-taktische Aspekte bleiben gänzlich außen vor.

4.2.1 Ganzheitlichkeit

Die Schulung der technischen, taktischen und konditionellen Fähigkeiten darf angesichts ganzheitlicher Zusammenhänge nicht getrennt voneinander erfolgen. Alles muss zunächst aus der taktischen Perspektive betrachtet werden. Der Spieler nimmt die Spielsituation wahr, verarbeitet die wahrgenommenen Informationen, sucht Lösungen, trifft eine Entscheidung und führt diese aus. Die Ausführung – der technische Aspekt – erzeugt eine neue Situation und der Prozess beginnt von vorn.

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Abb. 5: Phasen taktischen Handelns

Die Strukturen einer Spielsituation werden also durch die jeweilige Qualität der Entscheidung und der darauffolgenden Ausführung der Spieler beeinflusst. Die Qualitäten von Entscheidung und Ausführung hängen wiederum von mentalen und athletischen Voraussetzungen, wie der Beweglichkeit und Ausdauer, ab. Der Grad der Fitness bestimmt, wie lang, wie schnell und wie oft Entscheidungen getroffen und ausgeführt werden können. Dabei arbeiten Nerven- und Muskelsystem auf verschiedenen Ebenen des Spielers (Wahrnehmung, Verarbeitung, Entscheidung, Ausführung) zusammen. Setzt eine Ermüdung ein, nehmen all diese Systeme jeweils qualitativ ab, sodass letztlich die Leistung sinkt. Somit sind Spielintelligenz, Technik und Kondition der Spieler sich gegen- und wechselseitig beeinflussende Faktoren für die Situationsstrukturen.

Würden die Spieler im konditionellen Bereich isoliert und unspezifisch trainiert werden, erreichen sie dahingehend zwar auch ein wettkampfgerechtes Leistungsniveau; die technisch-taktischen Aspekte würden aber wenig bis gar keinen Fortschritt verzeichnen. Diese Defizite werden sich zwangsläufig früher oder später in spielerisch schlechten Leistungen zeigen, was in der Folge durch noch mehr konditionelle Fortschritte wettgemacht werden müsste. Dieser Kreislauf verdrängt die Bedeutung des Spielstils sowie die Festigung technisch-taktischer Mittel und erhöht die Gefahr von Verletzungen infolge einer planlos steigenden Trainingsbelastung. Reine Konditionsformen ohne Ball – und damit ohne Bezug zum Fußball – sind demnach zu meiden. Stattdessen müssen sich viele unterschiedliche Aktionen in einer Übung wiederfinden, um Situationen mit wechselnden Intensitäten und azyklischen Aktionen zu erzeugen.

4.2.2 Kleingruppenspiele

Diese spezifischen und situativen Anforderungen an Fußballaktionen können lediglich in spielnaher Form adäquat geschult werden. Dabei haben sich Kleingruppenspiele und Parcours mit diversen koordinativen und technischen Aufgaben als effizienteste Mittel zur Vermittlung konditioneller Aspekte im ganzheitlich-spezifischen Rahmen erwiesen.[14] In Kleingruppenspielen und Parcours werden in konditioneller Hinsicht sogar die gleichen Fortschritte erzielt wie bei unspezifischen Übungen.[15] Diese werden somit obsolet. Damit es jedoch zu einer Heterostase kommen kann, um konditionelle Verbesserungen überhaupt verzeichnen zu können, muss die Intensität solcher Übungen im Bereich der typischen Wettkampfintensität liegen. Diese liegt zwischen 80 und 90% der maximalen Herzfrequenz.[16] Also (deutlich) unter den 100%, die stets eingefordert werden.

In Kleingruppenspielen ist jeder Spieler häufiger in direkte Ballaktionen involviert, als das im 11-gegen-11 der Fall ist. Mit sinkender Spieleranzahl, erhöht sich die Intensität, wobei in 3-gegen-3-Spielformen der höchste Grad erreicht wird.[17] Um die Intensität weiter zu steigern – wobei die konditionellen Anforderungen ebenso erhöht werden, wie die technisch-taktischen – können neben der Anzahl der Spieler pro Mannschaft auch die zulässigen Ballberührungen verringert werden.[18] Dies führt zu einem Mehr an Aktionen, weil sich schneller angeboten werden muss. Hinsichtlich der Variation der Feldgröße gilt hingegen: wird das Feld vergrößert, steigt die Intensität.[19] In größeren Feldern ist zwar die Anzahl der Aktionen geringer, dafür aber Dauer und Distanz derselben länger. Letztlich steigert auch ein reges Coaching die Intensität.[20]

Um die Fähigkeit die Intensität stabil aufrecht erhalten zu können (Ausdauer) zu erweitern, wird die Dauer der jeweiligen Spielformen nach und nach erhöht (Abb. 9).

Im 2-gegen-2 oder direkten Zweikampfübungen werden die spezifischen Kraftanforderungen geschult. Es kommt zu vielen Zweikämpfen, multidirektionalen Antritten und Sprints sowie Abschlüssen. Diese hohe Intensität kann nur sehr kurz aufrecht erhalten werden. Darum werden mehrere Wiederholungen durchgeführt, zwischen denen die Spieler sich kurz erholen können (intensive Intervallübung). In diesen Übungen kann die Anzahl der individuellen Ballkontakte nicht eingeschränkt werden, da ein hoher Dribblings- und Zweikampffokus herrscht. Mangels Dreiecken ist die Bedeutung des Passspiels sehr gering.

In Kleingruppenspielen mit 3-4 Spielern pro Mannschaft ist die Spielintensität am höchsten. Zwar sinkt die Zahl der intensiven Aktionen gegenüber den 1-gegen-1 und 2-gegen-2-Spielen, dafür steigen aber Dauer und Distanz der jeweiligen Aktionen (extensive Intervallübung). Da nun Dreiecke gebildet werden können, steigt die Bedeutung des Passspiels, wodurch auch das Freilaufen wichtig wird.

Bei Spielformen mit einer Mannschaftsstärke von je 5-7 sinkt die Anzahl der Aktionen abermals. Dies führt zu einer insgesamt geringeren Intensität, weil sich die Spieler zwischen den Aktionen erholen können. Dadurch kann die Spieldauer deutlich erhöht werden (intensive Ausdauerübung). Die Verbesserung der Schnelligkeitsausdauer (Aufrechterhaltung intensiver Aktionen) steht hierbei im Vordergrund.

Ab 8 Spielern je Mannschaft entspricht die Spielintensität überwiegend derjenigen des letztlichen Wettkampfs. Die Aktionen eines jeden Spielers werden wiederum quantitativ weniger, was es den Spielern erlaubt, länger zwischen diesen Aktionen zu erholen. Hierbei geht es vorwiegend um die Ausdauerfähigkeit; also die Aufrechterhaltung vieler intensiver Aktionen (extensive Ausdauerübung).

Lange wurde Fußball als Ausdauersport betrachtet. Zwar ist eine Grundlagenausdauer wichtig, allerdings dominieren im Verlauf eines Spiels kurze intensive Aktionen (Schnellkraft) und Aktionen im laktaziden Bereich (Kraft- und Schnelligkeitsausdauer, Abb. 4). Zwischen diesen Aktionen wird sich erholt. Die Ausdauerfähigkeit der Spieler hat also Intervallcharakter und wird nicht nur durch die Variation von Belastungsumfang und -Intensität trainiert. Die Spieler sollen vielmehr lernen, sich zwischen den Aktionen zu erholen. In den Kleingruppenspielen bis zu 4 Spielern je Mannschaft wird dies noch durch die Unterbrechungen des Trainers gesteuert. In den Spielformen mit 5 Spielern je Team und mehr sollen die Spieler sich selbständig Erholungsphasen zwischen den Aktionen ermöglichen. Dies kann durch Rhythmus- und Tempoänderungen im Angriffs- und/oder Abwehrverhalten geschehen und ist somit auch ein taktischer Aspekt.

5. Periodisierung

Im Verlauf einer Saison und innerhalb einer Trainingswoche sind die körperlichen Voraussetzungen der Spieler niemals gleich, sondern schwanken stetig. Das Training steigert zwar die Leistungsfähigkeit der Spieler; eine hohe Belastungsintensität schwächt und ermüdet jedoch, wie oben gezeigt, Muskeln und Nervensystem, wodurch die Leistungsfähigkeit sinkt und die Anfälligkeit für Verletzungen zunimmt. Um diesen Schwankungen Rechnung zu tragen, sodass einerseits ein wettkampfgerechtes Leistungsniveau erreicht und dieses andererseits ohne Verletzungen stabil aufrecht erhalten werden kann, müssen Umfang und Intensität von Trainingsbelastungen in bestimmten Zyklen erhöht oder verringert werden (Periodisierung).

Während es vor allem in Individualsportarten mit wenigen Saisonhöhepunkten üblich ist, auf bestimmte Wettkämpfe „hinzutrainieren“, um auf den Punkt die volle Leistungsfähigkeit zu erreichen, kann dies im Fußball nicht angewandt werden. Stattdessen muss über die ganze Saison ein möglichst gleichbleibendes Leistungsniveau (ohne Verletzungen) aufrecht erhalten werden können. Dieses Niveau wird in der mehrwöchigen Vorbereitungsphase erarbeitet. Die effektive Gestaltung dieser Prozesse ist ein komplexes Unterfangen und bis heute noch nicht vollends entschlüsselt. Dennoch habt insbesondere die Periodisierungsmodell von Jose Mourinho (taktische Periodisierung) in den vergangenen Jahren gezeigt, wie eine erfolgreiche Trainingssteuerung auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse aussehen kann.

5.1 Trainingszyklen

Es ist umstritten, ob pro Trainingseinheit, Mikrozyklus (1-3 Wochen) oder gar Mesozyklus (4-12 Wochen) spezielle technisch-taktische und konditionelle Schwerpunkte gesetzt werden sollen. Entscheidet man sich für eine Schwerpunktsetzung über die Dauer eines Mesozyklus, besteht die Gefahr, sich nicht auf momentane Anforderungen einstellen zu können, die sich häufig im Laufe von Spielen zeigen. Zudem können in einem Mesozyklus erarbeitete Schwerpunkte im Laufe des nächsten Zyklus wieder vergessen werden oder verloren gehen. Es empfehlen sich daher Schwerpunktsetzungen pro Trainingseinheit oder Mikrozyklus.

Weitere Argumente für eine derartige Periodisierung liefern die sehr komplexen technisch-taktischen Anforderungen im Fußball, individuellen körperlichen Voraussetzungen eines jeden Spielers und die zunehmend verschwindenden Grenzen zwischen den Spielmomenten. Es müssen sämtliche technisch-taktischen Aspekte des Fußballs zeitnah und möglichst ganzheitlich schwerpunktartig vermittelt und geübt werden. Das bedeutet auch im Hinblick auf die athletischen Anforderungen eine ganzheitliche Periodisierung. Eine mesozyklische Schwerpunktarbeit, in welcher erst Kraft dann Schnelligkeit und/oder Ausdauer trainiert werden, wird dieser Ganzheitlichkeit nicht gerecht und ist außer Stande, auf die Bedürfnisse des Einzelspielers einzugehen.

5.1.1 Belastungsbereitschaft im Wochenverlauf

Sportliche Fitness bezeichnet die Leistungsfähigkeit des Körpers und beschreibt damit das Vermögen, Belastungen standzuhalten. Die Ermüdung bzw. mangelnde Frische wiederum deutet daraufhin, dass der Körper diese Fitness nicht komplett ausnutzen kann oder bei Abruf verletzungsanfällig ist. Frische und Fitness werden also voneinander getrennt betrachtet. Das tatsächliche Vermögen, Leistungen abzurufen – die Spielbereitschaft – ergibt sich somit aus der Differenz von Fitness und Ermüdung. Je nach Bereitschaftslevel wird im Laufe einer Woche die Belastungsintensität des Trainings gesteuert, um zum Zeitpunkt des Wettkampfes die höchste Bereitschaft zu gewährleisten.

Am ersten Tag nach einem Spiel ist die Ermüdung aufgrund der Heterostase sehr groß. Wird hier mit geringer Intensität aktiv erholt, damit die Durchblutung angeregt wird, werden die Blutgase (O-2, CO¬2, Laktat- + H¬+) wieder auf das Normalniveau herangeführt, was die weitere Regeneration unterstützt. Am zweiten Tag nach dem Spiel werden die Energiespeicher wieder aufgefüllt und die Muskelzellen regeneriert. Dies erfordert viel Energie, welche für sportliche Aktivitäten fehlt. Die Ermüdung ist an diesem Tag am größten, sodass nicht trainiert wird.

Selbst am dritten Tag nach dem Spiel sind noch nicht alle Spieler vollends von der vergangenen Partie erholt.[21] Junge Spieler, Spieler mit vorwiegend schnellen Muskelfasern oder Spieler, die in den Wochen zuvor eine hohe Belastungsdichte absolvierten, können sogar trainingsfrei bekommen. Bei den übrigen Spielern wird die Intensität für die kommenden Trainingstage erst noch hochgefahren. Ihnen sollten Pausen während der Trainingseinheit erlaubt werden, in denen sie sich erholen können. In den beiden darauffolgenden Tagen wird mit weniger Pausen (Mittwoch) oder mit höherer Intensität (Donnerstag) trainiert.

Am Tag vor dem nächsten Spiel findet eine geringintensive Einheit statt. Die Trainingsintensität wird im Vergleich zu den drei vorherigen Tagen reduziert, um einen erholsamen Übergang zwischen der intensiven Trainingsphase und dem kommenden Wettkampf herzustellen (Tapering).

5.1.2 Morphozyklen

Während der Belastungsperiodisierung soll auch der Spielstil und somit technisch-taktische Inhalte weiterentwickelt werden. Eine geeignete Möglichkeit, dies zu harmonisieren, bieten sogenannte Morphozyklen. Diese sind eine Unterart der Mikrozyklen und bezeichnen den Zeitraum zwischen zwei Spielen. Mittels solcher Zyklen ist es möglich, zeitnah auf die in den vergangenen Spielen gezeigten Leistungen zu reagieren. Die technisch-taktischen Inhalte werden in den Übungsformen derart konzipiert, dass der Ermüdungsgrad berücksichtigt wird. So kann einerseits zeitnah an möglichen spielerischen Defiziten gearbeitet werden, während die Athleten die notwendige Bereitschaft zur Leistungserbringung für das kommende Spiel erhalten.

Liegen 6 Tage zwischen 2 Spielen, werden 3 intensiven Trainingseinheiten dazu genutzt, die konditionellen Elemente gemäß dem ganzheitlichen Ansatz zu fördern. Zwei Tage werden der Erholung gewidmet: Um die Blutgase wieder auf das Normalniveau zu bringen, werden am ersten Tag nach dem Spiel durchblutungsfördernde Bewegungseinheiten (aktive Regeneration) durchgeführt. Fußballtennis, kurze geringintensive Kleingruppenspiele, einfache Abschlussübungen und simple Positionsspiele können hier stattfinden. Am zweiten Tag wird passiv regeneriert. Am Tag vor dem Wettkampf wird geringintensiv trainiert, um die Spieler für den Wettkampf „anzuschwitzen“. Zeitgleich dient diese Einheit als aktive Erholung von den intensiven Einheiten der drei vorherigen Tage. Es wird nur einmal täglich trainiert.

Am Dienstag – dem dritten Tag nach dem Spiel – wird die Intensität für die kommenden Trainingstage hochgefahren. Hier dominieren Spiel- und Übungsformen mit 5-7 Spielern pro Mannschaft (intensives Ausdauertraining, Abb.6).

Auf diese Weise wird die spezifische Schnelligkeit (Laufduell, Dribbling, Pressingbewegungen) in einem gruppentaktischen Kontext trainiert. Die Belastungsintensität ist nicht so hoch, wie beim Krafttraining (am Donnerstag) und nicht so langandauernd, wie beim Ausdauertraining (Mittwoch). Pro Spielform gibt es mehrere Wiederholungen. Zwischen diesen Wiederholungen sollen sich die Spieler einige Minuten von der Belastung erholen.

Am Mittwoch sind die Spielformen für 8-11 Spieler je Mannschaft gestaltet (extensives Ausdauertraining). Diese behandeln gruppen- und mannschaftstaktische Aspekte, sind von langer Dauer und von wenigen Unterbrechungen geprägt. Der mentale Stressfaktor ist wegen dieser wenigen Unterbrechungen in Verbindung mit der hohen Komplexität permanent hoch. Es wird zwar ohne größere Unterbrechungen trainiert, dafür ist aber die Intensität geringer. Die Spieler sollen auf diese Weise lernen, sich innerhalb der Übungs- und Spielformen zwischen den Aktionen zu erholen.

Donnerstag werden die spezifische Kraft und Explosivität (Zweikampf-, Schuss- und Schnellkraft) mittels intensiver Intervall- und Ausdauerübungen geschult. Die Übungen sind für 1-4 Spieler pro Mannschaft und kleine Räume konzipiert (Individual- und Gruppentaktik), wobei 3-gegen-3- und 4-gegen-4-Spielformen dominieren. Das führt zu sehr hohen aber kurzweiligen Belastungen mit mehreren Unterbrechungen und kurzen Erholungspausen. Gleichzeitig ist der mentale Stress für die Spieler nicht so groß wie in den Spielformen des Vortages.

5.2 Saisonphasen

Eine Saison wird grob in vier Phasen eingeteilt (Sommervorbereitung, Wettkampfphase I, Wintervorbereitung, Wettkampfphase II). Je nach Phase ändern sich im Laufe einer Saison Trainingsumfang und -intensität. In der Vorbereitungsphase werden die konditionellen Grundlagen wieder aufgebaut, die in der Sommer- oder Winterpause verloren gegangen sind. In der anschließenden Wettkampfphase wird entsprechend der Belastungsdichte zwischen den einzelnen Spielen die Trainingsintensität angepasst. Der strukturelle Aufbau einer Trainingswoche bleibt jedoch phasenübergreifend gleich (Abb. 8). Lediglich die technisch-taktischen Inhalte werden entsprechend dem Leistungsniveau modifiziert.

5.2.1 Vorbereitungsphase

Es stellt bis heute selbst in den Spitzenligen eine übliche Praxis dar, die Spieler in der Vorbereitungsphase durch ein bewusstes (teilweise unspezifisches) Übertraining völlig zu ermüden, um schnell einen hohen Fitnesslevel zu erreichen. Ein aktuelles Beispiel liefert Hertha BSC unter Pal Dardai, der gleich dreimal am Tag trainieren lässt (Valentin Stocker: „Ich bin jetzt 24 Stunden hier und hab‘ fast 4 Trainings schon gemacht.“). Angesichts der daraus entstehenden Verletzungsgefahren und der Vernachlässigung spielerischer Aspekte – nach Aussage von Neuzugang Mitchell Weiser wird „sehr viel ohne Ball“ gearbeitet – ist ein solches Vorgehen nicht nachvollziehbar. Zudem sind die konditionellen Vorteile nur von kurzfristiger Dauer.

„With the traditional quick built-up there will be more injuries and less playing style development. Will this make the team ready for the first league game?!“ – Raymond Verheijen

Es erscheint kaum plausibel, dass die Spieler in derjenigen Phase, in der sie in sämtlichen Bereichen (Technik, Taktik, Kondition) wieder an ein wettkampfadäquates Niveau herangeführt werden, über die Belastungsgrenze hinaus „gequält“ werden sollen. Denn dadurch sinken die körperliche und geistige, und infolge dessen auch die technisch-taktische Leistungsfähigkeit. Anstatt das Lernen zu fördern, wird es also tatsächlich beeinträchtigt. Und da sich die Teilsysteme des Körpers ohnehin erst im Laufe von Wochen an die Belastungen anpassen (Abb. 3), macht es auch aus biologischer Sicht wenig Sinn, Fitness erzwingen zu wollen. Dem Körper muss nach der langen Pause die Gelegenheit gegeben werden, sich kontinuierlich wieder an höhere Belastungen zu gewöhnen.

Die Sommervorbereitung hat eine Dauer von etwa 6 Wochen. In dieser Zeit sollte die Intensität nach und nach erhöht werden, um sich dem Wettkampfniveau schrittweise anzunähern. Dabei muss zwischen diesen Schritten ausreichend Regeneration ermöglicht werden. Zunächst werden das Herz-Kreislauf-System und die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit auf ein wettkampfadäquates Niveau gebracht. Zu diesem Zweck werden die Trainingsspielformen in den ersten beiden Wochen der Sommervorbereitung auf einem geringintensiven Niveau gehalten. Das bedeutet, dass die individuellen Ballkontakte noch nicht unter 3 beschränkt und die Feldgrößen noch nicht zu sehr erweitert werden. Die Dauer der einzelnen Übungsformen ist noch gering (Abb. 9). Nerven- und Herz-Kreislauf-System passen sich in dieser Zeit nach und nach an die Belastungen an. Um die Heterostase trotz Anpassungen weiterhin herbeiführen zu können, wird die Dauer der einzelnen Übungen jede Woche verlängert. Anschließend wird die Anzahl der Wiederholungen und/oder Serien (die Serien stehen in Klammern) erhöht.

Ab der 3. Woche wird auch die Intensität erhöht, indem nun die jeweiligen Feldergrößen erweitert und individuellen Ballkontakte verringert werden. Diese kontinuierliche Steigerung erlaubt eine ganzheitliche Fortentwicklung der technischen, taktischen und konditionellen Fähigkeiten. Gegenüber klassischen Vorbereitungen sind die spielerischen Fortschritte größer, die Verletzungsgefahr geringer und die Fitness erreicht zum Saisonbeginn das gleiche Niveau.[22] Außerdem können die konditionellen Verbesserungen langfristig aufrecht erhalten werden. Ein Übertraining wird so vermieden. Strategische und technisch-taktische Aspekte werden zunehmend ausgebaut und präzisiert.

Auch die für die angestrebte Strategie notwendigen Taktiken und dazugehörigen Techniken werden periodisch geübt und gefestigt. In der Vorbereitungsphase werden die Grundlagen des gewollten Spielstils vermittelt, damit die Spieler die Ideen und Vorstellungen des Trainers kennen- und verstehen lernen. Hier sind vor allem die jeweils taktik- und strategiepsychologischen Komponenten entscheidend, damit die Spieler lernen, instinktiv die gewollte Strategie anzuwenden.

Die Dauer der Winterpause ist gegenüber der Sommerpause sehr gering (ca. 4-5 Wochen in der Bundesliga). In einigen Spitzenligen Europas (u.a. England, Spanien) gibt es gar keine Winterpause. In den übrigen Ligen kommt der Wettkampf- und Trainingsbetrieb nicht völlig zum Erliegen. Stattdessen wird das Spiel in die Halle verlegt. Aufgrund der geringen Dauer der Winterpause und dem Verlauf der Hallensaison, geht die athletische Leistungsfähigkeit – wenn überhaupt – nur zu einem geringen Teil verloren.

Wird mit der Vorbereitung auf die zweite Wettkampfphase (Rückrunde) begonnen, muss also nicht erst wieder mit den Grundlagen begonnen werden. Stattdessen wird die Wintervorbereitung ähnlich wie die Übergangsphase zwischen Sommervorbereitung und Wettkampfphase I (Wochen 4-5 der Sommervorbereitung, Abb. 9) gestaltet.

5.2.2 Wettkampfphase

In der Wettkampfphase ist die Belastungsintensität über mehrere Monate (August bis November/Dezember & Februar/März bis Juni) sehr groß. So finden neben dem regulären Training regelmäßig Wettkampfspiele statt. Verbesserungen der athletischen Leistungsfähigkeit sind in dieser Zeit kaum noch zu erreichen; stattdessen steigt mit zunehmendem Belastungsumfang die Verletzungsanfälligkeit.[23] Durch adäquate Trainingsreize und optimierte Regenerationsprozesse wird versucht, das körperliche Leistungsniveau beizubehalten und Verletzungen vorzubeugen.

Wie die Periodisierung aussieht, wenn 6 Tage zwischen 2 spielen liegen, wurde bereits gezeigt (Abb. 8). Liegen weniger als 6 Tage zwischen zwei Wettkämpfen, wird der jeweilige Morphozyklus anders gestaltet. Sind zwischen zwei Wettkampfspielen beispielsweise 5 Tage, wird an den beiden Tagen nach dem ersten Spiel wieder regeneriert. Am dritten Tag werden gruppentaktische Aspekte (Schnelligkeit) trainiert, am vierten Tag individual- und gruppentaktische (Kraft). Der Tag vor dem nächsten Spiel dient wieder der Regeneration und der Spielvorbereitung.

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Abb. 10: Morphozyklus (5 Tage zwischen zwei Spielen)

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Abb. 11: Morphozyklus (4 Tage zwischen zwei Spielen)

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Abb. 12: Morphozyklus (3 Tage zwischen zwei Spielen)

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Abb. 13: Morphozyklus (2 Tage zwischen zwei Spielen)

Liegen nur drei oder gar zwei Tage zwischen Wettkampfspielen, bietet sich keine Gelegenheit für intensives Training. Aufgrund der hohen Wettkampfbelastung müssen die Spieler ausreichend regenerieren. Andernfalls steigt die Verletzungsgefahr. Auf Spielformen für 8-11 Spieler wird angesichts der hohen Wettkampfdichte verzichtet. Der Stressfaktor wäre dabei zu hoch. Die Ausdauerfähigkeit wird durch die hohe Wettkampfdichte genug beansprucht.

Europäische Spitzenmannschaften absolvieren neben den regelmäßigen Ligaspielen am Wochenende auch internationale Partien in der Champions League (CL) oder der Europaleague (EL). Häufig finden die Spiele im Rhythmus Samstag – Dienstag/Mittwoch – Samstag/Sonntag (CL) oder Samstag – Donnerstag – Sonntag (EL) statt (englische Woche).

Diese hohe Belastungsdichte wirkt sich einerseits leistungsmindernd, andererseits verletzungsfördernd aus. Obwohl hinsichtlich der Anzahl und Distanz von Aktionen insgesamt keine signifikanten Unterscheide zwischen zwei Spielen innerhalb einer Woche vorliegen,[24] weisen Mannschaften, welche zwei Tage nach einer Wettkampfbelastung gegen Mannschaften spielen, die drei Tage zuvor einen Wettkampf bestritten, eine um 42% niedrigere Siegwahrscheinlichkeit auf. Insbesondere die Torerzielung in den letzten 30 Minuten des zweiten Spiels wird negativ beeinträchtigt.[25] Spielen Mannschaften an einem Mittwoch in der Champions League und am darauffolgenden Samstag in der heimischen Liga, erzielen sie durchschnittlich 0,55 Punkte weniger als sonst.

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Abb. 14: Morphozyklen im Laufe einer englischen Woche (CL)

Spielen Mannschaften an einem Donnerstag in der Europa League und am darauffolgenden Sonntag in der heimischen Liga, erzielen sie durchschnittlich 0,41 Punkte weniger als üblich.[26]

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Abb. 15: Morphozyklen im Laufe einer englischen Woche (EL)

Da sich mehr als 72 Stunden erholt werden müsste, um auf das konditionelle Ausgangsniveau zu gelangen,[27] stellen diese sogenannten englischen Wochen große Probleme für die Trainingssteuerung dar. Tatsächlich ist die Verletzungsrate bei Mannschaften, die zwei Spiele pro Woche bestreiten, erhöht.[28] Innerhalb englischer Wochen sollte also kaum intensiv trainiert werden. Die Einheiten werden primär der aktiven Erholung gewidmet.

Die hier dargestellten Beispiele von Morphozyklen sind der taktischen Periodisierung Jose Mourinhos nachempfunden. In der Saison 2013/14 absolvierte außer Manchester City keine Mannschaft der englischen Premiere League so viele Spiele wie der von Mourinho betreute FC Chelsea (57 Spiele; Länderspieleinsätze und Testspiele sind nicht berücksichtigt). Chelsea erreichte in dieser Spielzeit Platz 3 in der Liga (4 Punkte Rückstand auf Meister Manchester City) und kam ins Halbfinale der Champions League. Trotz dieser hohen Belastung hatte Chelsea in jener Saison die zweitwenigsten verletzungsbedingten Ausfälle (556 Tage). Lediglich Stoke City hatte nur einen Ausfalltag weniger, absolvierte aber auch nur 45 Spiele. Cardiff City belegte in dieser Statistik mit 609 Ausfalltagen Platz Drei (43 Spiele). Manchester City hatte in 57 Spielen 929 Ausfalltage (Platz 7), der FC Arsenal belegte mit 1716 Ausfalltagen den letzten Platz (54 Spiele).

Insofern kann ein positiver Zusammenhang zwischen den oben dargestellten Morphozyklen und einer verringerten Verletzungsanfälligkeit ausgemacht werden. Jose Mourinho schafft es offensichtlich, den Spielern trotz einer hohen Wettkampfbelastung genügend Erholung zu ermöglichen. Dabei erhalten die Spieler eine wettkampfadäquate Kondition und bekommen gleichzeitig viele spielerische Inhalte vermittelt, die es ihnen ermöglichen, auf europäischem Spitzenniveau mitzuhalten.

5.3 Rekonvaleszenz

Verletzungen sind nicht nur dahingehend nachteilig, dass der verletzte Spieler der Mannschaft fehlt. Der betroffene Spieler wird in der Zeit, in der er nicht spielen kann, seine bis dahin erarbeitete konditionelle Leistungsfähigkeit wieder verlieren. Er muss nach Abheilen der Verletzung erneut seine Kondition aufbauen. In diesem Fall entsteht ein Leistungsrückstand des betreffenden Spielers gegenüber dem restlichen Team. Wird die Belastungsintensität nach Wiedereinstieg ins Training für diesen Spieler auf einem sehr hohen Level betrieben, um den Leistungsrückstand schnell wett zu machen, entsteht wiederum eine Gefahr des Übertrainings. Neue Verletzungen können die Folge sein und wenigstens für diese Saison einen Kreislauf an Verletzungen für den Spieler verursachen.[29] Selbst Verletzungen, die in keinem direkten Zusammenhang mit der ursprünglichen Verletzung stehen, sind möglich. Zerrt sich ein Spieler etwa die Bauchmuskeln und fällt infolge dessen mehrere Wochen aus, kann ein übereilter Wiedereinstieg mit hoher Belastungsintensität zu Verletzungen der unteren Extremitäten führen (Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind rein zufällig).

Aus diesem Grund, müssen verletzungsbedingt ausgefallene Spieler – unabhängig von der Saisonphase – langsam wieder an das notwendige Leistungsniveau herangeführt werden. Das bedeutet, dass sie ihre Verletzung zunächst ausheilen lassen und erst dann wieder ins Training einsteigen. Die Dauer des verletzungsbedingten Ausfalls gibt die erneute Vorbereitungsphase für diesen Spieler vor. Fällt ein Spieler mitten in der Saison wenigstens 4 Wochen aus, entspricht das in etwa der Dauer der Sommerpause. Somit fängt der betroffene Spieler wieder bei Null an. Er beginnt unabhängig vom Fitnesszustand der restlichen Spieler mit geringintensiven Übungen und braucht mehr Erholungsphasen, um sich nach und nach an das notwendige Leistungsniveau zu gewöhnen (Abb. 9). Die Einsatzzeiten in Wettkampfspielen werden stetig erhöht.

6. Fazit

Häufig liest und hört man, Fußballprofis seien gegenüber Spitzensportlern anderer Disziplinen trainingsfaul. Schließlich trainieren etwa Schwimmer und Leichtathleten teilweise bis zu 8 Stunden am Tag und haben ausgefeiltere Trainingspläne. Solche Kritiken unterliegen einigen Fehlannahmen. Zum einen ist es in Individualsportarten, wie dem Schwimmen oder der Leichtathletik wesentlich leichter, präzise Trainingspläne zu erstellen. Da jeder Sportler unterschiedlich auf Reize und Regeneration reagiert, ist es eine komplizierte Angelegenheit, das Training für Mannschaftssportler so zu steuern, dass sich sämtliche Teammitglieder einerseits gleichmäßig verbessern; sich andererseits aber nicht verletzen. Es müssen also neben individualisierten Trainingsplänen auch Trainingspläne für eine gesamte Mannschaft erstellt werden.

Zudem sind die Anforderungen in Sportarten wie der Leichtathletik und dem Schwimmen eher einseitig, während Fußballer vielfältige Fertigkeiten beherrschen müssen. Außerdem gibt es im Fußball keine wenigen Saisonhöhepunkte. Stattdessen muss beinahe über die Dauer eines ganzen Jahres und im Abstand von nur wenigen Tagen kontinuierlich ein hohes Leistungsniveau erbracht werden. Um das körperlich und auch geistig durchzuhalten, müssen Fußballer ausgiebig regenerieren.

In den letzten Jahrzehnten ist im Fußball nach dem Vorbild der Leichtathletik periodisiert worden. Das führte einerseits zu unspezifischen und isolierten Konditionseinheiten und war wegen der fußballfremden Praktiken wenig tauglich, um Verletzungen vorzubeugen. Auch die Bedeutung der neuronalen Ermüdung, der Leichtathleten nicht in der Form unterliegen, wie das bei Fußballern der Fall ist, wurde ignoriert. Der Wettkampf endet für Fußballer nicht nach 10 Sekunden intensiver Belastung. Sie müssen noch weitere 1,5 Stunden in unterschiedlichen Intensitäten absolvieren, wobei sie hochkomplexe Aufgaben zu bewältigen haben.

Tatsächlich gibt es noch immer unzählige Lücken hinsichtlich des Wissens um die beste Trainingssteuerung. Wie sich etwa das Wachstum und Änderungen im Hormonhaushalt während der Pubertät auf die körperliche Leistungsfähigkeit und Verletzungsanfälligkeit auswirken, ist nicht vollständig geklärt. Der überwiegende Teil von Studien bezieht sich zudem auf Männer. Zu Frauen und Mädchen liegen teilweise noch überhaupt keine Erkenntnisse vor.

Jedes Detail hat große Auswirkungen auf das Gesamtgefüge. Zu all diesen Themen muss zukünftig weitergeforscht werden, um eben die bestmögliche Trainingssteuerung ableiten zu können. In der Bewertung einzelner Methoden dürfen nur zwei Kriterien ausschlaggebend sein: Ist die Methode leistungsfördernd? In wie fern wird die Verletzungsgefahr gesteigert oder verringert? Bloße Erfahrungen und eingeschliffene Gewohnheiten („Das haben wir schon immer so gemacht.“) sind hingegen keine Bewertungsmaßstäbe. Die Verantwortung gegenüber den Spielern ist zu groß, als ihre Trainingszeit mit ineffektiven Übungen zu verschwenden oder sie mittels unüberprüfter Methoden der Gefahr von Verletzungen auszusetzen. Denn letztendlich sind es die Spieler, die auf dem Platz stehen und Leistung erbringen müssen.


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Interview zum Neuroathletiktraining

Spielverlagerung interviewte Coach Lars Lienhard von der Weddemann & Lienhard GbR – Focus-On-Performance, die Profisportlern ein Trainingskonzept anbietet, das auf den neurologischen Grundlagen des einzelnen Athleten basiert. Lienhard selbst war bereits unter anderem als externer Neuroathletikcoach mit dem DFB bei der letztjährigen Weltmeisterschaft in Brasilien.

Spielverlagerung: Wie unterscheidet sich euer Ansatz von anderen Trainingsmodellen?
Lars Lienhard: Nahezu alle Trainingskonzepte, die sich der Verbesserung von Bewegungen widmen, betrachten Bewegungen durch eine biomechanische Brille. Dabei werden nach der Trainingsintervention ständige Soll-Ist-Vergleiche angestellt, bis sich eine vermeintlich verbesserte Motorik einstellt. Das Gehirn und das Nervensystem als bewegungssteuernde Organe und die individuelle Bewegungsqualität spielen in diesen Konzepten leider kaum eine Rolle. Stattdessen wird von einem übergeordneten, personenunabhängigen Bewegungsideal ausgegangen. Aber Menschen sind keine Roboter, die alle demselben Leitbild entsprechen. Diesen Umstand haben wir zur Grundlage unserer Arbeit gemacht. Wir betrachten den individuellen und aktuellen Status quo des Menschen und versuchen, die neuronalen Hintergründe für den jeweiligen Ist-Zustand zu finden – eine Analyse, die so individuell ist, wie der menschliche Fingerabdruck.

Wie sieht das in der Praxis aus?
Bevor wir mit einem Athleten arbeiten können, erfolgt zuerst eine umfassende Anamnese über den neuronalen und körperlichen Zustand inklusive einer genauen Analyse seiner Verletzungshistorie. Dabei wird eine umfangreiche Untersuchung des Sportlers durch einen Blick in seine neuronalen Hintergründe vorgenommen. Dafür nutzen wir visuelle, vestibuläre und propriozeptive Tests und als wichtigen Basistest eine Ganganalyse aus neuronaler Perspektive. Es werden also mehrere Bereiche betrachtet, um einen individuellen Status Quo des Athleten zu bekommen.

Warum ist das wichtig?
Durch die Anamnese wollen wir eine detaillierte Verletzungshistorie erstellen. Dies zeigt uns, wo das Training gegebenenfalls starten könnte. Hier können anhand der aufgetretenen Verletzungen Rückschlüsse über Gehirnaktivitätsstrukturen (über- oder unterrepräsentierter Areale) gezogen werden (z.B. sind fast alle Probleme auf einer Körperseite etc). Wir gehen der Frage nach der Entstehung der Verletzung nach: Sind die Verletzungen aus Bewegungen entstanden oder durch Fremdkontakt bzw. Gewalteinwirkung von außen? Sind die Verletzungen immer bei ähnlichen Bewegungssituationen entstanden, z.B. Augen rechts oder Drehung nach links? etc.
Die meisten chronischen Probleme, wie etwa ein Beckenschiefstand, haben sehr selten rein mechanische Ursachen, sondern einen neuronalen Hintergrund. Die Bewegung und Haltung des Menschen wird vom zentralen Nervensystem gesteuert, so auch, wenn etwas schiefgestellt wird. Die Ursachen für einen Beckenschiefstand müssen immer individuell in der Historie des Athleten gesucht werden und sind nicht per se durch orthopädische Tests diagnostizierbar. Wenn es zu einem Beckenschiefstand kommt, sind in den meisten Fällen alle bewegungssteuernden Systeme beteiligt. Liefert etwa eine Körperseite dem Gehirn mehr und präzisere Informationen als die andere oder liefert ein Auge beziehungsweise ein Teil des Gleichgewichtssystems deutlichere und präzisere Informationen als die übrigen, werden diese auch mehr benutzt. Die Folge davon: Der Körper „verdreht“ sich.
Der Schiefstand ist also abhängig von Aktivitätsmustern im Gehirn, die vom visuellen, vestibulären und dem propriozeptiven System bewirkt werden können. Das Gehirn versucht, den mangelhaften Input zu kompensieren. Diese Kompensationsstrukturen lassen sich zwar mechanisch als Schiefstand messen. Aber es geht vielmehr um die Software, die hinter der Biomechanik steht.

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Lars Lienhard hier mit der mehrfachen Skeletonweltmeisterin Marion Thees | copyright: focus on performance

Was genau steckt hinter dem visuellen, vestibulären und propriozeptiven System?
Die Augen und das visuelle System sind für die menschliche Bewegung und die Sicherung des „Überlebens“ in der Umwelt die wohl wichtigsten Sinnesorgane. Wenn ich – im übertragenen Sinne – den Tiger nicht sehe, habe ich ein Problem. Zusammen mit dem vestibulären System – dem Gleichgewichtssinn – im Innenohr orientieren und bewegen wir uns im Raum. Das bedeutet, dass die Präzision, Zielgenauigkeit, Stabilität und Balance jeder Bewegung an diese Systeme gebunden ist und von ihnen somit stark beeinflusst werden. Sie beliefern besonders die zahlreichen Hirnareale, die an der Bewegungssteuerung beteiligt sind, mit Input. Unser Gehirn nimmt diese Informationen auf und analysiert sie, um dann den motorischen Output zu bestimmen.
Im visuellen System geht es nicht nur um „gutes Sehen“. Das Sehen speziell im Sport umfasst mit dem Tiefensehen, der Blickwechselgeschwindigkeit, der Nah-Fern-Fokus-Geschwindigkeit oder der peripheren Wahrnehmung sehr viele visuelle Fertigkeiten und findet nicht in den Augen, sondern im Gehirn statt. Sagt bei diesen Fertigkeiten z.B. ein Auge dem Gehirn etwas anderes als das andere, wird unsere Leistungsfähigkeit direkt eingeschränkt.
Das Vestibulär-System sagt uns – grob vereinfacht –, wo oben ist und wie wir uns im Raum bewegen. Dieses Gleichgewichtsorgan kontrolliert also in erster Linie die Bewegung im Raum. Quasi alle Bewegungen des Menschen stehen mit diesem Organ in Wechselwirkung und werden wiederum von der Qualität der Signale beeinflusst. Neuronal sind die Augen und die Gleichgewichtsorgane extrem eng mit der posturalen Kontrolle (Haltung) als auch mit dem Kleinhirn verschaltet und haben direkten Einfluss auf die Muskeln, die für unsere Haltung zuständig sind, sowie auf die Integration aller Signale und die Koordination von Bewegungen. „Unspezifische“ Rückenschmerzen können bei schlechter Signalqualität schnell die Folge sein.

So viel zum Gleichgewicht und dem visuellen Sehen. Was ist mit dem propriozeptiven System?
Das propriozeptive System verarbeitet alle Daten, die von den Nerven-Endigungen im Körper kommen. Es gibt unserem Gehirn die Information, wie wir uns dreidimensional im Raum bewegen. Alle Daten aus den verschiedenen Nerven-Endigungen, die an der Bewegung beteiligt sind, werden zum Gehirn transportiert, analysiert, interpretiert und dann als Bewegungs-Output umgesetzt. Je bessere und genauere Informationen wir aus diesem System bekommen, desto bessere und klarere Informationen erhält unser Gehirn zur Verarbeitung und desto hochwertiger und effizienter kann es agieren.
Wenn zum Beispiel Gelenke im Fußwurzelbereich auf einer Seite blockiert sind, kommen aus diesem Bereich keine klaren Informationen mehr zum Gehirn. Bildlich gesprochen ist dieser Bereich ein „blinder Fleck“ für unser Gehirn. Das Gehirn braucht aber immer Sicherheit und Vorhersagbarkeit. Es kommt zu Schutzreflexen und die Muskelspannungen werden so verändert, dass die nichtkontrollierbare Struktur geschont wird. In der Folge werden die anderen, „klaren“ Strukturen mehr genutzt und die Bewegung läuft um den „blinden Fleck“ herum. Jedoch gehen und stehen wir den ganzen Tag auf den Füßen und müssen bei jedem Schritt das Zwei- bis Dreifache unseres Körpergewichtes auffangen und im Anschluss wieder verarbeiten. Diese Kompensationsstrukturen werden sehr hoch belastet und die Verletzungsgefahr ist enorm, besonders im Spitzensport. Die Konsequenz ist, dass das propriozeptive System wirklich als Basiselement für Athletiktraining gesehen werden muss.

Was passiert, wenn die Systeme nicht optimal arbeiten?
Wenn eine Information falsch, verzerrt oder zu spät im Gehirn ankommt, ist unsere Bewegung in diesem Moment für das Gehirn nicht vorhersehbar und kontrollierbar. Dann ergreift das Gehirn Schutzmaßnahmen, indem es etwa ein oder zwei Gänge zurückschaltet. Ist das Gefahrenlevel zu groß wird sich auch oft für Schmerz als Handlungsaufforderung entschieden. Selbstverständlich wird dadurch die Leistungsfähigkeit drastisch reduziert: die Bewegungsweite, die Kraft, die Reaktionsgeschwindigkeit. Denn aus Sicht des Gehirns besteht die Gefahr einer Verletzung.
Insofern haben die bewegungssteuernden Systeme in höchstem Maße mit unserer Leistungsfähigkeit zu tun. Je besser zum Beispiel das propriozeptives System ausgebildet ist, desto weniger Schutzreflexe (inkl. Schmerzen) nimmt der Körper vor. Infolgedessen arbeitet der Körper viel präziser und hat wesentlich mehr Kraft und Flexibilität. Unser Training führt zum einen zu einer verbesserten Signalqualität, und zum anderen zur gezielten Aktivierung der Hirnareale, die die Verarbeitung und Integration dieses Inputs im Gehirn gewährleisten. Auf die Performance eines Athleten bezogen folgt also ein verbesserter motorischer Output.

Ihr habt vom „Überleben“ und „Schutzreflexen“ gesprochen. Was hat es damit auf sich?
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass unser Gehirn aus evolutionsbiologischer Sicht die Aufgabe hat, unser Überleben in der Umwelt zu sichern. Dafür muss es Gefahren für den Körper erkennen und uns auf diese aufmerksam machen. Unser Gehirn weiß nicht, ob wir gerade Sport treiben oder um unser Überleben kämpfen. Es bekommt Input, analysiert und wertet diesen aus und gibt dann einen Bewegungs- bzw. Handlungsoutput. Wenn wir dies auf ein Hochleistungstraining übertragen, sollten wir dafür Sorge tragen, dass sich unser Gehirn und Nervensystem in der Trainingsbelastung sicher fühlen und keine Gefahren aus der Umwelt oder aus dem eigenen Körper wahrgenommen werden. Werden aber die natürlichen Schutzmechanismen, wie beispielsweise Schmerzen, ignoriert oder gar ausgeschaltet – wie es manche Profivereine durch das sogenannte „Fitspritzen“ praktizieren –, kann das für den Körper gefährliche Folgen haben.
Unser Nervensystem funktioniert im Grunde wie eine Wache, die 24 Stunden, sieben Tage die Woche unsere internen Abläufe und Prozesse sowie unsere Umwelt genauestens beobachtet. Bei dieser Beobachtung bedient es sich aller Systeme im menschlichen Körper; zum Beispiel dem Sehen, Gleichgewicht, Hören, Riechen, Tasten, Bewegungsgefühl, Balance. Das ist wichtig, um ein permanentes Feedback aus dem Körperinneren und der Umgebung zu erhalten. Sämtliche Informationen laufen unentwegt durch einen „Bedrohungsfilter“. Wird keine Gefahr festgestellt, läuft alles ganz normal weiter. Wird allerdings eine reale oder potentielle Gefahr antizipiert, findet das Gehirn Mittel und Wege, uns auf diese Gefahr hinzuweisen. Dies äußert sich u.a. etwa durch Krafteinbußen, Bewegungseinschränkungen, diffuse Schmerzen, bewegungsinduzierte Verletzungen oder wiederkehrende Verletzungen. Kurz gesagt unsere Leistungsfähigkeit lässt nach. Um im Sport zu bleiben: Unser Nervensystem zieht bildlich gesprochen einfach bei Tempo 150 die Handbremse, um uns auf eine Gefahr, die z.B. durch unsere Bewegung im Training wahrgenommen wird, hinzuweisen.

Ihr arbeitet also vor allem daran, dass der Körper als Ganzes sensibler auf innere Reize und Umweltreize reagiert, damit er weniger anfällig für Verletzungen ist und gleichzeitig leistungsfähiger wird. Wie schafft ihr das?
Unsere Interventionsmaßnahmen beruhen im Allgemeinen auf sogenannten „Drills“; also Übungen, die die bewegungssteuernden Systeme betreffen und auftrainieren. Wir arbeiten sportartspezifisch größtenteils mit individuell ausgestalteten und auf das jeweilige „Neuro-Profil“ angepassten Augen-, Gleichgewichts- und spezifischen isolierten Gelenkkontrollübungen um die Qualität des Signalinputs zu verbessern. Diese Übungen werden allgemein ins Aufwärmen eingebaut und/oder als aktive Pausengestaltung genutzt und können recht allgemein gehalten oder auf das spezifische Anspruchsprofil des Trainings abgestimmt werden. Wurde etwa als schwächste Stelle bei einem Athleten ein Koordinationsdefizit auf der linken Seite festgestellt, d.h. sein linkes Kleinhirn braucht mehr Aktivität, so werden diesem Athleten verschiedene Kombinationen von Drills gegeben, die alle in der richtigen Dosierung das linke Kleinhirn aktivieren.
Meist wird ein starker Reiz vor einen kleineren und schwächeren Reiz geschaltet. In diesem Fall: Augen rechts stabilisieren, dann Kopfbewegungen nach links oder links oben oder rechts unten, gefolgt von nicht-linearen Bewegungen auf der linken Seite. Wichtig hierbei ist jedoch immer zu testen, was für welchen Athleten in welcher Dosis am besten wirkt. Daneben sollten die Drills noch ein bis dreimal über den Tag verteilt in Eigenregie vom Athleten gemacht werden, damit die hohe Belastung des Alltags nicht zu Einbußen in der Performance des Athleten führt. Denn im Gang muss pro Schritt das Zwei- bis Dreifache des Eigengewichts durch den Körper remoduliert werden.

Wie arbeitet ihr im Speziellen mit Fußballern?
Nachdem wir die bewegungssteuernden Aspekte angesteuert und optimiert haben, versuchen wir grundlegende Bewegungen zu verbessern, die für den individuellen Spieler wichtig sind. Das betrifft meist natürlich den Torschuss, aber auch positionelle Anforderungen oder die Verbesserung der spezifischen Wahrnehmung. Denn Schnelligkeit im Fußball korreliert nicht immer zwangsläufig mit der reinen Sprintleistung oder der Richtungswechsel-Beschleunigungszeit. Oftmals ist ein viel größeres Problem, dass der Athlet bestimmte Situationen langsamer wahrnimmt und deshalb später reagiert. Es gibt genug Beispiele von läuferisch nicht so schnellen Spielern, die in einer Spielsituation aber unglaubliche, situationsspezifische Schnelligkeitsleistung bringen. Um diese Schnelligkeit zu trainieren, gucken wir zunächst, wo es hinsichtlich der Wahrnehmung Defizite gibt. Eine schnelle Wahrnehmung und die Klarheit der Information aus ebendieser Wahrnehmung sind maßgeblich für den schnellen motorischen Output.

Worin liegt in diesem Bereich die Schwäche von biomechanischen Modellen?
Um überhaupt mit technischen Aspekten arbeiten zu können, legen wir zuerst die neuronalen Voraussetzungen für ein effizientes sportartspezifisches Techniktraining. Wir müssen bei jedweder Bewegung bedenken, dass jede Situation ein spezielles Anforderungsprofil hinsichtlich der motorischen Fertigkeiten an den Athleten stellt. Beweglichkeit, Kraft und Schnelligkeit sind immer körperpositions- und bewegungs- bzw. handlungsspezifisch. Um etwa eine optimale Handlungsschnelligkeit zu erlangen, muss der Athlet daraufhin überprüft werden, ob er den Anforderungen hier auch im vollen Maße Rechnung tragen kann. Ist der Athlet in der Lage, jedes Gelenk in jeder Schrittstellung bei jeder Oberkörperrotations-, Kopf- sowie Augenstellung in der optimalen Geschwindigkeit zu kontrollieren? Des Weiteren muss festgestellt werden, ob die technischen Vorraussetzungen situationsspezifisch vorhanden und vollends kontrollierbar sind. Meist ist dies nicht der Fall und wird auch so gut wie nie isoliert trainiert, obwohl diese Aspekte essenziell für eine gute Schnelligkeitsleistung sind.
Wenn bei einem Athleten außerhalb der reinen Sprintleistung Schnelligkeit beurteilt wird und diese verbessert werden soll, werden in der Regel klassisches Schnelligkeitstraining, Reaktionstraining oder Spielformen durchgeführt, die diese Fähigkeit trainieren sollen. In den meisten Fällen ist es jedoch suboptimal, damit zu starten. Denn eigentlich ist gerade in den Spielsportarten nicht derjenige der Schnellste, der sich am schnellsten bewegt, sondern derjenige, der sich als erster bewegt. Irritierend ist hier, dass es schnell aussieht aber eigentlich nur früher und effizienter stattfindet.

Wie geht ihr vor, wenn ein Spieler Defizite bei bestimmten Aktionen zeigt? Beispielsweise beim Torschuss?
Auch hier sehen wir uns zunächst das neuronale Anspruchsprofil hinter einem präzisen Schuss, unabhängig von der individuellen Schusstechnik, an. Um einen Schuss präzise platzieren zu können, bedarf es mehrerer Fertigkeiten. Zunächst muss die Entfernung bzw. die Tiefenmessung zum Objekt, unabhängig davon ob es sich bewegt oder nicht, ermittelt werden. Im Anschluss erfolgt die Ausführung selbst; der Schuss. Die Augen des Spielers müssen aus seiner Position ein Objekt verfolgen können. Sie müssen ggf. schnell von einer nahen in eine ferne Position springen oder umgekehrt und hierbei dem Gehirn jeweils klare Daten über Tiefe und Geschwindigkeit des Objekts liefern können. Oftmals vermittelt das eine Auge dem Gehirn jedoch etwas anderes als das andere Auge. Die Information eines Auges wird häufig regelrecht unterdrückt und schon sind die Tiefen- und die Geschwindigkeitswahrnehmung des Objekts reduziert. Das Gehirn kann quasi nur schätzen, wo sich das Objekt befindet. Der Bewegungsentwurf des Schusses im Gehirn ist somit nicht so exakt, wie er sein könnte.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Aufmerksamkeitslenkung auf den Bewegungsablauf des Schusses. In der Hierarchie der Bewegungssteuerung sind es die Augen, die hier die wichtigste Rolle spielen. Die meisten Spieler sind beim Schuss zu ziel- und zu wenig prozessorientiert. Sie wenden den Blick zu früh vom Ball hin zum Zielobjekt. Wendet sich jedoch der Blick weg vom Ball, muss das Gehirn quasi schätzen, wo der Ball genau ist und die Bewegung wird im entscheidenden letzten Abschnitt Blind ausgeführt. Die Wahrscheinlichkeit, den Ball optimal zu treffen, sinkt deutlich. Dadurch kommt etwa die Flanke oder der Abschluss nicht so präzise, wie er kommen könnte.
Unser Ziel ist es, dem Athleten zu vermitteln, länger prozess- und handlungsorientiert zu bleiben, um so die Qualität der Bewegungsausführung zu optimieren. Ihm sollte vermittelt werden, wie es sich anfühlt, den Ball genau zu sehen und den Blick länger auf dem Ball zu halten, bis der Fuß den Ball trifft. Verbessert sich diese Fertigkeit, erhöht sich die Schusspräzision meist sehr deutlich.

Ihr habt von der Orientierung im Raum gesprochen, was ja in Verbindung mit dem visuellen System gerade in engen und druckvollen Situationen für den Fußball von großer Bedeutung ist. Könnt ihr auch das Verhalten eines Spielers im Raum beeinflussen?
Wenn ein „gelernter“ oder „intuitiver“ Rechtsverteidiger auf einmal auf links spielen muss, bedeutet das für das Gleichgewichtssystem, das visuelle System und das propriozeptive System des Athleten große Umstellungen. Die Systeme müssen nun meist in den komplett anderen Raum drehen. Das Zweikampfverhalten, die Spieleröffnung kurz gesagt die gesamte Bewegungssteuerung ist anders. Oftmals ist es so, dass die Spieler an den Positionen gut spielen, wo das Gleichgewichtssystem und das visuelle System positionsspezifisch gut funktionieren und der Raum, in den hineingelaufen wird, sehr gut unter „Kontrolle“ ist. Testet man in der Praxis nun diese Systeme, werden hier meist sehr gute Reaktionen gefunden. Hier ist es nun wichtig zu wissen, dass die bewegungssteuernden Systeme nicht dadurch gut funktionieren, dass diese auch im Training mehr trainiert werden. Der Spieler geht intuitiv auf die Seite, wo seine Bewegung den Anforderungen besser Rechnung tragen kann.
Dass die Systeme auf der einen Seite besser funktionieren als auf der anderen hat aber weniger mit reiner Gewohnheit zu tun, sondern ist im Laufe des Lebens, durch Krankheiten, Verletzungen etc. entstanden. Wird ein Außenspieler auf einmal in die Mitte umgestellt oder gar auf die andere Seite, muss er jetzt auf der Position spielen, wo sein Gleichgewicht und/oder sein visuelles System für das Anforderungsprofil dieser Position schlechter funktionieren bzw. wo das Anforderungsprofil der neuen Position nicht auf sein neuronales Profil passt. Das heißt, dass Wahrnehmung, Bewegungspräzision, Koordination, Kraft und Schnelligkeit hier reduziert sind. Im Prinzip ist die Performance insgesamt runtergefahren, weil das Gleichgewichtssystem und die Augen des Spielers den Raum und die Bewegung im Raum nicht so gut kontrollieren können. Dadurch verliert der Spieler Geschwindigkeit bei der Drehbewegung in den neuen Raum und wird erst wieder schnell und sicher in seiner Performance, wenn das Gleichgewichtssystem und das visuelle System wieder durch eine zentrierte Kopfposition justiert sind.
Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die technisch-taktischen Aktionen, wie die Ballannahme oder die Schuss- und Passpräzision sowie das Zweikampfverhalten. Es sind also nicht nur die Füßigkeit, sondern auch die bewegungssteuernden Strukturen für die Performance auf dieser Position verantwortlich. Hier kann man sehr gute Resultate erzielen, wenn das Gleichgewichtsystem mit den Augen anforderungsspezifisch „auftrainiert“ wird. Trainiert man hier also zuerst die Grundlagen, gelingen die technisch-taktischen Umstellungen schneller und effizienter.

Vielen Dank für das Gespräch.

Erfahrungsberichte zum Neuroathletiktraining

Nachdem wir bereits Lars Lienhard, Coach von Focus on Performance, im Interview hatten, möchten wir Euch unsere Erfahrungsberichte nicht vorenthalten. Eine kleine Abordnung von Spielverlagerung und Konzeptfußball war in Bonn zu Gast.

Bericht von Eduard Schmidt, Autor bei Konzeptfußball

Bevor ich in Bonn Martin Weddemann und Lars Lienhard von Focus on Perfomance kennenlernte, meinte ich keineswegs die Funktionsweise des menschlichen Körpers in Bezug auf sportliche Leistung verstanden zu haben, dennoch hing ich unterbewusst auch als reichlich kritischer Geist an einem bestimmten Bild. Einem mechanischen Bild. Einem Bild, das die Ursache von Schmerzen eben auch an der Stelle erkennt, wo sie auftreten. Wenn das rechte Knie schmerzt, muss das rechte Knie behandelt werden. Wenn die Augen so wie bei mir einem ständigen Zittern ausgesetzt sind, so kann man zwar am Augenmuskel eine Operation vornehmen, aber grundsätzlich nichts ändern.

Ich stellte mir Lars, den Neuroathletik-Trainer, als jemanden vor, der mich an ein Gerät anschließt, das mich vermisst, um mich anschließend an ein anderes Gerät weiterzugeben, mithilfe dessen ich trainiert werde. Vermutlich, weil man sich Wissenschaftlichkeit in einer solchen Gestalt denkt oder weil man glaubt, Fortschritt müsse sich in einer gewissen Art der Technologie niederschlagen. Stattdessen finden wir uns nach dem für solche Vorstellungen etwas zu ungesunden gemeinsamen Mahl in einem Gym wieder, das der Erscheinung nach irgendwo zwischen Künstlerwerkstatt und Produktionshalle liegt und wenig mit gewissen Vorstellungen von High-Tech gemein hat.

Lars beginnt zu erzählen von der Wichtigkeit der Augen, des Gleichgewichts sowie des propriozeptiven Systems für die Bewegungsausführung. Vor allem aber sagte er: „Bewegung findet im Gehirn statt“. Ein Satz dessen Tragweite ich nur langsam verstehe, die man womöglich derart abstrakt kaum begreifen kann. Das Ganze funktioniert eben nicht mechanisch. Vielmehr könnte und müsste man es eben als organisch oder systemdynamisch denken. Die Brücke zum Projekt „Spielverlagerung“ bzw. in meinem Falle „Konzeptfussball“ ist geschlagen: Versuchen wir mit Fokus auf die Taktik im Fußball nicht eben das zu tun, was Lars in Bezug auf die Bewegung an sich macht? Weg von alteingesessenen Betrachtungsweisen („So wird es gemacht!“) hin zu anderen rationaleren und variableren Modellen, die vielleicht im ersten Moment nicht intuitiv zu begreifen, aber mit etwas Nachdenken leicht nachzuvollziehen sind. Einen Vorteil besitzt er gegenüber uns vielleicht: Seine Herangehensweise kann praktisch demonstriert beziehungsweise nachgefühlt werden, womit wir ebenso gespannt wie erwartungsvoll beginnen.

Zunächst das Schießen auf ein an die Wand geklebtes Dreieck, mehr nicht. Die einfache wie erstaunliche Aufgabe: Im Moment der Berührung auf den Ball schauen und nicht auf das Ziel. Im Sinne der Übung und der Überwindung des vorhandenen Reflexes auch noch eine Sekunde nach dem Schuss weiter auf den eigenen Fuß blicken, der zuvor die Bewegung ausführte. „Wenn du bei der Berührung ein gutes Gefühl hast, dann hast du auch getroffen“, spricht Lars beruhigend und erklärend zu uns. Tatsächlich werden die Schüsse genauer und gleichzeitig härter. Lars beweist eben das, was er selbst stets von sich sagt: dass er in erster Linie ein Coach ist. Einer, dem praktisch nichts entgeht. „Hast du den Ball wirklich gesehen? Hast du gesehen, wie dein Fuß ihn berührt hat?“. Immer wieder weist er auf Details hin und muntert gleichzeitig dazu auf, den gewohnten Bewegungsablauf beim Schuss nicht aus Verkrampfung zu verändern. Eine simple Übung, die funktioniert und ein erstes Gefühl für diese Art der Methodik gibt. Eine Erklärung lässt sich leicht finden: Das Gehirn nimmt ein Ziel eben genau in dem Moment wahr, in dem es sieht. Es speichert also bereits beim Anvisieren des Dreiecks seine Position ab. Ich brauche es nicht weiter anzuschauen, sondern kann mich auf eine qualitativ hochwertige Bewegungsausführung konzentrieren. Die Genauigkeit lässt sich durch zusätzliche Augenübungen noch steigern, wie wir am Folgetag feststellen werden.

Nun fährt Lars zunächst damit fort, einige Tests durchzuführen, um jene Gehirnareale ausfindig zu machen, die im Gegensatz zu anderen inaktiv sind. So lässt sich einfach ausgedrückt schnell feststellen, ob eher die linke oder die rechte Seite dominant ist. Dazu reicht es beispielsweise schon, während der Kopf leicht nach links oder rechts gedreht ist, seitlich gedrückt zu werden. Bei einer Kopfposition steht man vermutlich instabiler als bei der anderen. Zur Verbesserung der eher schwachen Seite und der inaktiven Areale werden dann spezielle Übungen absolviert, die zunächst von einer in der Kombination beinahe beängstigenden Simplizität und Effektivität sind. Einem sich bewegenden Stäbchen nur mit den Augen folgen. Den Kopf auf eine Seite drehen und anschließend wieder in die Mitte zurück. Einen Fuß oder eine Hand kreisen lassen, während die Augen einen Punkt fixieren. Beim Summen bewusst eine Seite fokussieren. Nach Durchführung ein paar solcher Aufgaben gelange ich beim Hinunterbeugen mit meiner gesamten Handfläche auf den Boden, ohne dass ich mich zuvor gedehnt hätte. Noch vor Start der kleinen Trainingseinheit hatte ich gerade so mit meinen Fingern an ihn heranreichen können. Ein möglicher Test, um die Effektivität der jeweiligen Maßnahme unweigerlich nachvollziehen zu können.

Bei mir wird beispielsweise weiterhin eine gewisse Schwachstelle gefunden, die wohl von Zeit zu Zeit ein Faktor für die ein oder andere Gemütsstörung sein kann. Was nun folgt, ist eine Art der Entspannungsübung, bei der ich gleichzeitig einen Geruch, meinen Herzschlag sowie Wärmeeinwirkung auf den Bauch wahrnehmen muss. Nach mehreren Durchgängen dieser meditativen Einheit wirkt mein Gang plötzlich zügiger und bestimmter. Erst jetzt fallen mir die anderen Sportler auf, die mittlerweile die Einrichtung betreten haben und kurz davor stehen, ihr eigenes Work-Out zu beginnen. Mehr noch: Ich blicke mit meinen Augen mehrere Momente durch die Gegend, ohne dass sie zittern. Daran war also doch etwas zu ändern.

Um die Dauerhaftigkeit des Fortschritts beizubehalten verschreibt Lars mir am nächsten Tag einige Übungen, die ich seitdem regelmäßig durchführe. Allein dass ich, der jedes sportliche Programm abseits des Fußballs nach spätestens ein paar Wochen aufgegeben hatte, daran festhalte, mag für eine gewisse Effektivität sprechen. Die Wichtigkeit eines subjektiven Erlebnisses darf man jedenfalls nicht unterschätzen. Das können wir neben vielem anderen im Fußball nutzen: Der Spieler muss fühlen, was ein richtiger Pass ist, ehe er ihn auch tatsächlich spielen kann. Das geht zunächst nicht über (explizite) Beschreibung sondern vielmehr über (implizites) Erleben.

Wir gehen nun noch gemeinsam auf einen nahegelegenen Bolzplatz, um die Übungen des Vortages mit deren weiteren anzureichern. Dieses Mal treten wir an, das obere Loch einer Torwand zu treffen, was nach einigen Minuten erfolgsstabil gelingt. Zumindest in die Nähe kommen wir nahezu jedes Mal. Anschließend werfe ich mit Lars scheinbar simpel einen Tennisball hin und her, auf dem Ziffern und Zeichen stehen, die beim Fangen gelesen werden sollen. Der Kopf darf dabei nicht bewegt werden, lediglich die Augen. Sie sollen den Ball über die gesamte Flugkurve verfolgen und auch noch in der eigenen Hand auf ihn schauen. Zugegeben: Zunächst überfordert mich das Ganze. Doch irgendwann verstehe ich es in einer Mischung aus eigenem Tun und hervorragendem Coaching. Schnell fliegt der Ball durch die Luft. Die Augen folgen ihm beinahe mannorientiert, erfreut über die Erkenntnis, dass sie sich auch willentlich bewegen können. So also fühlt sich Sehen an.

Dann noch nach Prüfung der Beinstabilität eine Übung zur Verbesserung derselben. Lars macht einen bestimmten Punkt am Fuß des instabilen Beins aus, auf den ich mich bei gleichzeitiger Beugung des anderen Knies leicht stütze, während ich mit den Augen einen Punkt in der Umgebung fixiere. Mehrfach auf und ab. Beim nächsten Test wirkt die Muskulatur, ohne dass ich zwischendurch heimlich ein Krafttraining absolviert hätte, deutlich kräftiger. Sie hält einem deutlich höheren äußeren Druck stand. Der darauffolgende Schuss ist mein bester während der beiden Tage. Ohne auf das Einschlagen des Balls im Kreuzeck zu schauen, weiß ich das. Martin bestätigt mit einem kurzen Jubel diesen Eindruck.

Überhaupt sollte ich Martin an dieser Stelle noch abschließend würdigen. Lars ist ohne Frage das Genie bei Focus on Perfomance. Wie er Bewegungen erkennt und angelehnt an die Methode von Dr. Eric Cobb optimiert, habe ich eindringlich beschrieben. Martin hingegen ist so etwas wie der Menschenfänger, der Organisator, derjenige, der Lars schlichtweg unters Volk bringt. Die beiden harmonieren dabei in einer Art und Weise, die für den Erfolg eines solchen Projekt unablässig ist. Zwischen den Trainingseinheiten unterhalten wir uns viel. Man merkt sofort, dass hier Leute am Werke sind, die die Welt des Fußballs nachhaltig verändern können. Auch wenn Lars diesen allseits geliebten Sport nach eigener Aussage gar nicht wirklich mag, versteht er ihn doch um ein Vielfaches besser als allzu viele andere, die sich Expertentum auf ihre Fahnen geschrieben haben. Bei der Verabschiedung sagt er zu mir sinngemäß: „Wir schaffen das.“ Es ist lange nicht das Ende.


Bericht von MR

Bevor ich meine Eindrücke vom Neuroathletiktraining im Detail schildere, möcht ich kurz anmerken, dass ich mit keiner konkreten Erwartungshaltung an die Sache rangegangen bin. Da jetzt eine ziemlich krasse Lobhudelei folgt, ist es vielleicht relativ wichtig, dass diese auf einer einigermaßen unvoreingenommenen Sichtweise basiert. Ich hatte zuvor nur ein sehr kurzes Interview mit Lars Lienhard gelesen. In Bonn bei Focus On Performance angekommen wurde dann im Gespräch vor dem Training mein Interesse geweckt, indem neben ein paar Ergebnissen auch die Wirkweise dieser Herangehensweise näher erklärt wurde. Als das Training begann, brauchte es nur ein paar Sekunden, um durch erste Resultate auch meine Begeisterung zu wecken.

Wir begannen damit, dass ich kurz meine Verletztengeschichte umriss. Neben einem Knorpelschaden im linken Knie mit 18 Jahren schleppe ich seit mittlerweile bald 10 Jahren ständige Muskelprobleme im linken, hinteren Oberschenkel mit mir herum (etliche Zerrungen und wahrscheinlich mehrere Faserrisse). „Ich hab immer wieder zu früh angefangen“ meinte ich zu Lars, der mir sofort widersprach. Das habe nichts damit zu tun gehabt, sondern sei ein Steuerungsproblem im Hirn. Was mir umgehend auch eindrucksvoll belegt wurde: Zum Testen meiner Hirnaktivität (?) sollte ich mit geschlossenen Augen verschiedene Finger zu meiner Nase führen. Wir stellten fest, dass mir das mit links bedeutend leichter fällt. Bei diversen Fingern der rechten Hand waren die letzten Zentimeter ein bisschen „blockiert“ und die Hand begann zu zittern. Daraufhin sollte ich mich, wiederum mit geschlossenen Augen, im Kopf fünf Mal rechts herum um meine eigene Achse drehen – wohlgemerkt: nur in meiner Vorstellung. Gesagt, getan. Danach wiederholten wir den Test mit den Fingern und schon beim ersten Finger von rechts erschrak ich förmlich, da ich die Bewegung viel leichter und schneller umsetzen konnte. Statt auf den letzten Zentimetern abzubremsen, beschleunigte meine Hand nun regelrecht. So ein massiver, klar spürbarer Unterschied in der Motorik nach einer rein gedanklichen Übung von ein paar Sekunden war erst einmal höchst beeindruckend.

Vor dieser Übung sollte ich übrigens meine Beweglichkeit testen. Ganz normal, Beine durchstrecken und Handspitzen zu den Füßen. Vor der Übung war ich 15-20 cm vom Boden entfernt, beim erneuten Testen kam ich ohne jede Anstrengung rund 10 cm weiter runter. Ich mache diese kleine Rotation im Kopf nun übrigens regelmäßig vor dem Sport (und teilweise auch kurz währenddessen) und die Ergebnisse sind absolut zuverlässig reproduzierbar.

Anschließend machten wir die Schussübung, die Eduard bereits näher beschrieben hat. Ich startete aber erst einmal mit freiem Spielen auf die Wand. Nach kurzer Zeit unterbrach Lars und wir machten eine kleine Augenübung: Er führte mir eine Art metallenen Lolli langsam in Richtung der Augen. Ich sollte konzentriert einen Punkt darauf fokussieren, „achte auf die Lichtreflexion“. Anschließend spielte ich wieder frei auf die Wand und merkte sofort eine klare Verbesserung im Spielgefühl. Vor allem war meine Wahrnehmung des Balles in direkter Körpernähe bedeutend besser. Ich sah viel klarer die Aufsprungbewegungen des Balles, die Bewegungsgeschwindigkeit und die Höhe über dem Boden. Dadurch begann ich auch automatisch, mich deutlich sauberer zum Ball zu positionieren und das ganze Hin- und Her wurde spürbar flüssiger. Anschließend begann ich auf ein an der Wand angetaptes Kreuz zu schießen, wobei ich zunächst eine beständige Streuung von rund einem halben Meter hatte, ganz genau das Kreuz traf ich kein einziges Mal, soweit ich mich erinnere. Dann sollte ich aufhören dem Ball nachzuschauen und stattdessen noch eine Sekunde lang nach Ballkontakt mit dem Augen auf dem Ball bleiben. Das ist erst einmal gar nicht so einfach, da man ja in seinen Bewegungen sehr festgefahren und automatisiert ist. So gelang es mir auch bei den ersten drei, vier Mal gar nicht. Beim etwa fünften Versuch hielt ich den Blick unten und dachte sofort explizit, dass ich es dieses Mal korrekt umgesetzt hatte. Ich hob den Blick und der Ball schlug exakt auf dem Kreuz ein. Erneut ein sofortiges, beeindruckendes Ergebnis. In der Folge blieb es dabei, dass es mir nur hin und wieder gelang, meinen Blick richtig zu steuern. Wenn ich den Ball fokussierte, aber meine Anlauf- oder Schussbewegung dabei veränderte (zu viel Nachdenken, man kennt das), dann traf ich nicht. Aber in den Momenten, wo ich meine natürliche Schussbewegung mit einem klaren Blick auf den Ball verband, landete der Ball jedes Mal exakt auf dem Kreuz. Am nächsten Tag an der Torwand war es das gleiche Spiel.

Anschließend sprachen wir mit Lars über Positionen. Lars meinte, er könne mir meine Position bzw. meine bessere Spielfeldseite sagen, ohne mich jemals spielen gesehen zu haben. Dafür machte er einen simplen Test, um festzustellen, ob ich beim Blick nach rechts oder nach links ein besseres Gleichgewicht habe. Es ist wohl so, dass 95% aller Profifußballer, die auf der linken Seite spielen ein besseres Gleichgewicht mit Blick nach rechts haben – also die Blickrichtung, mit der sie ins Feld „hinein“ schauen. Und andersherum. Mein Gleichgewicht war mit Blick nach rechts besser, was mich nicht überraschte – gleich mehr. Aber wie stark sich diese Tendenz auf Aktionen auswirkt, war dann doch mehr als überraschend. Erst demonstrierte mir Lars das, indem er mich einfach versuchte von der Seite wegzudrücken, während ich mit Körperspannung dagegen hielt. Mit Kopfhaltung nach vorne und nach rechts konnte ich mich gut dagegen stemmen. Mit Kopf nach links konnte Lars mich wegschieben wie Butter. Diese Metapher macht jetzt keinen Sinn, aber ungefähr so hab ich mich dabei gefühlt. Dass die Richtung der Kopfdrehung so stark die effektive Körperkraft beeinflusst, hätte ich nie erwartet und ist natürlich ein immens wichtiger Aspekt für das Zweikampfverhalten im Fußball. Deshalb war das wohl auch die Passage, die für mich wohl am stärksten „mindblowing“ war. Während es bei all den Wahrnehmungs- und Hirnaspekten ja um Dinge ging, auf die man schwer durch Beobachtung kommen kann, bewegten wir uns nun im taktischen Feld und sprachen über Aspekte, die ich schon tausend Mal selber gesehen und gespürt hatte.

Kollege und Analyse- wie auch Intuitionsmaschine RM meinte interessanterweise mal zu mir, dass er mich als einrückenden Linksaußen ausgebildet hätte, was mich damals noch arg irritierte, weil ich von den Fähigkeiten her eindeutig ein Spieler für’s Zentrum bin. Ich hatte seitdem aber auch schon festgestellt, dass ich von der linken Seite aus bedeutend effektiver bin, zumindest als von rechts. Das hatte ich bisher jedoch vor allem darauf geschoben, dass ich eben Rechtsfuß bin. Nun ist mir klar, dass das nur ein kleiner Teil der Erklärung ist. Ich bin übrigens von rechts auch dann am effektivsten, wenn ich leicht nach hinten knickend einrücke, sodass ich das zu bespielende Feld und das Tor also mit Blick nach rechts wahrnehme. Ebenfalls spannend: Erst am Tag davor hatte ich bei einem Punktspiel drei Aktionen, bei denen ich mich über fehlende Präzision wunderte. Zwei davon waren Ablagen – die ich mit Blick nach links spielte. Und die dritte war ein ungestörter Schuss von rechts, den ich statt im langen Eck vor dem kurzen Pfosten im Außennetz platzierte. Dieser war nach einem langen, flachen Pass von links den ich sekundenlang verfolgte – natürlich mit Kopfdrehung nach links. Ich konnte mittlerweile auch bei zwei von mir trainierten Spielern einige merkwürdige taktische Verhaltensweisen durch ihr Gleichgewichtssystem entschlüsseln. Das Wissen um die Bedeutung dieses Aspekts ist unheimlich wichtig für die Einschätzung und Einordnung von taktischem Verhalten und individueller Präzision und sollte absolutes Basiswissen unter Fußballtrainern (oder Trainern allgemein) sein. Übrigens: Lars arbeitete letztes Jahr in Brasilien intensiv mit Benedikt Höwedes, als dieser von der gewohnten rechten auf die linke Seite versetzt wurde. Wer weiß, wie das ganze sonst gelaufen wär…

Nach dem Feststellen meiner „starken Seite“ machten wir noch eine kurze fußballspezifische Übung dazu. Lars spielte mir Bälle von der rechten Seite zu, ich sollte sie einfach in den Raum mitnehmen – lief alles sauber und problemlos. Anschließend bekam ich die Bälle von links. Die Ballmitnahmen waren nun (mittlerweile erwartungsgemäß) wesentlich unsauberer, die Bewegung war etwas schwergängiger und langsamer. Die Bälle versprangen jetzt nicht katastrophal; wenn einem im Spiel sowas passiert, läuft das unter normaler technischer Streuung. Daher merkt man von selber wohl diesen Effekt nicht. Aber wenn man es fokussiert von beiden Seiten testet, stellt man doch einen ganz klaren Unterschied fest. Ich sollte dann kurz im Stand ganz banal die Kopfdrehung nach links konzentriert üben. Anschließend bekam ich wieder die Pässe von links – und siehe da: Nun liefen die Ballmitnahmen direkt viel flüssiger und sauberer. Ziemlich geil. Anschließend war ich auch beim Runterstoppen hochgelupfter Bälle ungewohnt konstant sauber.

Am zweiten Tag kamen dann noch weitere Dinge dazu. Beispielsweise zeigte mir Lars einen sogenannten Gelenk-Drill, eine Dehnungsvariante für eine Stelle im Fußgelenk, die sofort zu mehr Standfestigkeit und Beinkraft führte. Wir machten noch ein paar Augenübungen wie die von Eduard genannte mit dem Verfolgen eines Tennisballes. Der Konzentrations- und Rhythmusaspekt dabei führte bei mir – wohl als ungewollter Nebeneffekt – übrigens kurzzeitig zu einem Zustand von enormer Ruhe und Konzentration, den ich bisher nur ganz vereinzelt mal hatte und der mit guten fußballerischen Leistungen einhergeht. Als ich das bemerkte, versenkte ich auch erst einmal einen Ball völlig unbeschwert im oberen Loch der Torwand.

Obwohl wir es leider bei zwei recht kurzen Sessions belassen mussten und auch neuroathletisch nur ganz oberflächlich gecheckt wurden, sind die Ergebnisse schon nach kurzer Zeit ziemlich erwähnenswert. Vor allem sind meine Probleme mit dem hinteren Oberschenkelmuskel selbst ohne Aufwärmen völlig verschwunden. Die wurden in den zwei Monaten vorher zwar schon viel besser, aber nun hab ich den Eindruck, ich hätte mit dem Muskel nie Probleme gehabt. (Dabei hatte ich das Ding sozusagen schon abgeschrieben, so oft wie der kaputt gegangen ist.) Ansonsten hab ich das Gefühl, dass sich meine Koordination, mein Antritt und sogar meine Regeneration merklich verbessert haben, wobei das natürlich nicht so leicht überprüfbar ist. Das Wissen um die Gleichgewichtsaspekte ist übrigens auch auf dem Platz nutzbar: In einer Szene, wo ich in einer Bewegung nach rechts außen den Ball an der Strafraumecke bekam, drehte ich mich bewusst nicht wie gehabt in Laufrichtung nach links, um den Raum anzusteuern, sondern brach lieber die Bewegung ab und dreht mich über rechts sozusagen „nach hinten“, wodurch ich dann unter mehr Druck stand, aber den Ball schnell und sauber mit Außenrist ins lange Eck schlenzen konnte.

Fazit: Ich will nicht behaupten, dass Neuroathletik die Welt retten wird, aber man müsste mir schon eine utopische Quote anbieten, damit ich dagegen wette. Neuroathletik erscheint mir in puncto Verletzungsprävention, Reha, Athletiktraining und Techniktraining ein extrem mächtiges, regelrecht unverzichtbares Tool zu sein, verbindet so nebenbei mal die athletische und die taktische Ebene des Fußballs miteinander und liefert dazu noch gute, konstruktive Erklärungsansätze für individuelle Schwächen und Fehler von Sportlern (im Gegensatz zu „so ein Fehler darf auf diesem Niveau nicht passieren!“). Eigentlich ist es nur traurig, dass quasi die ganze Welt ohne diese Erkenntnisse Sport macht. Der Sport braucht eigentlich so schnell es geht so viele Neuroathletik-Trainer wie möglich. Das ist die Zukunft.
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(Spiel-)Kreativität im Fußball

Die Kreativität wird im Fußball häufig als eine der Schlüsseleigenschaften gesehen. Im Trainingsbetrieb wird sie dennoch oftmals übersehen.

Kreativität im Spiel und in der Wissenschaft

Die Suche nach wissenschaftlicher Literatur zu diesem Thema gestaltet sich bereits äußert schwierig. In der Recherche finden sich nur wenige Studien, welche sich explizit mit diesem Aspekt beschäftigen und die meisten beziehen sich lediglich auf die Kreativität als Persönlichkeitseigenschaft, nicht als Fähigkeit eines Akteurs in Sportspielen. Allerdings gibt es zumindest im deutschen Sprachraum lesenswerte Literatur.

Besonders tat sich in den letzten Jahren Prof. Dr. Daniel Memmert hervor, der eine Koryphäe der Forschung im Fußball ist. Zur Info: Memmert ist Institutsleiter für Kognitions- und Spielsportforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine Arbeit ist in diesem Bereich wohl auch weltweit federführend.

So finden sich in seinem Artikel „Kreativität im Sportspiel“ aus dem Jahr 2012 interessante Punkte aus der (Spiel-)Kreativitätsforschung, in der Memmert eigene Forschung betreibt. Insgesamt unterscheidet Memmert fünf unterschiedliche Forschungsaspekte:

  • Eine grundlagenorientierte Forschung über die Wirkungsmechanismen der kreativen Entwicklung sowie den Zusammenhang kognitiver Leistungen und visueller Aufmerksamkeitsprozesse (z.B. über die Wirkeffekte der inattentional blindness in Sportspielkontexten)
  • Theorie-Praxis-Transfer, u.a. mithilfe von sportartspezifischen Kreativitätstests
  • Analyse von direkten und indirekten Umwelteinflüssen auf kreative Sportler, wo sich u.a. zeigte, dass Wahrnehmungsvielfalt einen positiven Effekt auf kreative Entwicklung hat. Hier sind das „deliberate play“ und „deliberate practice“ wichtig.
  • Die erwähnten neuronalen Netzwerke, welche eine prozessorientierte Perspektive wiedergeben
  • Möglichkeiten für die Umsetzung in der Sportwissenschaft mithilfe motivationaler Theorien

Als theoretisches Fundament für die Definition der Kreativität – und somit die Grundlage für die oben angeführte Basis – fungiert die klassische Kreativitätstheorie Sternbergs.

„Kreativität ist die Fähigkeit etwas zu vollbringen, dass sowohl neuartig (original, unerwartet) als auch adäquat ist (nützlich, passend, an die Einschränkungen der Aufgabe angepasst)“

Dies kann sich nach Sternberg auf acht unterschiedliche Arten äußern:

  • Replikation (replication)
  • Re-Definition (redefinition)
  • Weiteres Vorwärtsbringen im Sinne der aktuellen Richtung (forward incrementation)
  • Weiteres Vorwärtsbringen über den Punkt hinaus, wohin andere gehen würden (advance forward movement)
  • Re-Direktion (redirection)
  • Re-Direktion in die Vergangenheit (redirection from a point in the past)
  • Neustart / Re-Initiation (starting over / re-initation)
  • Integration zweier unterschiedlicher Ideen in eine (integration)

Basierend darauf entstand folgendes Modell, welches grundsätzlich das Konstrukt der Kreativität in seiner Gesamtheit abbilden soll und obige Definitionen beinhaltet:

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Kreativität1

Die meiste Forschung konzentriert sich vorrangig auf die Interaktion von Ressourcen und die bereichsrelevanten Kreativitätsfähigkeiten. Für ersteres taugen – wenn auch nicht gänzlich perfekt – die Bücher „The Talent Code“ von Daniel Coyle und „The Gold Mine Effect“ von Rasmus Ankersen. Die taktische Analyse konzentriert sich auf die bereichsrelevanten Kreativitätsfähigkeiten und – teilweise – auf Entwürfe von kreativen Vorhaben, ebenso wie natürlich die Gehirnforschung (aus einer anderen Perspektive) dies deutlich tiefgreifender macht.  Die statistische Analyse bezieht sich vorrangig auf die Evaluation der kreativen Produkte. Memmerts Werke konzentrieren sich vorrangig, aber nicht nur, auf die ersten beiden Aspekte.

Aus diesem Modell Sternbergs (u.a.) wurde von Roth das sogenannte konvergente taktische Denken und divergente taktische Denken abgeleitet. Ersteres ist mit dem Begriff der Spielintelligenz gleichzusetzen; einem fast schon klischeehaft und inflationär gebrauchten Wort in der Bewertung und Ausbildung von Sportlern. Letzteres wird als Spielkreativität bezeichnet.

Grundsätzlich ist jedoch die Frage nach dem Sinn einer solchen Unterteilung zumindest kritisch zu stellen. Spielintelligente Bestlösungen gibt es nicht als objektive Bestlösungen. Sie müssen immer spezifisch zu einer bestimmten Strategie bzw. dem Spielmodell und besonderen Zielen zu sehen sein. Auch der Gegner und die Konkurrenz spielt hier eine Rolle. Diese Faktoren machen eine objektive Bestlösung zumindeset in dynamischen und komplexen Sportarten unmöglich, insbesondere weil die genaue Funktionsweise (zumindest in Teamsportarten) von Erfolg nicht eindeutig klärbar ist.

Notes Towards A Critique Of Twentieth-Century Psychological Play Theory von Brian Smith ging zumindest ansatzweise in eine solche Richtung. So kritisierte er die Segmentierung und isolierten Einzelbetrachtung von Spielen und Spielern, welches anhand der Teamsportarten ebenfalls passend ist; die kollektive, interagierende Natur ist entscheidend zum Erreichen der Ziele und insofern ist der jeweilige Gegenüber Mitgründer dafür, dies zu schaffen.

Dies ist auch der Hauptgrund, wieso Spielformen aller Art vermehrt im Training genutzt werden und sich als überaus effektiv zeigen. Charlotte Bühler prägte zum Beispiel den Begriff der „Funktionsspiele“, welches ich persönlich als Wort für die Methode der spielformorientierten technisch-taktisch-strategischen Spielerausbildung nahezu als ideal sehe.

Nichtsdestotrotz ist Roths Modell schon rein aus praktischen Gründen durchaus nützlich und haltbar. Dennoch sollte die genaue Art der Definition nochmals geprüft werden.

Der Schwelleneffekt mit Intelligenz und die Bedeutung für die Spielertypen

Wer sich näher mit Psychologie beschäftigt hat, dürfte vom Schwelleneffekt der Kreativität mit der Intelligenz gehört haben. Demzufolge können wenig intelligente Personen nicht wirklich kreativ sein, sehr intelligente Personen müssen aber nicht unbedingt kreativ sein, besitzen aber die kognitive Veranlagung dazu. Insofern können leicht überdurchschnittlich intelligente Personen auch extrem kreativ sein. Deswegen ist folgendes Schema Roths nicht haltbar:

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Kreativität2

Der sogenannte „verrückte Spieler“ kann zwar in diesem Schema divergent denken, aber seine Aktionen sind letztlich oftmals zwar unorthodox, aber nicht konstant zielführend und strategisch effektiv. Ein „intelligenter Spieler“ verfügt nicht über das divergente Denken, während ein „kreativer Spieler“ alle Fähigkeiten besitzt. Diese Einteilung finde ich schlichtweg falsch, da ich den zugeschriebenen Attributen widersprechen würde.

Der verrückte Spieler kann meiner Meinung nach nicht kreativ agieren, weil ihm die intelligente Basis fehlt, um kreative (also auch effektive und nützliche Sachen) zu kreieren. Die Aktionen des „verrückten Spielers“ sind in der Regel nur zufällig effektiv, insofern sollte diese Bezeichnung überdacht werden. Sogar die Fähigkeiteneinteilung des intelligenten Spieler ist nicht optimal, auch wenn nicht grundsätzlich falsch. Für mich bietet sich darum ein anderes Schema an.

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Kreativität3

Hier habe ich versucht die Funktionsweise in die Definition des Spielertyps zu integrieren. Der Spieler mit hoher Spielintelligenz, aber ohne Kreativität, ist schablonenorientiert. Er verfügt über erfolgsbringende Strategien, kann diese aber taktisch nicht effektiv anpassen oder unorthodox verändern, um zusätzlichen Erfolg zu bringen. Der musterorientierte Spielertyp besitzt diese strategisch wichtigen Schablonen, kann aber effektiv und nützlich aus diesen herausbrechen, um die richtige Lösung in unüblichen Situationen bzw. unübliche (und korrekte) Lösungen in typischen Situationen zu finden. Der orientierungslose Spieler kann zwar versehentlich ebenfalls unübliche Lösungen an den Tag legen, ihre Wirkung ist allerdings zufällig.

Anhand dessen wird auch klar, dass Spielintelligenz und Spielkreativität nicht voneinander isolierbar zu trainieren und betrachten sind. Vielmehr müssen sie im Trainingsbetrieb gemeinsam aufgebaut werden.

Spielkreativitätstraining und Spielintelligenztraining

Meistens werden im Training der Spielintelligenz Situationen kreiert, welche bestimmte taktische Probleme abbilden und die Spieler dahingehend schulen sollen, wie sie im Rahmen der Vorstellungen des Trainers bzw. dem Spielmodell der Mannschaft diese zu lösen haben. Viele Trainer generieren dabei sehr eindeutige, repetitive Situationen und/oder nutzen explizite Kommandos zur Ausbildung der Spielintelligenz. Dies ist ein Problem, da es sowohl Spielintelligenz- als auch Spielkreativitätstraining in der Effektivität eindämmt. Stattdessen müssen taktische Probleme kreiert werden, welche auf viele unterschiedliche Art und Weise bewältigt werden können.

So korreliert die Bewältigung unbewusster und unkontrollierbarer Situationen mit Kreativität und die sehr diffusen Situationen führen durch die Schemaverstöße zu Verbesserungen. Eine quasi-experimentelle Studie von Raab, Hamsen, Roth und Greco aus 2001 zeigte nach Memmert und Roth (2007) Folgendes:

In conclusion, however, the data tend to support the view that non-specific and specific concepts are similar in terms of creativity development. As the comparisons of the percentage increases of the treatment phases have shown, the non-specific approaches can be even more useful in the long term. A quasi-experimental study by Raab, Hamsen, Roth, and Greco (2001) indicated that Brazilian children – with broad and unguided stimuli and game experiences – showed greater improvements in creativity than German children who had received game-specific training and high-grade instruction in sports clubs. – Aus Memmert & Roth (2007): The effects of non-specific and specific concepts on tactical creativity in team ball sports.

Diese Studie untersuchte ebenfalls, wie sich unkontrollierte Situationen auswirken und dass die positiven Effekte auf die Kreativität – wider Erwarten der traditionellen Trainer! – vorhanden sind; und zwar in unterschiedlichen Sportarten. Allerdings zeigte sich auch, dass beim Fußball – durch die Raumdimensionen, die Spielerzahl und Regeln der komplexeste Spielsport – der Effekt zumindest etwas geringer ist. Eine Erklärung wäre natürlich, dass die Komplexität so hoch ist, dass ein unstrukturiertes Spiel nicht zu einem Lerneffekt mithilfe des impliziten Lernens führen kann. Allerdings geben Memmert und Roth eine Alternativerklärung:

A selection effect, which always needs to be taken into consideration in field studies, could have played a role in the good performance of the soccer-specific group, in comparison with the non-specific groups. In Europe, football is by far the most common sport first participated in, especially among boys. Good adult footballers, who often have talented children, tend to send their offspring to soccer-specific training at an early age. Previous experience has indicated that it is difficult to find and convince talented children (or rather the parents of talented children) to take part in nonspecific training.

Dennoch lässt sich konstatieren, dass ein Training in Spielformen, oft gänzlich ohne Instruktionen, deutlich effektiver ist als vielfach angenommen. Basierend auf diesen Erkenntnissen ergeben sich nach Memmert (2014) diese sechs Möglichkeiten zum Training taktischer Kreativität:

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Kreativität4

Memmert (2014): Tactical Creativity in Team Sports

Dieses Schema mit sechs unterschiedlichen Aspekten des kreativen Trainings ist interessant und sportart- bzw. somit spielübergreifend anwendbar. Bei Lopes (2011) (Wirksamkeit von impliziten und expliziten Lernprozessen. Aneignung taktischer Kompetenzen und motorischer Fertigkeiten im Basketball) finden sich auch die drei grundlegenden Arten des Taktiklernens nach Roth übersichtlich wieder:

  • Das spielerische Lernen bezeichnet die Entwicklung des Spielverständnisses.
    • Hier geht es um die Suche nach Lösungen für ein taktisches Problem basierend auf einem konstruktivistischen Ansatz.
    • Durch die eigene Suche nach der Lösung können also unterschiedliche Lösungswege gefunden werden, die von der üblichen Norm abweichen können. Dennoch ist das Ziel weiterhin gegeben und die erfolgreiche oder erfolglose Lösung des Problems ist für Spieler sowie Trainer klar erkennbar.
    • Das Spielverständnis wird hierbei geschult und anhand dieses Spielverständnis sowie der impliziten Regeln bestimmter Aspekte des Spiels entstehen kreative und intelligente Handlungen.
  • Das unangeleitete Spiel stellt im Sinne des impliziten Lernens die Möglichkeit dar ohne Struktur ein Gefühl für das Spiel und die Lösungsideen zu entwickeln.
    • Der geweitete Aufmerksamkeitsfokus soll langfristig zur Spielkreativität führen.
    • Durch das unangeleitete Spiel gibt es keine Vorgaben, wodurch die Spieler immer wieder neue Situationen unterschiedlichster Natur lösen sollen.
    • Die geringere Struktur kann zwar zu einer (verzögerten) Entwicklung der Spielintelligenz führen, das variiert jedoch nach Sportart und Aufbau des „unangeleiteten Spiels“. Im Fußball können z.B. bestimmte Regeln oder Spielformen das Spielverständnis implizit schulen.
  • Das vielseitige Spiel ist im Sinne des differenziellen Lernens zu sehen, wo durch das Prinzip der Verfremdung einer Situation neue Lösungsideen generiert werden.
    • Dazu werden variable, veränderte Spielformen des Spiels mit unterschiedlicher Betonung der jeweiligen Aspekte genutzt.
    • Indem eine Situation immer wieder neu verändert und angepasst wird, erfahren die Spieler, dass es unterschiedliche Lösungen für prinzipiell ähnliche Probleme gibt.
    • Dadurch erweitern sie ihre Lösungs- und Situationskenntnisse, wodurch sie zwischen diesen flexibel Assoziationen bilden können.

In Memmerts oben angeführtem Schema könnte man zum Beispiel sagen, dass „Deliberate-Play“ und „Delibarate-Coaching“ unangeleitete Spiele darstellen, „1-Dimension-Games“ und „Deliberate Practice“ ins spielerische Lernen fallen und „Deliberate-Motivation“ sowie „Diversifications“ am ehesten zum vielseitigen Spiel gehören.

Auf höherem Niveau ist das instruktionsfreie Spiel allerdings nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Insbesondere dynamische Teamsportarten sind so enorm komplex, dass ohne gewisse strategische Richtlinien Chaos ausbrechen würde; der pure Zufall würde vermeiden, dass bestimmte technische oder physische Fähigkeiten genutzt werden können, desweiteren wäre jegliches Interaktionsspiel innerhalb der Mannschaft nicht planbar und das Spielergebnis somit Glücksspiel. Besonders im Leistungssport kann sowas natürlich nicht praktiziert werden.

Hierbei ist wichtig, dass Spielintelligenz primär durch besondere, klare Regeln, Richtlinien und Vorgaben in den Spielkontexten des jeweiligen Sports vermittelt wird (aber natürlich weiterhin in Spielformen). Kreativität hingegen wird anders ausgebildet, nicht direkt vermittelt (beziehungsweise nur sehr ansatzweise), sondern über ein bestimmtes Umfeld kreiert. Der oben erwähnte Faktor der breiten Aufmerksamkeit ist hierbei entscheidend.

Indem es verstärkt „Schemaverstöße“ mit den bisherigen Erfahrungen und Strategien gibt, entsteht ein unerwarteter Verlauf im Spiel. Diese sorgten für einen größeren und breiteren Erfahrungsschatz. Die Erfahrungen wiederum können dann in anderen, „orthodoxeren“ Situationen genutzt werden. Insgesamt sind es also schlichtweg unkontrollierte und unstrukturierte Spielsituationen, die für mehr Kreativität sorgen. Das bedeutet auch, dass eine große Bandbreite an Informationen, die variabel und frei zugänglich ist, zwar für eine diffuse Aufmerksamkeit sorgt, diese aber eben vorteilhaft für die Entwicklung der Kreativität ist. Wie genau ist dies allerdings umzusetzen?

Spielkreativitätstraining in der Praxis

Insgesamt taugen Spielformen anstatt isolierter Übungen für beide Aspekte, Spielintelligenz und Spielkreativität; so wird auch die Funktionalität und Differenzialität der jeweiligen Sportart stärker betont, welche im aktuellen Coaching eine extrem wichtige Rolle einnehmen.

Beispielsweise ist im Handball ein Wurf aus einer bestimmten Distanz zwar eine gute Übung, doch ohne das Herausspielen dieser Situation, den Druck des Gegenspielers oder einen aktiven Torwart wird der Wurf nur ein Wurf sein und keinerlei taktischen Lerneffekt (sondern nur einen isoliert technischen) haben. Im Fußball ist dies ebenfalls der Fall. Dadurch kann man auch konstatieren, dass sich technische Aspekte nicht von taktischen Komponenten trennen lassen und verbunden zu betrachten sind.

Da Spielformen dynamisch sind und der Kontext immer variiert, gibt es somit die Möglichkeit sowohl die Spielkreativität als auch die Spielintelligenz zeitgleich und effizienter zu trainieren. Gleichzeitig wird damit schon ansatzweise das „vielseitige Spiel“ bei den Lerntypen erfüllt, weswegen es im letzten Teil des Portfolios schon mit dem differenziellen Lernen verglichen wurde. Basierend auf dieser Logik wäre es interessant, wenn man besondere Spielformen zu spezifischen taktischen Problemen der jeweiligen Sportart herstellt, um diese in weiterer Folge sowohl mit expliziten Inhalten zur Spielintelligenz als auch freien, impliziten Variationen zur Spielkreativität füllen zu können.

So könnte zum Beispiel im Fußball eine Übung kreiert werden, welche ein 5-gegen-5 darstellt und auf einem rautenförmigen Platz gespielt wird. Dieses Setting hat die Situation entfremdet (anstatt eines rechteckigen Spielfelds), wodurch die Spieler automatisch zu besonderen und unüblichen Aktionen gezwungen werden. Innerhalb dieser Spielform werden die Spieler also in der Spielkreativität geschult und können sich hier entwickeln; gleichzeitig ist es möglich bestimmte Aspekte eines taktischen Schemas zur Entwicklung der Spielintelligenz in diese Übung einzubauen.

Eine Möglichkeit wäre es, dass man jedem Spieler bestimmte Richtlinien gibt oder bestimmte Instruktionen vorgibt, welche die Komplexität einschränken und die Strategie des Teams widerspiegeln. Dadurch könnte man die Spielkreativität in besonderen Aspekten weiterentwickeln, während man das Gleiche bei der Spielintelligenz in anderen Aspekten oder gar überlappend ebenfalls praktiziert.

Allerdings ist nicht nur die Art der Übung wichtig, sondern auch die Periodisierung. Ein Faktor ist natürlich, in welchem Alter so etwas gemacht wird. Neueste Erkenntnisse in den Neurowissenschaften scheinen zu indizieren, dass Kreativität sich schon sehr früh im Leben entwickelt und ähnlich stabil wie die Intelligenz über die Jahre verläuft. Deswegen wäre es wichtig, dass in den frühesten Jahren Kinder ein sehr vielseitiges und variables Spiel verfolgen dürfen, um die Spielkreativität zu entwickeln. Hier wären instruktionsfreie Spielformen zu Beginn noch empfehlenswert.

Jedoch ist noch unklar, wie das genau aussehen soll. Die Ergebnisse zwischen eines unspezifischen (sportartübergreifenden) und sportartspezifischem Kreativitätstraining variieren; so sollen sich in vielen Sportarten keine wirklichen Unterschiede zeigen, wobei sich beide Gruppen besser entwickeln als die Kontrollgruppe mit einem klassischen Trainingsprogramm. Zusätzlich gab es Transfereffekte zu beobachten.

Desweiteren zeigten Studien, dass Trainingsprogramme zur Aufmerksamkeitserweiterung größere Verbesserung brachte, wenn die Übungen reicher an Komplexität waren. Und andere Untersuchungen legten näher, dass es signifikante Unterschiede zwischen Gruppen gibt, welche mehr Zeit in unstrukturierten Spielaktivitäten verbrachten; es gab nur einen marginal signifikanten Unterschied zur gesamten Trainingszeit!

Insofern wäre es empfehlenswert, wenn man jungen Spielern – welcher Sportart auch immer – in den ersten Jahren sehr wenig Instruktionen und Anleitungen gibt. Ideal wäre es, wenn Kinder in

  1. unterschiedlichen, restriktionsfreien Spielformen in ihrer Sportart
  2. unterschiedlichen, restriktionsfreien Spielformen anderer Sportarten

üben. Dies entspricht auch Erkenntnissen der Neuropsychologie in Bezug auf die Effektivität von implizitem und explizitem Lernen in Bezug auf das Alter. Besonders das sogenannte „entdeckende Lernen“ im Anfangsstadium des Erlernens einer Sportart und des Generieren eines „Sense of Play“ sorgt für die Entwicklung von Spielkreativität und Spielintelligenz. Zusätzlich gibt es zahlreiche positive motorische Effekte in der Bewegungserfahrung der Kinder, welche auch präventive und gesundheitliche Vorteile mittel- und langfristiger Natur haben.

Eine weitere Variante der Periodisierung des Spielkreativitätstrainings im Sport bezieht sich auf den genauen Einbau besonderer Übungen zur Kreativität in ein Training. Meistens gibt es in Teamsportarten eine warm-up-Phase, eine Trainingsphase mit unterschiedlichen Übungen unterschiedlicher Intensität unter einem großen technisch-taktischen Leitbild im Sinne der jeweiligen Teamstrategie sowie eine cool-down-Phase. Auch hier wäre es somit empfehlenswert, wenn man unterschiedliche Spielformen kreiert, welche sowohl Spielintelligenz als auch Spielkreativität trainieren können. Wie Ritter und Dijksterhuis z.B. zeigten, gibt es eine gewisse „Inkubationszeit“ beim Generieren von Kreativität.

Somit wäre es interessant, dass man Spielformen mit gewissen anderen Übungen dazwischen praktizieren lässt. Meist wird nämlich nicht direkt beim ersten Versuch eine kreative Lösung generiert; besonders nicht, wenn dazu keine Aufforderung besteht. Wenn jedoch dieses Ziel festgelegt wird und es eine Inkubationszeit nach der Erstanwendung gibt, so steigt die Wahrscheinlichkeit auf kreative Lösungen beim nächsten Mal.

Darum könnte man einen „undemanding task“ (z.B. ein bereits bekanntes Taktiktraining, ein Fokus auf die simple Repetition von Abläufen, eine weniger komplexe Passübung, etc.) zwischen zwei sehr komplexe und instruktionsfreie Spielformen, die dem Spielkreativitätstraining dienen, einbauen. In weiterer Folge wäre es auch möglich, dass man die Übung zwischen den zwei Spielkreativität-fokussierenden Übungen bewusst so baut, dass sie den Spielern neue, kreative Lösungen näherbringen kann.

Alternativ könnte auch getestet werden, ob dieser Ablauf effektiv ist beziehungsweise wie effektiv er ist, während eine Variation dieser Periodisierung sich nicht auf einen Trainingstag, sondern auf eine Trainingswoche bezieht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass klare Hinweise auf

  • auf die Fähigkeit zur Steigerung der Spielkreativität
  • auf eine höhere Effektivität bei jungen Spielern

vorliegen. Die genaue Anwendung dieser Erkenntnisse – in Bezug auf Arten des Lernens, spezifische Übungen und Exekution dieser Übungen – ist jedoch noch unklar. In weiterer Folge wäre es primär interessant für bestimmte Sportarten Übungen zu kreieren, welche sowohl Spielkreativität als auch Spielintelligenz entwickeln können (inklusive Variationen davon), bevor die Effektivität davon getestet werden kann.

Ideen aus der Wissenschaft und Praxis

Im Leistungssport  entwickeln sich oftmals ganz eigene Ideen und Paradigmen, welche durch den Wettbewerb in sich und das enorme Geld im Sport teilweise Methoden entwickeln, die nicht publik oder offiziell wissenschaftlich getestet werden, den jeweiligen Vereinen oder individuellen Athleten Wettbewerbsvorteile bringen.

Um hier Informationen zu finden, recherchierte ich im Bereich Fußball sowie (in geringerem Ausmaß) in den großen US-Sportarten. Bei Letzterem konzentrierte ich mich primär auf Basketball und Eishockey, da American Football und Baseball durch ihre Strukturierung kaum die Möglichkeit zur kreativen Entfaltung haben und die mangelnde Dynamik (hauptsächlich American Football) sowie geringe Spielkomplexität (hauptsächlich Baseball) Kreativität kaum erfordern.

Im Buch „Athlete-centred Coaching: Developing Decision Makers“ von Lynn Kidman wird zum Beispiel Folgendes auf Seite 148 erwähnt:

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Kreativität5

Insofern scheint es die Forderung nach der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse durchaus im Praxisbereich zu geben. Einerseits kann man davon ausgehen, dass es sicher Vereine gibt, die das bereits anwenden. Dazu gibt es auch zahlreiche Artikel und Bücher, unter anderem von Launder (Launder, A.G. (2001). Play Practice: The Games approach to  reaching and coahcing sports. Champaign, IL: Human Kinetics).

Andererseits gäbe es diese oben zitierte Forderung Rick Fenoglios nicht, wenn viele es falsch machen würden. Bei genauerer Recherche findet sich z.B. enorme Kritik an der englischen Spielerausbildung (sportartübergreifend!) und großes Lob an der spanischen.

Generell finden sich in diesem Buch (bei Google Books finden sich viele Seiten einsehbar: https://books.google.at/books?id=27q3P4-EtIMC ) zahlreiche Informationen für eine praktische Anwendung. So wird erwähnt, dass es vielfach Ansätze „nonlinearer Pädagogik“ und solchen spielformorientierten Methodiken wie den „Teaching Games for Understanding (TGfU) gibt.

Teaching Games for Understanding hat übrigens ein sehr interessantes Video, die Heidelberger Ballschule hat hier einen Einblick in deren Konzept, dazu gibt es noch Methoden wie Game Sense, GCA, FUNino, Tactical Games Approach, Constraints-led Approach, etc.

Im Cricket wird zum Beispiel sogar der „Constraints-led Approach“ praktiziert, der allerdings vom Grundprinzip den Variationen Memmerts entspricht. Sh. hier:

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Kreativität6

Hier zeigt sich, dass die Variation in puncto Regeln, Umständen und auch Instruktionen für eine positive Entwicklung in Spielintelligenz und Spielkreativität sorgen sollte. Ob die Methodik TGfU, „Deliberate Play“ oder sonst wie heißt, sollte unerheblich sein.

Im spanischen Jugendfußball wird das zum Beispiel nicht einmal bewusst berücksichtigt. Die ursprüngliche Methode des „FUNnino“ stammt von Horst Wein, dessen Buch „Spielintelligenz im Fußball – kindgemäß trainieren“ sich eigentlich nur auf Technik und Spielintelligenz fokussiert, diese aber ebenfalls durch implizites Lernen und Spielformen vermittelt, wodurch eben automatisch Freiheit im Spiel und Variationen gegeben sind, welche parallel die Kreativität weiterentwickeln. Bei Analyse des Konzepts ist eigentlich bei Wein nur auffällig, dass er fast ausschließlich auf Spiele setzt und diese altersgemäß periodisiert; der Rest (z.B. Art der Variation, Zeitpunkt, Periodisierung des Trainingsablaufs) wird nur gelegentlich genauer erklärt oder überhaupt berücksichtigt.

In Anbetracht weiterer Publikationen von Vereinen unterschiedlicher Sportarten über ihre Trainingsmodelle findet man, dass die Kreativität oftmals als untrainierbar oder von Natur aus gegeben betrachtet wird, viele andere dies zwar trainieren, es jedoch mit Spielintelligenz gleichsetzen oder es eben nur implizit und unbewusst trainieren. Vielfach sind Gegenbeispiele Individuen, die unter instruktionsfreien und schwierigen Bedingungen aufwuchsen oder ein eigenes Training durchliefen. Ein Beispiel für ersteres wären natürlich die brasilianischen Straßenfußballer aus den Armenvierteln oder die Straßenbasketballer in den USA, wie z.B. im legendären „Rucker Park“. Ein Beispiel für ein eigenes Training wären Wayne Gretzky und Michael Jordan; die jeweils besten Spieler in der Geschichte ihrer Sportart (Eishockey und Basketball).

Gretzky wurde von kleinauf von seinem Vater ausgebildet, der ihn nicht nur schon sehr jung ans Eis führte, sondern ihm auch viele kleine Tipps kreativer Natur in puncto Spielintelligenz mit auf dem Weg gab. Gretzky konnte sich dadurch und durch die spielformorientierten Übungen seines Vaters, die wohl auch die Anforderungen an ein „Constraints-led Approach“ erfüllen würden, früh auf ein höheres Niveau entwickeln. Durch diesen Entwicklungsvorteil und die größere Spielintelligenz konnte Gretzky bei erzielten Treffern und Vorlagen letztlich zum Abstand erfolgreichstem Spieler der NHL werden.

Bei Michael Jordan war es neben dem extremen Ehrgeiz auch der Umgang seiner Coaches mit ihm. Jordan spielte extrem viele „Pick-up Games“, also Straßenbasketballspiele, was er sich vertraglich sogar als Profi zusichern ließ. Desweiteren erhielt er im Training eine besondere Behandlung und agierte auch dort in vielen Spielformen in seiner Anfangszeit. Bei Trainingsspielen wurde Jordan nach Führung seiner Mannschaft in der Jugend und Anfangszeit seiner Karriere mitten im Spiel zur Mannschaft gewechselt, die gerade hinten lag. Jordan musste sich also immer wieder selbst einfallen lassen, wie er unter verschiedensten Bedingungen zum Erfolg kam. Jordan entwickelte sich auch deswegen im Laufe seiner Karriere zu einem besseren Distanzschützen, entwarf eine neue Spielweise im Mid-Range-Game und wurde zum wohl kreativsten Spieler in Nähe des Korbs, der jemals in der NBA spielte und ungefähr Jordans Größe hatte.

Fazit

Das Konzept der Spielkreativität wird im Fußball nicht nur oft unterschätzt, sondern auch falsch eingeschätzt. Spielkreativität ist – mithilfe der Spielintelligenz und des richtigen Trainings – durchaus trainierbar, um musterorientierte Spieler zu kreieren, welche strategischen Richtlinien folgen, aber situativ die „geniale Lösung“ finden können. Nur wenige Trainer fokussieren sich darauf; auch wenn manche interessante Konzepte nutzen, wie am Anfang dieses Videos zum Beispiel zu sehen ist.

Solche Variationen könnten mit der richtigen Periodisierung, mit dem richtigen Coaching und den passenden strategischen Vorgaben sowie Alternativen in weiteren Spielformen sowohl die Spielintelligenz als auch die Spielkreativität adäquat trainieren. Immer mehr Trainer steigen ohnehin auf diese Trainingsweise um. Sie dürfte in den nächsten Jahren zum Standard werden.
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Unser Buch: Fußball Durch Fußball

Bei Spielverlagerung hatten wir schon mehrere Buchprojekte am Laufen, unter anderem unsere erfolgreichen WM- und EM-Vorschauen sowie Ballnah-Ausgaben. Dieses Mal erscheint erstmals ein Buch von uns als Printversion. „Fußball durch Fußball“ soll Trainern auf allen Ebenen eine Unterstützung sein.

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FdF Cover

Unser Cover. Das Schlechteste am Buch.

Das Ziel

Grundsätzlich war unser Wunsch, ein Buch zu schaffen, welches alle Facetten des Fußballtrainings bedient und es in möglichst handlicher, praktischer und funktionaler Form dem Leser vermittelt, um dessen Interesse zu stillen oder im Idealfall gar positiv auf die Praxis einzuwirken.

Im Gegensatz zu einigen anderen Trainingsbüchern ging es uns allerdings nicht darum, ein Konzept zu vermarkten oder mithilfe von vielen bunten Bildern und Trainingsübungen viele Seiten zu füllen, sondern systemunabhängig ein grundlegendes, objektives Fundament zu schaffen.

Viele Bücher verfolgen – neben dem Verkauf – oft nur den Wunsch ein bestimmtes Spielsystem zu vermitteln. „Mach es wie Barcelona!“ oder „Dribbeln wie Neymar!“ wird dann meist nur eine Anhäufung von isolierten Technikübungen mit ein paar Rondos ohne wirkliches strategisches und taktisches Ziel noch ohne Kenntnisse, wie diese Übungen in Relation zu den Spielern in der Mannschaft oder zur Belastung der Spieler gesetzt werden.

Um dem Leser wirklich etwas mitzugeben, so unsere Logik, sollte man basale Informationen möglichst schmackhaft, aber dennoch seriös vermitteln, ohne die Kreativität in der Anwendung zu beschneiden. Nur dann entsteht auf beiden Seiten ein Vorteil – beim Leser und beim Autor; immerhin haben wir uns selbst auch durch die Arbeit an dem Buch und den Austausch massiv entwickelt.

Zwischen Evidenz und Rationalität

Über 130 zitierte Quellen, fast alle davon aus dem wissenschaftlichen Bereich, haben wir im Buch angeführt. Dabei muss beachtet werden, dass wir diese nicht als Argumente für unsere Ansicht nutzen; vielmehr ist unsere Ansicht durch das Lesen der sport- und trainingswissenschaftlichen Literatur entstanden und beeinflusst worden. Auch viele Informationen zur Lern-, Denk- und Wahrnehmungspsychologie sowie Grundkenntnisse von Themen wie Systemdynamik, der Theorie komplexer Systeme und vieler anderer wurden verwendet.

Diese wissenschaftliche Basis anhand ausgewählter Studien – viele zusätzliche und ergänzende Literatur hat es nicht ins Buch geschafft – war für uns wichtig, um objektiv eine wirklich effektive Trainingsmethode zu schaffen. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse verbanden wir natürlich auch mit eigenem Wissen.

Was wir in den letzten Jahren durch die eigene Analyse des Fußballs, Reflektion von unterschiedlichen Konzepten, der Arbeit mit hervorragenden Trainern und interessanten Vereinen sowie natürlich den Austausch mit enorm kompetenten Personen in und außerhalb des Fußballs gewonnen haben, wurde ebenfalls miteingebaut.

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Torhüteraufbau bei Matosevic

Torhüteraufbau bei Matosevic

 

Wie sieht das aus?

Somit geht es in diesem Buch auch nur vereinzelt um spezifische Strategien und Taktiken. Stattdessen steht im Fokus, wie die unendliche Zahl an unterschiedlichen taktischen Möglichkeiten entstehen, vermittelt, gelernt und gelehrt werden können. So folgt auf Kapitel 2 „Erarbeitung des Spielstils“ zum Beispiel „Kognition und Emotion“ im dritten Kapitel, bevor wir uns der Kondition widmen.

Wir probierten in unserem Buch auch die Gedanken hinter vielen Konzepten zu erklären und die Gemeinsamkeiten wie Differenzen zu anderen Ansätzen zu finden. Ein Beispiel: Die taktische Periodisierung. Sie unterscheidet sich nur minimal von Paco Seirul·los „strukturierten Mikrozyklen“, hat aber gewisse Differenzen zu Raymond Verheijens Periodisierung (der die taktische Periodisierung für schwachsinnig hält).

Mithilfe der Erforschung all dieser Konzepte, den Grundgedanken dahinter und auch Alternativen zu ihnen versuchten wir, die bestmögliche Variante zu finden, ohne einen Anspruch auf ein eigenes Konzept zu erheben. Damit wollten wir aber auch die Möglichkeit schaffen, diese Erkenntnisse im Amateursport nutzbar zu machen.

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Morphozyklus im Konzept der takt. Periodisierung - Von uns eingedeutscht

Morphozyklus im Konzept der takt. Periodisierung – Von uns eingedeutscht

So verhält es sich bei den anderen Aspekten im Buch ebenfalls, ob im Bereich der physischen Vorbereitung oder des psychologischen Umgangs mit den Spielern. Anhand dieses Fundaments haben wir im siebten Kapitel dann auch probiert eine Basis zu vermitteln, mit welcher man selbstständig effektive Übungen kreieren kann.

Am Ende des Buches blickten wir auf fußballspezifische Teambuildingmöglichkeiten, alternative Trainingsmethoden (z.B. Coerver oder Life Kinetik) und auf die Neuroathletik, wo uns Lars Lienhard und Martin Weddemann von Focus On Performance in beeindruckender Form kurz ihr innovatives Konzept zeigen.

Besondere Schmankerl

Neben dem Abschlusskapitel von Weddemann und Lienhard gab es drei weitere Gastbeiträge, die unseren Lesern sicherlich besonders ins Auge stechen dürften.

Robert Matosevic ist einer der innovativsten Torwarttrainer der Welt; er trainiert die U20 der australischen Damennationalmannschaft und die Jugendteams von Adelaide United. Auf seinem Twitteraccount finden sich interessante Videos und Beiträge zu diesem Thema, denn er propagiert einen enorm mitspielenden Torhüter und vermittelt diesen dementsprechend an seine Spieler. Bei uns gab er Einblick in sein Konzept.

Martí Perarnau war ebenfalls überaus wichtig für uns, da er uns Einblick in das Training, speziell die Periodisierung, Pep Guardiolas gewährte. Der regelmäßige Austausch mit Martí ist erfreulich und wir sind dankbar, dass wir Teile davon als ergänzendes Interview in unser Buch einpflegen durften.

Der wohl bekannteste Interviewpartner ist allerdings Roger Schmidt, der sein System ebenso wie die Vermittlung davon erklärte und uns auch in unseren Ansichten zur Trainingsmethodik bestätigte. Unser Austausch zum Thema Fußball war mit ein Highlight der Arbeit an diesem Buch und auch hier konnten wir die relevanten Punkte zu einem Interview gestalten.

Das Buch kann man sich auf Amazon hier bestellen.

In den kommenden Tagen schlägt das Buch auch in unserem Online-Shop auf. Man kann dann bei uns die Druckversion und evtl auch die E-Book-Version bestellen (wir befinden uns derzeit noch in Verhandlungen mit dem E-Book-Anbieter). Für Rezensionsexemplare auf größeren Internetseiten und in Zeitschriften bin ich bei rm@spielverlagerung.com erreichbar.

Danke an Dietrich Schulze-Marmeling, den Werkstatt-Verlag, Christoph Schottes, Markus Montz, die vielen Verfasser unserer Literatur und allen Helfern, welche das Buch erst ermöglichten! Besonders Markus widmete diesem Projekt sehr viel Zeit und tolle Arbeit.
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Wer zu spät kommt, den bestraft der Verband

Der relative age effect (RAE) ist eines der interessantesten Phänomene im Nachwuchssport – und eines der besorgniserregendsten.

Im Wesentlichen besagt er, dass innerhalb eines Jahres – oder genauer: innerhalb eines Selektionszeitraumes – früh geborene Sportler gegenüber jenen, die in einem späteren Monat geboren sind, systematisch bevorzugt werden. Demnach sind in einer Stichprobe häufiger Geburtsdaten anzutreffen, die im Beginn des Selektionszeitraumes liegen. Wissenschaftlich formuliert ist dann vom RAE die Rede, „wenn die Geburtsdaten einer Stichprobe nicht proportional zu den Geburtsdaten des entsprechenden Ausschnitts der Normalbevölkerung verteilt sind.“ (LAMES et al. 2008).

Vom RAE sind vor allem kraft- und laufintensive Sportarten betroffen, die sich einer großen öffentlichen Beliebtheit erfreuen und in denen früh selektiert wird. All das trifft auf den Fußball zu. Geht man davon aus, dass sich Talent gleichmäßig übers Jahr verteilt und sich nicht in der ersten Jahreshälfte ballt, deutet der RAE auf Mängel im System der Nachwuchsförderung hin. Daher ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem RAE zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit der Nachwuchsarbeit an sich.

  1. Fakten ! Fakten! Fakten

Eine erste Studie zum RAE wurde bereits im Jahre 1985 von BARNSLEY/THOMPSON/BARNSLEY im nordamerikanischen Eishockey veröffentlicht. Seither konnte der RAE in vielen weiteren Sportarten auf allen Kontinenten nachgewiesen werden. Besonders auffällig ist der RAE im europäischen Fußball:

Eine Studie zur U17-WM 2013 (SALLAOUI et al. 2014) zeigte, dass mehr als ein Drittel aller Spieler im ersten Quartal des Jahres 1996 geboren wurden (38,7%) und beinahe ein Viertel im zweiten (23,2%). Lediglich 24,4% wurden in der zweiten Jahreshälfte geboren. 13,7% aller Spieler wurden nach 1996 geboren. Graphisch stellt sich das wie folgt dar:

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Grafik zum RAE bei der U17-WM 2013

Grafik zum RAE bei der U17-WM 2013

Auch bei der jüngsten U17-WM, die 2015 in Chile stattfand, bestätigten sich diese Zahlen (die folgenden Geburtsdaten stammen von fifa.com). 38,8% der Spieler wurden im ersten Quartal  von 1998 geboren, 22,8% im zweiten, 12,9% im dritten, 12,3% im vierten und 13,1% in der Zeit nach 1998. Bei den UEFA-Teams wurden insgesamt gar 73% der Spieler in der ersten Jahreshälfte geboren; lediglich ein Spieler kam 1999 zur Welt. Auch die Mannschaft von DFB-Trainer Christian Wück offenbarte einen signifikanten RAE: Jeweils 9 Spieler wurden im ersten und zweiten Quartal geboren (je 42,9%), einer im dritten (4,8%) und zwei im vierten (9,5%).

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Vergleich der Verbände bei der U17-WM

Vergleich der Verbände bei der U17-WM

Damit hatte das DFB-Team neben Russland, Frankreich und Belgien einen der deutlichsten RAE. Interessante Werte lieferte auch Syrien: Insgesamt 17 Spieler (81%) kamen im Januar zur Welt; jeweils einer in den Monaten Februar bis Mai. Kein einziger Spieler wurde in der zweiten Jahreshälfte geboren. Es wurden also 19 von 21 Spielern im Zeitraum von Januar bis März geboren. Fünf Spieler Syriens kamen 1999 zur Welt.

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Der DFB im Vergleich mit Syrien

Der DFB im Vergleich mit Syrien

Aufgrund der auffälligen Daten in der deutschen U17-Nationalmannschaft liegt die Vermutung nahe, dass sich auch in den Bundesligen von U17 und U19 entsprechende Hinweise auf den RAE finden lassen. Und tatsächlich zeigen die Geburtsdaten einen auffälligen RAE.

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Daten zum RAE der U17- & U19-Bundesliga

Daten zum RAE der U17- & U19-Bundesliga

Mit 47,5% kam beinahe die Hälfte aller Spieler der U17 Bundesliga allein im ersten Quartal zur Welt (das Geburtsjahr ist hierbei nicht berücksichtigt). In der U19 sind es immerhin noch 40,3%.

  1. Ursachen

Belege für den RAE gibt es – vor allem in Deutschland – zu Genüge. Um jedoch Gegenmaßnahmen herausarbeiten zu können, müssen die Ursachen für die Entstehung des RAE identifiziert werden. Als Hauptgrund vermuteten bereits BARNSLEY/THOMPSON/BARNSLEY (1985), dass ältere Spieler in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung weiter sind und daher bevorzugt für leistungsstarke Mannschaften selektiert werden. Bereits wenige Monate können in der Adoleszenz entscheidende Unterschiede in der Muskelbeschaffenheit und der neuronalen Entwicklung bedeuten und schließlich auch in der Spiel- und Lebenserfahrung.

Vergleicht man einen Spieler, der am 01.01. geboren wurde, mit einem Spieler, der am 31.12. desselben Jahres auf die Welt kam, liegen 364 Tage zwischen beiden. Im Alter von zehn Jahren entspricht dieser Unterschied einem Zehntel an Lebenserfahrung. Dieser altersbedingte Entwicklungsunterschied führt natürlich dazu, dass relativ ältere Spieler zu einer bestimmten Zeit ein höheres Leistungsniveau abrufen können. Sie sind schneller, ausdauernder und kräftiger und können alleine dadurch Spiele in einer Art und Weise prägen, zu der relativ Jüngere (noch) nicht in der Lage sind. Auch die technisch-taktischen Fähigkeiten dürften durch den Entwicklungsvorsprung zu einem gewissen Grad fortgeschritten sein, was die spielerische Leistung zusätzlich verbessert.

In mehrere Studien konnte eine Korrelation zwischen dem RAE und anthropometrischen Besonderheiten festgestellt werden: Unabhängig vom Geburtsdatum weisen selektierte junge Sportler ein ähnliches sportmotorisches Leistungsniveau auf. Dies deutet darauf hin, dass relativ jüngere Sportler nur dann eine Chance haben, selektiert zu werden, wenn sie bereits ein höheres sportmotorisches Leistungsniveau aufweisen, während relative ältere Sportler eine zusätzlich höhere Wahrscheinlichkeit haben, selektiert zu werden, wenn sie größer und schwerer sind. Somit haben die anthropometrischen Charakteristika einen wesentlichen Einfluss auf die Talentselektion im Nachwuchsleistungssport (MÜLLER et al. 2015b m.w.N.). Diese körperbetonte Komponente wird im Rahmen der Nachwuchsausbildung durch verschiedene Faktoren verstärkt.

Ein erster Einflussfaktor ist die Spielfeldgröße bei den F- bis C-Junioren. Hier sind die Feldgrößen im Verhältnis zu den körperlichen Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen teilweise so enorm, dass kleinere Spieler erhebliche Nachteile haben, überhaupt an den Ball zu kommen. Enge Spielsituationen, in denen technisches Geschick und eine gute Entscheidungsfindung unter Druck wichtig sind, können durch weiträumige Verlagerungen umgangen werden, wobei die größeren und schnelleren Spieler Vorteile in der Ballbehauptung haben.

Ein weiterer Faktor sind die auf Intensität und Laufbereitschaft aufbauenden Pressingkonzepte, die die DFB-Ausbildung beherrschen. In diesen intensitätsfokussierten Spielmodellen wirken ältere Spieler vermeintlich besser, weil selbst schlechte Entscheidungen noch durch die körperliche Überlegenheit zu einer erfolgreichen Umsetzung erzwungen werden können. Wenn der Erfolg, sich in Situationen durchzusetzen, nur davon abhängt, wie sich ein Spieler körperbetont „durchtanken“ kann, verliert die Qualität von Entscheidungen an Bedeutung. Taktische Mängel können auf diese Weise kaschiert werden, wodurch simple Lösungen forciert werden.

Indem Nachwuchstrainer offensichtlich dazu neigen, Spieler anhand von vordergründig körperlichen Merkmalen als (momentanes) Talent zu bewerten, wird deutlich, dass hierin dem Erfolg eine größere Bedeutung beigemessen wird als der Entwicklung von Spielern. Je früher dann nach Leistung selektiert wird, desto schneller versprechen sich die Trainer davon einen Vorteil. Wenn aber nur die momentane Leistungsfähigkeit in Wettkämpfen beurteilt wird, ignoriert man die Entwicklungsfähigkeit des Nachwuchssportlers. Dabei muss es das Ziel der Talentselektion sein, zu bewerten, zu welchen Leistungen der betreffende Spieler in Zukunft fähig sein kann oder wird. Durch eine frühe Selektion wird den Spielern ein Leistungsprinzip vermittelt, das keinen Platz für Spaß und Spielerentwicklung bietet. Dabei gehört beides zusammen (BECK 2008).

  1. Folgen

Die Auswirkungen durch den RAE können auf lange Sicht fatal sein. Wenn ältere Spieler lediglich wegen ihrer körperlichen Überlegenheit häufiger als „besser“ eingestuft werden, ist die Gefahr groß, dass kleinere aber womöglich talentiertere Athleten übersehen oder ignoriert werden. Die Folgen davon sind erst Jahre später zu spüren. So wird regelmäßig der Mangel an kreativen und dribbelstarken Spielern in den Auswahlmannschaften bedauert. Die übermäßige Fokussierung auf die Umschaltmomente beim DFB und in den meisten Nachwuchsleistungszentren (NLZ) fördert diesen Umstand zusätzlich. Denn wo kreative Spieler nicht gesucht, eingesetzt oder gefördert werden, weil sie für den angestrebten Spielstil nicht relevant sind, wird es auch keine geben.

3.1 Matthäus-Effekt

Die als „besser“ eingestuften Spieler werden intensiver gefördert und häufiger Nationalspieler (siehe oben). Sie erhalten mehr Spielzeit und können somit weitere Erfahrungen sammeln, was ihren Entwicklungsvorsprung noch weiter vorantreibt, während ihre jüngeren Kollegen quasi auf der Strecke bleiben. Diese bekommen zunehmend weniger Einsätze und keine spezielle Förderung, wodurch ihre Leistungen stagnieren oder gar zurückgehen. Schließlich verlieren sie den Anschluss.

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Abbildung: Matthäus-Effekt

Matthäus-Effekt (ROMANN/FUCHSLOCHER, 2010).

Dieser Effekt wurde nicht etwa nach dem Ehrenspielführer des DFB benannt sondern nach Kapitel 13, Vers 12 des Matthäusevangeliums (Gleichnis von den anvertrauten Talenten): „Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“. Michael Romann von der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen geht davon aus, dass durch den Matthäus-Effekt bis zu 15-20% an Talenten aus dem letzten Quartal verloren gehen, während bei Spielern aus dem ersten Quartal etwa 25% gefördert werden, die keine Perspektive haben.

Ein Beispiel aus der Praxis: Guardiola selbst sprach z.B. davon, dass er bei keiner anderen Jugendakademie als Barcelonas unter Cruijffs Einfluss zu jener Zeit Profi geworden wäre. Er vermutet selbst, dass er vermutlich in der dritten oder vierten Liga agiert hätte. Wieso es doch gereicht hat, zeigt dieser Einblick in Cruijffs Philosophie und den damit einhergehenden Fokus auf Taktik-Technik:

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Cruijffboy

3.2 Verletzungen

Eine weitere Gefahr, die durch den RAE entsteht, ist das Übertraining der relativ jüngeren und somit regelmäßig körperlich schwächeren Spieler, weil sie (noch) nicht den Anforderungen standhalten können, die ältere Spieler absolvieren. In den NLZ ist es nicht ungewöhnlich, dass bis zu fünf oder sechs Mal pro Woche trainiert wird. Wer bei einem solchen Belastungsumfang mit und gegen körperlich überlegene Athleten spielt, wird ungleich höher belastet als es bei gleichentwickelten Spielern der Fall wäre. Wird hier nicht adäquat periodisiert, indem etwa mehr Erholungspausen gemacht werden, wird die Gefahr für Verletzungen gesteigert.

Diese Belastungsprobleme zeigen sich auch in der Übergangsphase vom Nachwuchs- in den Männerbereich. Dort sind die etablierten Spieler wegen des residualen Trainingseffekts bereits an die höheren Belastungen gewöhnt. Stoßen nun aber junge Spieler hinzu, müssen sie nach und nach an ebendieses Leistungslevel herangeführt werden. Andernfalls droht eine Überbelastung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen führt. Insofern verwundert es nicht, dass so viele Nachwuchsspieler ihren Traum vom Profifußball bereits in ihren Teenagerjahren verletzungsbedingt aufgeben müssen.

In der von Raymond Verheijen aufgebauten Jugendakademie Feyenoord Rotterdams wurde darum z.B. bei bestimmten Spielern – wie Jordi Clasie – von einer konstanten Teilnahme am Training abgesehen; „besseres“ anstatt „mehr“ Training, weswegen Clasie a) mehr Energie für das Wachstum hatte, b) weniger verletzungsanfällig war und c) bei den älteren Jahrgängen mittrainierte, da er spielerisch weiterentwickelt war, obgleich er körperlich unterentwickelt war.

Der jüngst leider von uns gegangene Johan Cruijff sprach sogar davon, dass man sich bewusst nach körperlich unterlegenen Spielern für die Akademie umschauen müsste. Diese würden – entsprechend den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen des constraints-led approach! – aufgrund ihrer körperlichen Probleme sich stärker auf die Entwicklung der technisch-taktischen Fähigkeiten konzentrieren. Aus ihrer Schwäche würde dann eine Stärke: Die verbesserte Spielintelligenz und Technik.

  1. Gegenstrategien

Durch den RAE fallen viele Talente durchs Raster oder müssen in Verbindung mit einer schlechten Periodisierung verletzungsbedingt mit dem Leistungssport aufhören. Andererseits werden relativ ältere Spieler wegen vorübergehender Leistungsvorsprünge gefördert, obwohl sie langfristig keine Perspektive haben (FUCHSLOCHER et al. 2011). Insofern ist es unbedingt notwendig, die Sichtung und Entwicklung von Talenten effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Etwaige Strategien gegen den RAE müssen neben strukturellen Aspekten auch auf inhaltliche abstellen. Einerseits muss ein größerer Fokus auf technisch-taktische Aspekte gelegt werden; andererseits gilt es, die Selektion so lange wie möglich zu umgehen und so die Bedeutung von Wettkampfresultaten gegenüber der Art und Weise zu verringern.

Die Einführung kleinerer Selektionsgruppen (halbjährig, quartalsweise) und die Berücksichtigung des biologischen Alters sollen altersbedingte Entwicklungsvorsprünge und -rückstände möglichst neutralisieren, sodass auch hier die technisch-taktischen Fähigkeiten dominieren. Um eine optimale Entwicklung zu gewährleisten, müssen die Wettkampfregeln altersgerecht ausgestaltet sein, was sich primär in der Anzahl der Spieler pro Mannschaft und die Spielfeldgröße niederschlagen muss.

Im Folgenden werden einige Modelle vorgestellt, die zur Verhinderung des RAE geschaffen wurden. Ihre wesentlichen Inhalte werden beleuchtet und mögliche Umsetzungen im Rahmen der DFB-Konzeptionen untersucht.

4.1 Schweizer Modelle

In der Schweiz wurden eigene Selektionsinstrumente entwickelt, mit deren Hilfe das Potenzial von Nachwuchsathleten besser eingeschätzt werden soll. Der Fokus wird dabei nicht auf die erzielten Wettkampfresultate gelegt, sondern auf die Entwicklungsfähigkeit der Sportler. Um ein möglichst valides Instrument zur Prognose der Leistungs- und Talententwicklung entwerfen zu können, führten die Dachorganisation der Schweizer Sportverbände (Swiss Olympic) und wissenschaftliche Mitarbeiter des Bundesamtes für Sport Experteninterviews mit Trainern und Nachwuchsverantwortlichen sowie umfassende Literaturrecherchen zum Thema „Talentidentifikation, -selektion und -entwicklung“ durch.

Dabei wurden Artikel der letzten 20 Jahre aus internationalen Journals und Fachbüchern gesichtet. Auf dieser Grundlage wurde das sportartenübergreifende Instrument PISTE (Prognostische Integrative Systematische Trainer-Einschätzung) herausgearbeitet, mit dessen Hilfe das Entwicklungspotenzial der Nachwuchsspieler ermittelt werden soll. Es orientiert sich an den sogenannten „big five“-Kriterien zur Leistungsbeurteilung:

  1. eigentliche Wettkampfleistung im späten Nachwuchsalter
  2. sportartenspezifische Leistungstests
  3. beobachtete Leistungsentwicklung über einen längeren Zeitraum
  4. Leistungsmotivation
  5. physische und psychische Belastbarkeit des Kindes.

 

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Abbildung: „PISTE“

* sehr schlecht,, ** schlecht, *** befriedigend, **** gut, ***** sehr gut

Auffällig ist die Unwirksamkeit von generellen sportmotorischen Tests gegenüber der guten Prognosevalidität sportartenspezifischer Tests. Mithilfe sportmotorischer Tests soll der Ist-Zustand von Sportlern hinsichtlich ihrer konditionellen Leistungsfähigkeit (Kraft, Schnelligkeit, Ausdauerfähigkeit, Gelenkigkeit, Koordination) ermittelt werden. Dass solche Tests (u.a. Tapping, Drop Jump, Tempodribbling, Laufbandstufentest) für die Talentbewertung in der Adoleszenz kaum verlässlich sein können, sollte angesichts der dauernd fortschreitenden körperlichen Veränderungen offensichtlich sein. Nicht zuletzt sind sie gänzlich unspezifisch und isoliert. Sie können zwar Aufschluss über grundsätzliche motorische Fertigkeiten liefern, aber nicht, ob der betreffende Spieler diese auch in der jeweiligen Sportart effektiv einzubringen vermag. Insofern sind derartige Tests (sogar Tempodribblings) für die Bewertung der Spielfähigkeit völlig irrelevant (SCHWESIG et al. 2016). Daher sollen entsprechende Tests nicht zu Selektionszwecken genutzt werden. Sogar die Nutzung als Trainingskontrolle ist zu hinterfragen.

Um die sportartenspezifische Leistung objektiv einschätzen zu können, müssen entsprechende Tests einen inhaltlich relevanten Bezug zu den spezifischen Anforderungen der jeweiligen Sportart haben. Die Einbeziehung von Trainereinschätzungen als Beurteilungsmethode ist dabei zwar naheliegend, aber vor allem in komplexen Spiel- und Mannschaftssportarten wie dem Fußball nicht ohne Schwierigkeiten umzusetzen. In solchen Sportarten herrschen infolge von Azyklik, Komplexität und Systemdynamik vielseitige Anforderungen hinsichtlich Technik, Taktik und Kondition. Dies erschwert es, die Leistungen valide zu bewerten. Zumal hier eine Vielzahl von Spielern individuell und in Wechselseitigkeit miteinander bewertet werden muss, was für einen oder zwei Trainer allein schwer zu realisieren ist. Es müssen daher adäquate Tools entwickelt werden, die eine möglichst umfangreiche und objektive Einschätzung gewährleisten (siehe 4.1.4).

Die im frühen Nachwuchsalter erzielten Resultate sind ebenfalls kein verlässlicher Indikator für eine Prognose über die Talententwicklung. Denn durch die unzähligen Einflussfaktoren auf die psychosoziale und körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist es kaum möglich, vorherzusehen, wie sich junge Talente in Zukunft entfalten werden (FUCHSLOCHER et al. 2011). Erst mit zunehmendem Alter und einer langfristigen Beobachtung wird die Prognose genauer. Talenteselektionen, die noch vor dem 14. Lebensjahr ansetzen, sind daher grundsätzlich abzulehnen.

Mithilfe dieser Kriterien soll durch ein Punktbewertungsverfahren eine Selektionsrangliste von den Trainern erstellt werden. Dabei sollen sie auch Faktoren wie die innere Motivation, das familiäre Umfeld und psychische Belastbarkeit der Spieler bewerten. Dennoch sind auch sie kein bedenkenloses Hilfsmittel zur Talentprognose und -entwicklung. Eine präzise und vor allem  individualisierte Vorhersage kann es nicht geben, sondern allenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit.

Aufbauend auf PISTE entwickelte der Schweizer Fußballverband speziell für die Altersklassen U11 bis U14 das Förder- und Sichtungsinstrument FOOTECO (Football Technique Coordination). Nach Aussage des Verbandes zielt FOOTECO „auf die Entwicklung des Potenzials der Spieler ab und hat zum Ziel, die jungen Spieler nicht zu früh zu selektionieren“. Es basiert auf den folgenden Prinzipien:

– Respekt und Fairplay erziehen

– Respekt gegenüber dem Umfeld des Spielers

– Die Art und Weise gegenüber dem Resultat priorisieren

– Wert auf die Spielfreude legen

– Spielflächen limitieren

– Die Anzahl an Ballberührungen favorisieren

– Intensität und Erfolg erhöhen

– Anzahl der Spieler der Mannschaften limitieren

– Jedem Spieler Spielzeit garantieren

– großgewachsene Spieler nicht bevorzugen

– kleingewachsene Spieler nicht benachteiligen

4.1.1 späte Selektion

FOOTECO wurde für die Altersstufen U11 bis U14 entworfen. In diesem Alter sollen die Leistungen der Spieler kontinuierlich beobachtet werden und letztlich so eine möglichst optimale Grundlage für die Leistungsselektion ab der U15 liefern.

 

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Abbildung „FOOTECO“

Förderstufen des Schweizer Fußballverbands (SFV).

Die Selektion ab dem 14. oder 15. Lebensjahr entspricht auch dem Entwicklungsmodell von CÔTÉ/BAKER/ABERNETHY (2007) und wird vor dem Hintergrund, dass Wettbewerbsresultate aus der frühen Nachwuchszeit kein valides Kriterium für Entwicklungsprognosen darstellen, zusätzlich gestützt.

 

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Abbildung „Côté /Baker/Abernethy“

Entwicklungsmodell sportlicher Betätigung (Côté/Baker/Abernethy 2007)

Der DFB hingegen fängt mit der Sichtung von Talenten bereits im U9- bis U11-Bereich an. Vereinstrainer können drei Spieler aus ihrer Mannschaft für eine besondere Förderung vor Ort anmelden, woraufhin die Kinder gesichtet werden. Da bereits bei dieser Anmeldung nachweislich Spieler aus der ersten Jahreshälfte bevorzugt angemeldet wurden, wird den Trainern mittlerweile vorgegeben, dass mindestens einer dieser Spieler in der zweiten Jahreshälfte geboren sein muss.

4.1.2 biologisches Alter und Periodisierung

Der RAE ist weitestgehend Ausdruck einer Bevorteilung von körperlich weiter entwickelten Spielern. Von dieser Bevorzugung profitieren jedoch nicht nur relativ ältere Spieler, sondern auch Spieler, deren körperliche Beschaffenheit gemessen an ihrem relativen Alter fortgeschritten ist (Vgl.: 2.). Bestimmend für diese anthropometrischen Eigenheiten eines Sportlers ist das biologische Alter. Mit dem biologischen Alter (BA) ist der Zustand des Körpers gemeint, der normalerweise einem bestimmten Alter ungefähr entspricht. Demgegenüber ist mit dem chronologischen Alter (CA) die geläufige zeitliche Altersangabe gemeint, die sich nach dem Geburtsdatum errechnet. Der körperliche Entwicklungsstand wird aus der Differenz des biologischen und chronologischen Alters ersichtlich.

Die präziseste Messmethode zur Feststellung des biologischen Alters ist das Röntgen der Handwurzelknochen (Greulich-Pyle-Methode).

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Abbildung: Handwurzel

Bestimmung des biologischen Alters durch Röntgen der Handwurzelknochen (MÜLLER et al. 2015a)

Da dieses Verfahren jedoch aufwendig und teuer ist und zu einer Strahlenbelastung führt, wird die Mirwald-Methode bevorzugt (MIRWALD et al. 2002). Dabei wird das Geburtsdatum mitsamt den Maßen von Körpergewicht (in kg), Körpergröße und Sitzgröße (jeweils in cm) verwendet und mithilfe einer mathematischen Formel zu einer einmaligen Schätzung berechnet. Die Mirwald-Methode weist gewisse Schwankungen in der Genauigkeit auf. Daher werden nur drei grobe Entwicklungsphasen kategorisiert:

– früh entwickelt/akzeleriert (BA – CA > +1 Jahre);

– normal entwickelt (BA – CA = -0.5 bis +0.5 Jahre);

– spät entwickelt/retadiert (BA – CA < -1 Jahre).

Das biologische Alter kann während der Pubertät bis zu 5 Jahre vom chronologischen Alter abweichen. Problematisch dabei ist jedoch, dass die Daten nur über Kaukasier erhoben wurden. Wie die Validität bei anderen Ethnien ist, ist unklar. Vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund zunimmt, ist der praktische Nutzen dieser Methode zumindest fraglich.

Unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes können Spieler präziser in Mannschaften integriert werden, wenn es kleinere Altersklassen (jährlich, halbjährlich, quartalsweise) gibt. In einem Verein mit vielen Mannschaften, die nach Altersklassen eingeteilt sind, kann dem biologischen Alter besser entsprochen werden, wenn ältere Spieler in der körperlichen Entwicklung noch zurückhängen oder jüngere Spieler umgekehrt ihren Altersgenossen bereits spielerisch und/oder körperlich voraus sind.

Diese Spieler können dann in die für sie passende Mannschaft integriert werden, um ihre technisch-taktische Entwicklung in einem dafür konditionell passenden Rahmen voranzutreiben. Talentierte kleinere Spieler, die physische Nachteile haben, spielen dann im jüngeren Jahrgang. Talentiertere kleinere Spieler, die trotzdem besser sind als ihre Selektionsgenossen, trainieren bei den Älteren. Da die konditionellen Anforderungen in diesem Fall zu hoch für den körperlichen Entwicklungsstand des betreffenden Spielers sind, trainiert dieser im Sinne einer adäquaten Belastungssteuerung weniger.

Die Einführung kleinerer Altersklassen ist vor allem im Kindesalter und der frühen Adoleszenz notwendig. Strukturelle Schwierigkeiten, die sich insbesondere aus den stetig sinkenden Geburtszahlen ergeben, können durch die kleineren Spielformen (siehe: 4.1.3) kompensiert werden. Da etwa Funino im 3-gegen-3 gespielt wird, ist es möglich, Mannschaften nach Quartalen zu bilden und Kinder mit ähnlichem biologischem Alter zusammen spielen zu lassen.

Die Berücksichtigung des biologischen Alters kann sogar so weit gehen, dass ein Spieler in einer Altersklasse spielt, für die er kalendarisch schon zu alt ist. Eine solche Möglichkeit besteht im schweizerischen Eishockey. Dort sind jeweils maximal zwei „Lateborn/Spätentwickler“ des jüngeren Jahrgangs der höheren Altersstufe in den Piccolo-, Moskito-, Mini-, Novizen-Stufen spielberechtigt, sofern die folgenden Kriterien erfüllt sind:

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Spielberechtigungsstufentabelle

Spielberechtigungsstufentabelle

Laut Verband sind „Lateborns“ Spieler, „welche innerhalb des Jahrganges durch die Jahrgangsstruktur benachteiligt sind“. Als „Lateborns“ kommen also nur Spieler des jüngeren Jahrgangs in Frage, die in der zweiten Jahreshälfte geboren wurden. „Spätentwickler“ sind „grundsätzlich in der Entwicklung gegenüber dem Durchschnitt der gleichen Alterskategorie im Rückstand.“ Weitere Einschränkungen für die Berechtigung, in einer tieferen Altersklasse zu spielen, sind etwa, dass der „Lateborn/Spätentwickler“ nicht in einer tieferen Leistungsklasse spielen darf, als in derjenigen, in welcher er bereits im vorherigen Jahr qualifiziert war. Im Bereich der Novizen-Elite wird das Knochenalter bestimmt. Dieses muss mindestens 1 Jahr unter dem chronologischen Alter liegen. Es bedarf jeweils einer ärztlichen Bestätigung.

Das Konzept, „Lateborn/Spätentwickler“ in einer jüngeren Altersklasse spielen zu lassen, ist äußerst sinnvoll. Den (deutlich) unterentwickelten Spielern wird die Möglichkeit geboten, ihre technisch-taktischen Fähig- und Fertigkeiten in einem konditionell passenden Rahmen zu entwickeln, ohne dass dieser Entwicklungsprozess von körperlich dominierenden Mit- und Gegenspielern beeinträchtigt wird. Würde man in diesem Fall nicht entgegensteuern sondern die strikten Stichtagsgrenzen sowie Altersklasseneinteilungen einhalten (müssen), würde man einer Vielzahl von Spätentwicklern jede Chance auf eine adäquate Förderung verbauen.

4.1.3 Verkleinerung von Spielflächen und Spielerzahl pro Mannschaft

In den Jahren 2005/06 und 2011/12 führte der DFB Reformen im D-Jugendbereich (U12/13) durch, nach denen die Spielfeldmaße, Torgrößen und Spieleranzahl pro Mannschaft verringert wurden. Fortan sollte im 9-gegen-9 auf 70x50m gespielt werden.

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DFB-Reform

Die Intention hinter den Reformen war, dass Jugendliche im Alter von 12 und 13 Jahren körperlich noch nicht in der Lage sind, um auf Großfeld zu spielen. Die Wege wären zu weit, wodurch es seltener zu Ballaktionen (Vgl.: RAMPINI et al. 2007 m.w.N.) und häufiger zu langen Flugbällen kommt. In der Folge verlieren technisch-taktische Aspekte gegenüber den konditionellen an Bedeutung; zumal auch hier körperlich überlegenen Spieler deutliche Vorteile haben. Des Weiteren war der direkte Übergang vom 7-gegen-7 auf dem Kleinfeld (68x50m) zum 11-gegen-11 auf dem Großfeld schlichtweg zu extrem. Es gab keine altersgerechte Anpassungsphase an das Großfeld. Zusätzlich erhoffte man sich von der Reform eine leichter zu überblickende und kontrollierende Raumaufteilung für die Spieler.

Auch bei den G- bis E-Junioren wurden Anpassungen vorgenommen. In der Jugendordnung des DFB heißt es in § 8a:

„1. Bei den G- bis D-Junioren/Juniorinnen wird auf einem verkleinerten Spielfeld gespielt. Die Mannschaften der G-Junioren/Juniorinnen bestehen aus bis zu sechs, die Mannschaften der F-Junioren/Juniorinnen und E-Junioren/Juniorinnen aus bis zu sieben Spielern/Spielerinnen, die Mannschaften der D-Junioren/Juniorinnen aus bis zu neun Spielern/Spielerinnen. Die Größe der Tore beträgt bis zu 5 x 2 m.

  1. Bei den C-Junioren und älter sind sowohl Spiele auf verkleinertem Spielfeld und mit verkleinerten Toren als auch auf Normalspielfeld möglich. Die Mannschaftsstärke liegt bei mindestens sieben und maximal elf Spielern.“

Durch die vagen Vorgaben des DFB hinsichtlich der Spielfeldgröße, gibt es zwischen den einzelnen Landesverbänden Abweichungen, was die Umsetzung betrifft. In Berlin werden etwa folgende Angaben gemacht:

„Bei den Spielen der F- und G-Junioren im Juniorenbereich gelten folgende Spielfeldmaße:

Länge: 40m, Breite: 29-39m, Strafraum: 9m, Torraum: 3m, Strafstoßmarke: 9m

Bei den Spielen der E-Junioren im Juniorenbereich gelten folgende Spielfeldmaße:

Länge: 45-55m, Breite: 29-39m, Strafraum: 9m, Torraum: 3m, Strafstoßmarke: 9m

Bei den Spielen der D-Junioren im Juniorenbereich gelten folgende Spielfeldmaße:

Länge: 45-70m, Breite: 44-55m, Strafraum: 11m, Torraum: 3m, Strafstoßmarke: 9m“

Von den C- bis A-Junioren wird im 11-gegen-11 gespielt, in der D-Jugend 8-gegen-8 und in der F- bis G-Jugend 7-gegen-7.

In Niedersachsen gelten folgende Regeln: In der G-Jugend spielen bis zu 6 Spieler auf ca. 35 x 32m Spielfläche, in der F-Jugend bis zu 7 Spieler auf ca. 40 x 35m Spielfläche und in der E-Jugend bis zu 7 Spieler auf ca. 55 x 35m Spielfläche. In der D-Jugend wird entweder im 9-gegen-9 auf 70 x 50m gespielt, oder im 7-gegen-7 auf 65 x 50m. Ab der C-Jugend wird im 11-gegen-11 auf Großfeld gespielt. Bei den G- und F- Junioren werden keine Meisterschaften durchgeführt.

Im Prinzip wurden die D-Junioren durch die Reform wieder zurück aufs Kleinfeld geschickt, wobei sie sogar einen zusätzlichen Feldspieler bekamen. Ein seichterer Übergang zum Großfeld ist damit zwar gegeben, geht aber nicht weit genug. Denn auch für die C-Junioren sollten Spielfläche und Spieleranzahl verbindlich begrenzt werden. In den G- bis E-Jugenden sollten die jeweiligen Begrenzungen sogar noch kleiner sein, wobei sich die entsprechenden Maße im Optimalfall nicht nur per Jahrgangsstufe ergeben sondern per Geburtsjahr.

Für die G- und F-Junioren bietet Horst Weins Funino einen vielversprechenden Ansatz. Dabei wird im 3-gegen-3 auf etwa 32 x 25 Metern und vier Toren gespielt (ohne Torhüter). Im Sinne der „Fair-Play-Liga“ gibt es keinen Schiedsrichter und die Trainer müssen sich ebenso wie die Eltern mit Anfeuerungen und Coaching zurückhalten. Funino garantiert mehr Ballkontakte, Pässe, Schüsse und Zweikämpfe. Nach Toren geht es ohne Anstoß sofort weiter. Aufgrund der geringen Spielerzahl muss jeder Spieler permanent im Angriff und in der Verteidigung eingebunden sein, da ansonsten ein für die Mitspieler nicht zu kompensierender Nachteil entsteht, wenn ein Spieler nicht mitmacht. Quantität wird dabei zu Qualität. Durch die zwei Tore wird verhindert, dass sich das Spiel im Zentrum ballt und alle dem Ball hinterherrennen. Ist ein Tor zugestellt, besteht die Möglichkeit, auf die andere Seite zu verlagern. So wird der Blick für den Raum geschärft, die Prinzipien des ballorientierten Verschiebens und des Überzahlspiels implizit vermittelt.

Laut Arrigo Sacchi, der Funino in Italien einführte, verhilft das Spiel dem Straßenfußball zu einer Renaissance. Hilfreich dabei ist es, die Qualität der Bälle (Größe, Gewicht, Härtegrad, Prelleigenschaften) und des Spielbelags (Asphalt, Halle, Naturrasen, Kunstrasen), die Größe der Tore und des Spielfeldes sowie die Spieleranzahl im Sinne des impliziten und differenziellen Lernens zu variieren. Mithilfe weiterer Sonderregeln kommt Funino auf über 40 bekannte Varianten.

Für die darauffolgenden Altersstufen ist es ratsam, die Spielerzahl pro Mannschaft und die Feldmaße sukzessive zu erhöhen. So wird im ersten Geburtsjahrgang der E-Jugend 5-gegen-5 (ca. 40x25m) und im zweiten im 6-gegen-6 (45x30m) gespielt. In der D-Jugend wird erst im 7-gegen-7 (ca. 60x45m) und im zweiten Jahr 8-gegen-8 (ca. 65×50) gespielt. In der C-Jugend wird komplett 9-gegen-9 (75x50m) und ab der B-Jugend schließlich im 11-gegen-11 auf Großfeld gespielt.

Die Kinder und Jugendlichen werden nicht nur stufenweise an das Zielspiel herangeführt, sondern zugleich regelbedingt taktisch und strategisch mit variablen Herausforderungen zunehmender Komplexität konfrontiert.

4.1.4 Trainingsmethodische Ansätze und Analysetools

Es muss das Ziel sein, Kindern und Jugendlichen eine altersgerechte und -angemessene Ausbildung zukommen zu lassen, um sie bestmöglich zu entwickeln. Dafür müssen die verantwortlichen Trainer eine entsprechende Schulung und Sensibilisierung über Themen wie Entwicklungspsychologie, körperliche Entwicklung in der Pubertät und Ursachen für den RAE erfahren. Außerdem ist es wichtig, dass Trainingsmethoden vermittelt werden, die zum einen altersgerecht sind und zum anderen valide Entwicklungsmöglichkeiten liefern.

Solange aber Inhaltsbausteine wie „Techniktraining (Detailkenntnisse, richtiges Demonstrieren und Korrigieren usw.)“ (DFB Elite-Jugendtrainerausbildung) vermittelt werden, kann man nicht erwarten, dass das auch erreicht wird. Denn die isolierte Betrachtung und explizite Korrektur von Techniken, wie es noch immer von fast allen Verbänden gelehrt wird, ist überholt und führt nachweislich auch nicht zum erhofften Erfolg (zusammenfassend: HENSELING/MARIC 2015, S. 25ff. m.w.N.). So trägt die Einführung von Trainerlizenzen wie die Elite-Jugendtrainer (UEFA-B Lizenz) bisher auch keine Früchte, da noch immer nach klassischen Methoden trainiert und sich dabei primär am Erwachsenensport orientiert wird (PARTINGTON/CUSHION 2013).

Insofern wäre es auch eine wichtige Maßnahme, die Trainerstellen mit fachlich kompetenten Altersspezialisten zu besetzen, welche die jeweiligen Altersgruppen kennen und mit den Eigenheiten dieser und trainingsmethodologisch, psychologisch, aber auch technisch-taktisch umgehen können.

Um die Fähigkeiten der Spieler nicht nur anhand der im Wettkampf gezeigten Leistungen einzuschätzen, muss desweiteren im Training die passende Umgebung geschaffen werden, um die Spieler fußballspezifisch analysieren zu können. Das setzt zwingend Spielformen voraus. Spielformen fördern erwiesenermaßen die technisch-taktischen Fähigkeiten effizienter und erlauben zugleich eine bessere Sichtung und Analyse als isolierte Übungen. Denn in solchen fehlt der Aspekt der Entscheidungsfindung. Außerdem besteht kein Spielkontext, was es unmöglich macht, die tatsächliche Qualität der Ausführung zu bewerten.

In Rahmen eines spielnahen Trainings müssen schließlich Kriterien für eine objektive Leistungs- und Entwicklungsanalyse geschaffen werden. Dazu werden in bestimmten Spielformen unter standardisierten Bedingungen positionsspezifische und positionsunspezifische Fußballaktionen gezählt (Anzahl der Aktionen pro Minute) und bewertet (Qualität der Entscheidungen, Qualität der Ausführung). Spieler, die gute Entscheidungen treffen und diese gut ausführen, aber bei letzterem abfallen, können angesehen werden, ob sie müde werden oder körperlich schwächer sind oder einfach nicht wissen, wann und wie sie aktiv werden müssen. Ersteres deutet auf eine mangelnde Physisentwicklung hin.

Im Falle der zweiten Variante ist Training gefragt (siehe unten). Trifft ein Spieler gute Entscheidungen, führt diese aber schlecht aus, liegt das entweder an einem Entwicklungsmangel in dem Teilbereich oder an mangelnder Physis. Trifft ein Spieler schlechte Entscheidungen, führt sie aber gut aus, ist das eine Frage der Spielintelligenz und kann somit im Training forciert werden. Alternativ kann das auch ein Indiz für mangelnde Vermittlungskompetenz des Trainers sein. Schlechte Entscheidungen gepaart mit einer schlechten Ausführung deuten auf eine insgesamt mangelhafte Qualität des Spielers hin. Schafft er dennoch viele Aktionen, darf das nicht zu einer positiven Bewertung infolge seiner körperlichen Überlegenheit führen. Im Hinblick auf physischen Probleme und Mängel muss beobachtet werden, ob der betreffende Spieler noch nicht das notwendige Niveau hat oder ob er müde ist.

Damit die Entscheidungsfindung und die Ausführung objektiv bewertet werden können, werden wiederkehrende suboptimale Lösungen auf die Referenzpunkte Orientierung, Position, Moment, Richtung und Geschwindigkeit hin analysiert. Als Beispiel wählen wir die Positionierung des Sechsers im Spielaufbau eines 4-1-4-1/4-3-3 gegen ein 4-4-2. Im Spielmodell ist vorgesehen, dass sich der Sechser situativ zurückfallen lässt, um eine Überzahl in der hintersten Linie zu schaffen, wenn die Innenverteidiger von der gegnerischen Doppelspitze unter Druck gesetzt werden. Als Folgeaktionen lassen sich die Achter zurückfallen, und die Flügelspieler rücken ein. Doch dazu kann es gar nicht erst kommen, wenn schon die auslösende Aktion – das Abkippen des Sechsers – scheitert.

Orientierung: Der Sechser kippt zwar korrekt ab, doch bei jedem Anspiel gerät er unter Druck. In der Analyse wird deutlich, dass er sich falsch zu den Mitspielern, Gegnern sowie dem Ball orientiert und ein mangelhaftes Umblickverhalten zeigt. Dadurch fehlt es ihm am nötigen Sichtfeld, sodass er schlechte Verbindungen zu seinen Mitspielern erzeugt und etwaige Gegenspieler in der Nähe übersieht. Zudem wird es dem Gegner durch seine schlechte Körperstellung im Feld leicht gemacht, gegen ihn zu pressen. Durch eine offenere Stellung hätte er eine bessere Übersicht und somit mehr Optionen.

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Probleme in der Orientierung; diese können sich nicht nur auf Körperstellung, sondern noch viel mehr auf Wahrnehmung / Umblickverhalten beziehen.

Probleme in der Orientierung; diese können sich nicht nur auf Körperstellung, sondern noch viel mehr auf Wahrnehmung / Umblickverhalten beziehen.

Position: Kippt der Sechser schlichtweg nicht ab, stimmt die Position nicht. Es muss geklärt werden, ob dies an einem mangelnden Verständnis der Aufgabe oder mangelhafter Auffassung der Situation liegt.

Moment: Der Sechser bewegt sich zwar nach hinten, tut dies jedoch im falschen Moment. Oftmals fällt er zu früh zurück, während der Innenverteidiger am Ball noch zum Flügel blickt.

Richtung: Der Sechser verliert immer wieder den Ball am eigenen Strafraum, weil er zu nah am rechten Innenverteidiger abkippt. Dadurch sind die Abstände zu gering, wodurch der Gegner im Pressing leicht Zugriff herstellen kann.

 

Geschwindigkeit: Der Sechser bewegt sich zwar in Richtung der richtigen Zone und weiß um die Effekte des Abkippens, doch er bewegt sich dabei zu langsam.

Diese Beispiele veranschaulichen, wie der Analyseprozess abläuft und welche Einblicke er in die Aktionen eines Spielers geben kann. Auf Grundlage der Beobachtung können Sichtfelder, die Orientierung bei der Ballannahme, positionsspezifische Eigenheiten und viele weitere Komponenten im Verantwortungsbereich eines Spielers in Wechselwirkung mit den eigenen und gegnerischen Spielern bewertet werden. Vor allem das Geben von Strukturen und Verbindungen kann somit recht zuverlässig evaluiert werden. Unter Umständen notwendige Verbesserungsprozesse werden dann zeitnah im Training unternommen.

Die obigen Beispiele zeigen außerdem, welch vielfältige Ursachen Beispielsweise ein Ballverlust haben kann. Häufig liegt die Ursache nicht in einer schlechten Ballbeherrschung (die dann womöglich in isolierten Übungsformen verbessert werden soll), sondern in schlechten Entscheidungen, mangelhaften Verbindungen oder auch an Defiziten im Blickverhalten. Das Übersehen eigener und gegnerischer Spieler kann direkt zu Ballverlusten führen oder dazu, dass gute Optionen nicht wahrgenommen werden. Vor allem der Aspekt der Orientierung stellt auf das Blickfeld ab.

Weist ein Spieler wiederholt Mängel in der Orientierung und/oder dem Umblickverhalten auf, reicht es häufig nicht, ihn darauf anzusprechen und das entsprechende Verhalten verbal einzufordern. Denn ob der Spieler dadurch in die Lage versetzt wird, die passende Situation und die etwaig  notwendigen Verhaltensweisen im Spiel zu erkennen und auszuführen, ist äußerst fraglich. Stattdessen muss der betreffende Spieler schon im Training immer wieder in Situationen gebracht werden, in denen ein erfolgreicher Ablauf zwingend von einem passenden Orientierungs- und Umblickverhalten abhängt. Somit wird er auf das adäquate Verhalten geprimt. Er erkennt, wann es notwendig ist und wie er sich entsprechend verhalten muss.

Eine passende Übung, um das zu vermitteln, kann wie folgt konzipiert sein: Es wird in einem Rondo 5-gegen-3 gespielt. Die fünf Spieler sind in Ballbesitz und sollen ihn durch eine ständige Zirkulation sichern. Vier Spieler stehen entlang der Außenlinien; der fünfte Spieler – unser Patient – agiert im Zentrum, wo auch die drei Verteidiger sind.

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Eine Übung zur Ballzirkulation und zum Freilaufverhalten, ebenso wie zum Pressing und zur Kontrolle von Passwegen. Abbildung 137 aus unserem Buch "Fußball durch Fußball".

Eine Übung zur Ballzirkulation und zum Freilaufverhalten, ebenso wie zum Pressing und zur Kontrolle von Passwegen. Abbildung 137 aus unserem Buch „Fußball durch Fußball“.

Der zentrale Spieler muss den Ball direkt passen, darf aber nicht zu demjenigen Spieler passen, von dem er zuvor den Ball erhielt. Um dies erfolgreich umsetzen zu können, ist es für ihn unerlässlich, sich jederzeit über die jeweilige Position seiner Mit- und Gegenspieler zu vergewissern. Dafür muss er sich ständig umsehen. Erst auf Grundlage dieser Wahrnehmung, kann er sich passend positionieren und orientieren, um den Ball sofort zu einem Dritten weiterzuleiten. Dabei kann der Trainer begleitend coachen.

Während schlechte Entscheidungen und Verbindungen mithilfe des obigen Analysetools identifiziert werden können, muss für die Prüfung des Blickfeldes ein weiteres Instrument gefunden werden, wenn die Orientierung keine Mängel aufweist. Dafür ist ein simpler Test geeignet, der vom U10/11-Coach des VfL Wolfsburg, Tim Stegmann, genutzt wird: Der Mittelkreis wird als eine Uhr angesehen, in deren Mitte der zu testende Spieler steht. Auf Zwölf Uhr steht der Trainer; auf Sechs Uhr stehen zwei weitere Spieler. Der Spieler in der Mitte blickt starr zum Trainer; seine Augen sollen sich nicht bewegen. Nun gehen die beiden Spieler auf Sechs Uhr jeweils links und rechts entlang des Mittelkreises langsam Richtung Trainer. Wenn der Spieler in der Mitte einen der beiden Spieler in seinem Augenwinkel sieht, zeigt er das an und der betreffende Spieler bleibt stehen.

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Test, Tim Stegmann, Wolfsburgs U11.

Test, Tim Stegmann, Wolfsburgs U10/U11.

Die Bedeutung von Blickfeld und Umblickverhalten wird bei Fußballern häufig unterschätzt. Dabei bildet die visuelle Wahrnehmung die erste Phase allen taktischen Handelns. Es ist daher wichtig, Kenntnisse über das Blickfeld der Spieler zu haben und sie permanent zum Umblicken und Orientieren anzuregen. Studien zeigen, dass ein großes Blickfeld mit einer großen Sportspielerfahrung korreliert (JENDRUSCH 2009 m.w.N.; GRALLA 2007, S.52ff. m.w.N.). Mithilfe des obigen Tests erhält der Trainer Informationen darüber, wie es um das periphere Sehen seiner Spieler bestellt ist. Wird nun ein spielnahes Training forciert, kann mittels einer regelmäßigen Anwendung dieses Tests kontrolliert und nachvollzogen werden, ob und wie sich das Blickfeld des betreffenden Spielers erweitert.

So konzentrieren sich die Trainer in La Masia – trotz nach unseres Kenntnisstands keines objektiven Testverfahrens – besonders darauf, dass die Spieler das richtige Blickverhalten haben. Die Wahrnehmung wird als Basis für das Handeln gesehen, da es sämtliche basale Fußballaktionen definiert. Diese werden in der katalanischen Fußballakademie ebenfalls besonders beobachtet und geschult; ob Freilaufverhalten, Entscheidungsfindung im Passspiel oder Körperhaltung.

4.1.5 RAE und Taktik

Es wurde bereits angemerkt, dass eine pressing- und umschaltintensive Ausrichtung vom RAE profitieren könnte und ihn umgekehrt wiederum bestärkt. Es stellt sich also die Frage, ob man dem RAE entgegenwirken kann, wenn man einen Spielstil wählt, der stärker auf dem eigenen Ballbesitzspiel und dem Erzeugen von aufbau- und zugleich zugriffsorientierten Strukturen basiert. Wo also die Bedeutung von Verbindungen und dem Erkennen von potenziellen Freiräumen größer ist, als die Intensität im Anlauf- und Zweikampfverhalten. Denn gerade unter einem bestehenden RAE kann die Besetzung von Räumen in einer Art und Weise erfolgen, die nicht zwingend auf einer guten Antizipation und Raumaufteilung beruhen muss sondern primär auf schnellen Spielern, die in der Lage sind, viel Raum durch ein hohes Tempo zu besetzen. Dadurch könnten vor allem taktische Defizite kompensiert werden. In pressingintensiven Spielstilen geht es primär darum, den gegnerischen Spielaufbau zu Fehlern zu zwingen, um nach etwaigen Balleroberungen die gegnerische Unordnung für eigene Angriffe auszunutzen. Eine kreative Komponente ist hierbei nicht unbedingt notwendig.

Im Rahmen von FOOTECO verfolgt der Schweizer Fußballverband zwar eine offensive Grundausrichtung, allerdings werden keine strategisch-taktischen Vorgaben zur Umsetzung vorgeschlagen. Auch unter einem hohen Pressingfokus verstehen viele Trainer und Verantwortliche eine offensive Spielweise, weshalb die Vorgabe „offensive Spielstile“ unpräzise ist. Besser wäre es, von „konstruktiven Spielstilen“ zu sprechen. Wieder La Masia: Hier wurden eigene, kindgerechte Termini für Fußballaktionen eingeführt, welche eine besondere implizite Bedeutung beinhalten.

In Deutschland wäre ein Umdenken ebenfalls wichtig. Anstatt Pressing und Gegenpressing als beste Spielmacher zu sehen, sollte der eigene Aufbau über gute Verbindungen dazu führen, nach etwaigen Ballverlusten sofort Zugriff zu erzeugen. Das Spiel zu machen, ist dabei die beste Voraussetzung für Gegenpressing. So hat man zwei anstelle nur eines Spielmachers und würde weniger über die Intensität kommen, als vielmehr über Spielverständnis und -intelligenz.

4.2 weitere Vorschläge und Maßnahmen

Ein radikaler Ansatz fordert die Abschaffung von Nationalmannschaftsturnieren im Nachwuchsbereich, um die Bedeutung des Gewinnen-müssens für die Leistungsselektion zu neutralisieren. Zudem würden dann die Nationalmannschaften obsolet, sodass es keine zusätzliche Förderung gibt, was die Entwicklungsunterschiede weiter vorantreibt. Dieser Ansatz würde im Endeffekt aber dazu führen, dass jegliche zusätzliche Förderung ausbleibt, wodurch letztlich die Nachwuchsarbeit insgesamt an Niveau verlieren würde.

Dennoch stellt der Aspekt des Gewinnenmüssens die Verantwortlichen vor große Herausforderungen, weil hier der „Fehler“ im Ligasystem (Meisterschaft, Auf- und Abstieg) sowie der Erwartungshaltung von Trainern, Eltern und der Öffentlichkeit liegt. Spieler werden vor allem seitens der Trainer zum Gewinnen motiviert und von ihnen auch entsprechend aufgestellt. Wem der Trainer nicht zutraut, wertvoll für den Spielausgang zu sein, wird wohl kaum spielen. Dabei herrscht ein emotionales Coaching, in dem die Bedeutung der Zielerreichung dominiert, während die Art und Weise ebendieser Zielerreichung keine Rolle spielt. Anstatt eine Siegermentalität durch emotionales Coaching einzufordern, sollte aufgabenorientiert gecoacht werden. Der Trainer zeigt seinen Spielern, wie sie durch das Lösen von Situation zur Zielerreichung gelangen. Die Motivation ergibt sich dabei aus der Selbstwirksamkeitserwartung, welche wiederum aus einem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten erwächst.

In einigen Landesverbänden (bspw. Niedersachsen) werden bei den G- und F-Junioren keine Meisterschaften ausgespielt. Zudem hat der DFB 2013 die sogenannte „Fair-play-Liga“ eingeführt. Hier werden die üblichen Spielregeln um folgende drei Grundsätze erweitert:

  1. Eltern und Zuschauer müssen mindestens 15 Meter weg vom Spielfeld stehen.
  2. Die Trainer beider Mannschaften stehen direkt nebeneinander und treten sozusagen als ein Trainerteam auf.
  3. Es wird ohne Schiedsrichter gespielt. Über die Sanktionierung bei Regelverstößen entscheiden die Spieler selbst.

Auf diese Weise sollen Kinder Selbständigkeit und gegenseitige Rücksichtnahme lernen. Der Spaß soll im Vordergrund stehen und nicht der unbedingte Erfolg.

Von einigen Experten wird empfohlen, dass Im Leistungsbereich anstelle von Siegprämien Boni für Nachwuchstrainer gezahlt werden sollten, wenn es einer ihrer Spieler in den Profibereich schafft. Den Spielern soll es ums Gewinnen gehen; den Trainern um die Entwicklung. Dass die Spieler Letzteres nicht wissen müssen, ermöglicht beides.

Auch die TSG Hoffenheim sucht seit einigen Jahren nach Mitteln gegen den RAE. So werden Spieler erst ab dem 12. Lebensjahr selektiert. Bis dahin sollen sie in ihren Heimatvereinen verbleiben. Darüber hinaus zählen Titel und Erfolge erst ab der U17. „Vorher darf es allenfalls darum gehen, den Abstieg zu verhindern.“, so der Leiter des Hoffenheimer Kinderfußballs Dominik Drobisch gegenüber DIE ZEIT ONLINE. Hoffenheim hat mittlerweile Funino eingeführt und lässt die Wirksamkeit wissenschaftlich evaluieren.

Der Vorschlag, das Stichtagsdatum jährlich um drei Monate nach hinten zu verschieben, damit die Spieler mal zu den relativ Älteren und mal zu den relativ Jüngeren zählen, ist interessant. An der Selektionspraxis und der Bevorzugung relativ älterer Spieler dürfte sich jedoch dadurch allein nichts ändern.

  1. Fazit

Mit Bekanntwerden des RAE in den 1980er Jahren waren auch die Ursachen dafür weitestgehend klar. Doch trotz des seit vielen Jahren bekannten Phänomens hat sich zumindest in Deutschland keine Besserung in der Talentselektion eingestellt. Erste Reformen führten nach der desolaten EURO 2000 dazu, dass der DFB eine stark vernetzte Infrastruktur von Stützpunkten, Eliteschulen des Sports/Fußballs und NLZ schuf. Dadurch werden kaum noch Talente übersehen. Dass diese Maßnahmen sinnvoll waren, belegen die positiven Ergebnisse bei den Junioren-Europameisterschaften 2008/2009 sowie der Weltmeistertitel von 2014. Später wurden die Feldmaße im G- bis D-Jugendbereich verkleinert, um dem körperlichen Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen besser zu entsprechen.

Spezielle Maßnahmen gegen den RAE wurden jedoch bis 2015 nicht getroffen. Und seitdem wurde lediglich eine Quote für Spätgeborene in der Sichtung von Talenten eingeführt. Vergleicht man diese Maßnahme mit den seit 2008 umfangreichen Programmen der Schweizer Sportverbände und den zahlreichen Erkenntnissen aus den Wissenschaften, ist für den DFB noch viel zu tun.

Es fallen zu viele Spieler wieder aus dem engen Fördernetz heraus, weil es noch immer Defizite in den Inhalten gibt. Die Hauptprobleme sind die nach wie vor dominierenden klassischen Trainingsmethodiken und der Mangel an objektiven Analysetools für die Bewertung der technisch-taktischen Fähigkeiten der Spieler. Zudem ist das Potenzial von strategischen und taktischen Mitteln im Bereich des Ballbesitzspiels noch längst nicht ausgeschöpft. Tatsächlich stagniert der deutsche Fußball seit Jahren in seinem Pressingfokus. Wie für einen Teufelskreis typisch ist der RAE zugleich Ursache und Folge all dieser Mängel.

Im Laufe der letzten Jahre wurden vor allem in der Schweiz und von Raymond Verheijen innerhalb der Akademie Feyenoord Rotterdams viele Lösungsmöglichkeiten diskutiert und getestet. Diese gilt es nun auch in Deutschland zu implementieren und evaluieren. Die wesentlichen Strategien zur Vorbeugung des RAE sehen folgende Punkte vor:

– späte Selektion (ab U14/15 = C-Junioren)

– kleinere Altersgruppen (mindestens halbjährig, bestenfalls quartalsweise)

– altersgerechte Spielregeln (Spielfeldmaße, Torgröße, Mannschaftsstärke)

– altersgerechtes Training

– konstruktive Spielstile

– Einführung technisch-taktisch fokussierter Analysetools

– Berücksichtigung des biologischen Alters

– alters- und kontextgerechte Belastungssteuerung

– Varianz zwischen den Kadern und teilweise auch Leihsysteme

Wie diese Punkte im Detail angegangen werden, ist teilweise noch sehr oberflächlich und bedarf weiterer Forschung. Insbesondere Instrumente zur objektiven Bewertung der technisch-taktischen Leistungsfähigkeit sind bisher kaum untersucht worden (SCHWESIG et al. 2016). Zumindest PISTE und FOOTECO bieten einige vielversprechende Ansätze, die es weiter zu verfolgen gilt.

Die Implementierung valider Analysetools zur Prognose und Förderung von Talenten stellt hohe Anforderungen an die Expertise der beteiligten Nachwuchstrainer. Solche Instrumente stecken noch in den Kinderschuhen und können schwerlich ausgereift sein. Denn Studien zur Wirksamkeit dieser Instrumente sind selten und allenfalls oberflächlich. Daher ist es wichtig, Trainer nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaften auszubilden. Sie müssen einerseits verstehen, welche Methoden unter welchen Voraussetzungen zum Erfolg führen und andererseits für die körperlichen Veränderungen in der Adoleszenz sensibilisiert werden.

Dennoch ist es schwer nachzuweisen, welchen Einfluss solche Instrumente auf die Talentselektion und -entwicklung haben. Denn eine Garantie, dass relativ Jüngere noch aufholen werden, ist nicht gegeben. Und selbst wenn es gelingt, die Geburtenverteilung der Talente anzugleichen, heißt das noch nicht, dass auch tatsächlich die talentiertesten Spieler gefunden werden. Obwohl der RAE ein Beleg für eine ineffiziente Nachwuchsförderung ist, kann allein die statistische Neutralisation des RAE aber kein Qualitätsmerkmal für die Nachwuchsförderung sein. Hierin zeigt sich vor allem die Schwäche etwaiger Quoten für Spätgeborene. Das wichtigste Mittel gegen den Matthäus-Effekt ist und bleibt die optimale Ausbildung der technisch-taktischen Fähigkeiten.

 

Literatur

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Beck, Frieder; Sportmotorik und Gehirn. Differenzielles Lernen aus der Perspektive interner Informationsverarbeitungsvorgänge; in: Sportwissenschaft 38 (2008), H. 4, S. 423-450

Côté, Jean / Baker, Joseph / Abernethy, Bruce; Practice and play in the development of sport expertise, in: R. Eklund/G. Tenenbaum (Hrsg.), Handbook of sport psychology, Hoboken, NJ 2007, S. 184-202

Fuchslocher, Jörg / Romann, Michael / Rüdisüli Laurent, Ralph / Birrer, Daniel / Hollenstein, Cornel; Das Talentselektionsinstrument PISTE – Wie die Schweiz Nachwuchsathleten auswählt; in: Leistungssport (2011), S. 22-27

Gralla, Volker, Peripheres Sehen im Sport. Möglichkeiten und Grenzen dargestellt am Beispiel der synchronoptischen Wahrnehmung, Bochum 2007

Jendrusch, Gernot, Sportspiele und visuelle Leistungsfähigkeit – Bochumer Perspektiven, in: H.-F. Voigt/G. Jendrusch (Hrsg.), Sportspielforschung und -ausbildung in Bochum. Was war, was ist und was sein könnte, Hamburg 2009, S. 117-138

Lames, Martin / Augste, Claudia / Dreckmann, Christoph / Görsdorf, Karsten / Schimanski, Maren; Der „Relative Age Effect“ (RAE): neue Hausaufgaben für den Sport; in: Leistungssport (2008), S. 4-9

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Partington, Mark / Cushion, Christopher; An investigation of the practice activities and coaching behaviors of professional top-level youth soccer coaches; in: Scandinavian Journal of Medicine and Science in Sports 23 (2013), H. 3, S. 374-382

Rampini, Ermanno / Impellizzeri, Franco M. / Castagna, Carlo / Abt, Grant / Chamari, Karim / Sassi, Aldo / Marcora, Samuele M.; Factors influencing physiological responses to smallsided games; in: Journal of Sports Sciences 25 (2007), H. 6, S. 659-666

Romann, Michael / Fuchslocher, Jörg; Gnade der frühen Geburt oder Chancengleichheit?; in: Mobile – die Fachzeitschrift für Sport 2 (2010), S. 18-21

Sallaoui, Ridha / Chamari, Karim / Chtara, Moktar / Manai, Youssef / Ghrairi, Mourad / Belhaouz, Mohcine / Baroon, Abdullah; The relative age effect in the 2013 FIFA U-17 Soccer World Cup competition; in: American Journal of Sports Science 2 (2014), Heft 2, S. 35-40

Schwesig, René / Miserius, Marcel / Hermassi, Souhail / Delank, Karl Steffen / Noack, Frank / Fieseler, Georg; Wie valide ist die Leistungsdiagnostik im Fußball?; in: Sportverletzung Sportschade 30 (2016), H. 1, S. 26-30

Van Kolfschooten, Frank; How simple can it be? Unique lessons in professional football: behind the scenes with Raymond Verheijen; 2015

Wein, Horst; Spielintelligenz im Fußball – kindgemäß trainieren; Aachen 2012

SV Training #1: Mit unterschiedlichen Feldformen um die Ecke denken

Dass viele unserer Autoren als Trainer tätig sind, dürfte niemanden mehr weiter überraschen. Spätestens seit „Fußball durch Fußball“ herausgegeben wurde, sind auch die grundsätzlichen Prinzipien einer zeitgemäßen Trainingsweise nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse ausführlich dargelegt. Nun ist es an der Zeit, dieses ganzheitliche Konzept weiter mit Inhalten aus der Praxis zu füttern – davon lebt es letztlich und darauf ist seine Weiterentwicklung auch ausgerichtet.

Zu diesem Zwecke werden an dieser Stelle, in ähnlich loser Form wie beim SV Mailbag, nun häufiger einmal unterschiedliche Artikel erscheinen. Einerseits wird es allgemeiner gefasste Themenblöcke geben, die Gestaltungsmöglichkeiten auf eher strukturelle Art und Weise thematisieren. Andererseits gehören auch Beiträge über einzelne, ganz konkrete Trainingsformen zum Repertoire. Alles zur Anregung eines aktiven Mitdenkens in vergleichsweise prägnanter Form.

Die Inhalte verknüpfen technische, taktische und konditionelle Inhalte innerhalb eines Trainingskonzeptes, bei dem das Treffen von Entscheidungen unter variablem Raum-, Zeit- und Gegnerdruck im Vordergrund steht. Das Ziel ist es, eine optimale Lernumgebung für die Spieler und den Trainer selbst zu schaffen. Bei der Durchführung wiederum bleibt es elementar, den Spielern Zeit zu lassen, damit sie selbst Lösungen finden können. Fehler und teils stockender Spielfluss gehören, gerade bei neuen Eindrücken, zu diesem (selbstorganisiert und nichtlinear verlaufenden) Lernprozess, in den der Trainer unterstützend eingreift. Zu grundlegenden Konzeptionen dahinter finden sich vielerlei interessante Beiträge im englischsprachigen Blog von Mark O’Sullivan.

An dieser Stelle geht es des Weiteren keineswegs darum, Ideen im Sinne einer bloßen Copy-And-Paste-Nutzung freizugeben, sondern vielmehr, wie Pep Guardiola es sinngemäß nennt, um die Anregung „intelligenten Stehlens“ –  was als eine Art der Inspiration zu verstehen ist.
Dass man dabei teilweise exakt dieselben Spielformen durchführt, die man irgendwo anders aufgeschnappt hat, ist unvermeidlich. Auch ich schaue gerne in die hervorragende Sammlung von Jens Schuster, Assistent bei der U17 Hoffenheims, auf das spanischsprachige Angebot von „The Rondo“ oder die Videos von Enric Soriano.

Dies alles muss jedoch den eigenen Konzeptionen, strategisch-taktischen Überlegungen sowie schlichtweg dem entsprechenden Spielniveau angepasst werden und ist nicht zuletzt von der Frage abhängig, was man selbst sicher coachen und vermitteln kann.

Die Feldgröße beispielsweise ist eine Komponente, die sich von Team zu Team, alleine aufgrund unterschiedlicher Altersstufen, erheblich unterscheiden kann, weshalb eine allgemeine Festlegung kaum sinnvoll ist, eigene Erfahrungen hingegen unerlässlich bleiben. Ähnlich verhält es sich mit der jeweiligen Zeitdauer, die man für einzelne Formen veranschlagt, welche wiederum von der Periodisierung abhängig ist. Nicht zuletzt lassen sich unzählige Punkteregelungen und Variationsmöglichkeiten erfinden, die bestimmte Verhaltensweisen provozieren oder schlichtweg eine Reaktion auf abweichende Zahlenverhältnisse darstellen.

Im Sinne der differenziellen Lernmethode nach Schöllhorn gilt es, die Spieler immer wieder mit neuen Herausforderungen zu konfrontieren und die zur Weiterentwicklung zwingend notwendigen Schwankungen zu erzeugen. Eine Möglichkeit dabei: Mit unterschiedlichen Feldformen experimentieren. Hierbei gilt der Fokus vor allem Positionsspielen und Spielformen, die allgemeine Spielkonzepte implizit vermitteln sollen, weniger um konkrete Spielausschnitte und das Nachstellen von Situationen.

Nicht nur metaphorisch gesprochen, verläuft unser Denken allzu oft recht linear oder rechteckig. Dabei besteht die Welt des Fußballs doch aus Dreiecken! Dementsprechend bietet sich diese Form auch bei der Feldgestaltung an. Die Passwinkel unterscheiden sich automatisch, wie auch bei den im weiteren Verlauf thematisierten Feldern, von denen in einem Rechteck. Vor allem Diagonalität wird dabei provoziert, auch in Bezug auf die Orientierung selbst.

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dreifarben-dreieck
Spielform 1: Dreifarbenspiel im Dreieck. Weiß und Blau agieren gemeinsam, während Rot verteidigt. Auf der langen Seite wird ruhig zirkuliert, ehe der Ball über den Mittelspieler oder mithilfe entsprechender Positionswechsel auf eine der diagonalen Seiten gebracht wird. Verlagert sich das Geschehen an den Schnittpunkt dieser, so ist schnelle Unterstützung sowie das Öffnen von Passwegen gefragt, während das Defensivteam aggressiv zugreift. Gelingt ihm eine Balleroberung, verteidigt fortan das Team, welches den Ballverlust verursacht hat. Die vorherigen Verteidiger positionieren sich so schnell wie möglich auf den Außenseiten. – auch wenn die Mannschaft im Zentrum den Ball zuvor verloren hat. In diesem Fall rückt das zuvor außerhalb positionierte Team nach innen. So ergibt sich eine ständig wechselnde, hochkomplexe Spielsituation, die einem fortwährend Aufmerksamkeit abnötigt.

Die jeweiligen Seiten lassen sich stets auf unterschiedliche Art und Weise zueinander anordnen, sodass sich der Fokus entweder auf eine eher vertikale oder horizontale Zirkulation legen lässt.
Eine Besonderheit bilden dabei in jedem Fall die spitz zulaufenden Ecken, welche einerseits eine Herausforderung im konstruktiven Ballbesitzspiel darstellen und andererseits für gezielte Pressingmomente und leitende Elemente genutzt werden können.

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dreieck-mit-minitoren
Spielform 2: Minitor-Dreieck. Im Beispiel ergibt sich ein Zahlenverhältnis von 6 gegen 4. Blau spielt auf Ballbesitz und erhält für eine bestimmte Anzahl von Pässen einen Punkt. Rot versucht wiederum, den Ball zu erobern und innerhalb einer festgelegten Zeitspanne in eines der drei Tore zu treffen, was ebenfalls mit einem Punkt belohnt wird.
Eine komplexere Form würde die Nutzung von zwei äußeren Neutralen im 4 gegen 4 plus 2 darstellen, bei der das ballerobernde Team stets die Wahl zwischen Ballsicherung und schneller Torerzielung hat.

Da diese Situationen sich teilweise schon zu extrem gestalten, lassen sich einerseits, wie gezeigt, die Ecken durch die Nutzung von Minitoren abstumpfen, andererseits wird die geometrische Form recht schnell zum symmetrischen Sechs- oder Achteck erweitert. Diese Möglichkeit nutzte beispielsweise Thomas Tuchel während des diesjährigen Trainingslagers in Bad Ragaz bei einer etwas größeren Spielform, siehe Video.

Auch Positionsspiele lassen sich auf solchen Spielfeldern vielfältig gestalten, vor allem durch die Nutzung von neutralen Spielern auf den Außenseiten. Diese lassen sich auf verschiedene Art und Weise den jeweiligen Teams zuordnen.

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Spielform 3: End-To-End im Sechseck mit Neutralen. 4 Blaue spielen im Feld gegen 4 Rote. Jedem Team stehen bei Ballbesitz zum einen die neutralen Weißen, zum anderen ihre gleichfarbigen Teamkameraden außerhalb des Feldes zur Verfügung. Die äußeren Spieler haben jeweils einen Ballkontakt und dürfen sich den Ball untereinander nicht zuspielen. Ziel für Rot und Blau ist es sich von einem ihrer Mitspieler außerhalb des Feldes zu demjenigen auf der anderen Seite durchzukombinieren.

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Spielform 4: Sechseck mit Wandspielern an Minitoren. Blau und Rot haben jeweils vier Spieler im Feld und zwei Spieler an den Seiten neben ihrem Tor. Ein Wandspieler steht am gegnerischen Tor und kann sich dahinter frei bewegen. Alle äußeren Spieler dürfen den Ball maximal einmal berühren. Über ruhiges Spiel aus einer Aufbaudreierkette heraus gilt es einen entscheidenden Pass in die Tiefe anzubringen, für den sich der Wandspieler in der Lücke anbietet. Die äußeren Spieler achten bei ihrer Positionierung vor allem auf die Höhe der Nebenmänner und passen sich dieser entsprechend an, sodass sie nicht auf einer Linie mit ihnen stehen. Im weiteren Verlauf fortlaufenden Wechsel der Positionen erlauben.

Ein weiteres Mittel, um beispielsweise dynamische Positionsbesetzung, passend zur jeweils verfügbaren Schnittstelle hervorzuheben, ist es weniger Spieler auf Außen einzusetzen als es Seiten gibt. Diese dürfen sich stattdessen frei bewegen und müssen eine optimale Positionierung finden. Das gleichzeitige Erhöhen der Eckenzahl von geometrischen Formen lässt sich letztlich über das unten dargestellte Zehneck bis zum Kreis als n-Eck fortführen, sodass die Optionen dabei noch deutlich gesteigert werden bis es keine Seiten im ursprünglichen Sinne mehr gibt.

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Spielform 5: Zehneck. 6 Blaue gegen 6 Rote, ein neutraler Spieler. Bei Ballbesitz müssen 3 Spieler der jeweiligen Mannschaft außerhalb des Feldes sein, dürfen ihre Position jedoch, je nach Pressing des Gegners und Staffelung der Mitspieler fließend wechseln, mit Spielern innerhalb des Feldes tauschen und frei angespielt werden. Einerseits stellt dies vielfältige Anforderungen an die Kommunikation beider Teams, andererseits werden Rochaden aktiv eingefordert sowie ein passwegorientiertes Pressing gefördert.

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Auch asymmetrische Varianten, wie diese von MR konzipierte, sind in einer weiteren Stufe denkbar. Sie schulen vor allem die Orientierung der Spieler im Raum. Ein Thema, über das in diesem Rahmen noch ausführlich zu berichten sein wird.


SV Training #2: Mehr als zwei Stangen und Netz

Ein weiterer Ausflug in die Welt geometrischer Möglichkeiten für die tägliche Arbeit im Training. Ganz ohne einschleifendes Wiederholen von Schüssen und mit erstaunlich wenig Aluminium.

SV Training ist unsere Praxis-Rubrik. Die Inhalte verknüpfen technische, taktische und konditionelle Komponenten innerhalb eines ganzheitlichen Trainingskonzeptes, bei dem das Treffen von Entscheidungen unter variablem Raum-, Zeit- und Gegnerdruck im Vordergrund steht. Aus den grundsätzlichen Ideen soll jeder Trainer schließlich selbst für ihn passende Spielformen kreieren.

Nachdem ich zu Beginn der Serie bereits etwas ausführlicher über diverse Feldformen reflektiert habe, geht es in dieser Folge nun darum Dreiecke und Rauten aufs Spielfeld zu bringen – als (Pass-)Tore. Wie das genau aussehen kann lässt, sich in diesem Videoausschnitt mit Diego Simeone recht gut erkennen.

„El Cholo“ verwendet Stangen, um beim Rondo ein Zielfenster für Zuspiele durch das Zentrum zu erzeugen. Andersherum formuliert: Er provoziert die Verteidiger dazu, Pässe durch die Mitte zu verhindern. Dadurch, dass der Abstand innerhalb des Dreieckstores sehr eng ist, funktioniert dies idealerweise durch eine aggressive Form der Verteidigung und Deckungsschattennutzung.

Diese Art des Pressings kann wiederum bei wenig akkurater Ausführung durch schnelle Zirkulation über nebeneinanderstehende Spieler überwunden werden, ehe sich entweder doch ein Passweg öffnet oder eine große Anzahl an Pässen erreicht wird.

Je nachdem, wie man als Spieler zu den Stangen steht, ergeben sich unterschiedliche Passmöglichkeiten in Bezug auf das Dreieckstor. Gerade wenn sie so nah beieinander aufgestellt sind wie im Beispiel von Atlético, kann nicht jeder Spieler den Ball hindurch passen, weil einigen eben der Weg durch die Stangen selbst versperrt ist. Diejenigen, die es könnten, müssen sich wiederum akkurat positionieren und freigespielt werden. Die Verteidiger können dies ihrerseits erkennen und das Spiel zu potentiell weniger gefährlichen Akteuren lenken.

Einen Faktor bei der Nutzung dreieckiger Tore stellt also schlichtweg deren Fläche dar. Gleichzeitig lässt sich im Rahmen von Positionsspielen die bloße Anzahl steigern und man kann damit einhergehend zusätzliche Vorgaben machen, welche oder wie viele Tore bespielt werden sollen. Auch der Zweck wird hier dahingehend variiert, dass es nicht mehr um den einen linienüberwindenden Pass, sondern um kleinräumiger angelegte Kombinationen sowie anschließende Wechselpässe geht.

Wenn man gerade keine Stangen zur Hand hat oder schlichtweg deren räumlichen Faktor reduzieren will, lassen sich natürlich genauso gut herkömmliche Hütchen verwenden. Zudem kann festgelegt werden, ob und eventuell wie lange der Raum innerhalb des Dreiecks besetzt werden darf.

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dreieckstorschach

Dreieckstore-Vierfelderspiel von Nils Poker (Klick aufs Bild für eine ausführliche Beschreibung).

Besonders interessant werden die Dreieckstore schließlich in weiträumigen Spielformen, bei denen sie für kurze wie lange Pässe erreichbar sind und einzelne von ihnen als Kontrast beispielsweise für Dribblings freigegeben werden können. In letzter Konsequenz lassen sich somit unmittelbar spielnahe Vorgaben machen. Beispielsweise lassen sich zur Fokussierung ganz bestimmter Aspekte auch eine klare Ballbesitzmannschaft und ein verteidigendes Team festlegen, dem nach Ballgewinn ein Zeitlimit für erfolgreiches Kontern gesetzt wird.

Hierbei stellt sich die Frage: Wie positioniert man die Dreieckstore auf dem Feld? Nachfolgend einige Beispiele:

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– 11 gegen 11; 4-3-3 gegen 5-3-2; Grundlinie bis etwa 7 Meter hinter die Mittellinie; kleine Dreieckstore rautenförmig zueinander angeordnet; vor Torerfolg muss eines im Zentrum und eines im Halbraum bespielt werden.
– Defensive bei Team Blau: Lenken nach außen bei tieferer Position der Achter; Lenken nach innen und Isolieren des Sechser, wenn die Achter höher stehen; „Trennen“ der Innenverteidiger; Aufrücken der Wingbacks auf der ballnahen Seite (keine Mannorientierung); gezielte Reaktion darauf, welche Tore noch bespielt werden müssen.
– Offensive bei Team Rot: Halbraum- und Zentrumsfokus; Schaffen von Optionen für Spiel weg vom Flügel; Anlocken und Wechselpässe; Schnittstellenpässe und Einlaufen hinter die Abwehr; zusätzlich individuellere Aspekte wie Absetzen des Sechsers in den ballfernen Halbraum bei Ballbesitz eines Innenverteidigers.

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grosse-dreiecke-aussen
– 9 gegen 9; 2-4-2-Aufbau gegen 2-3-3-Pressing, Grundlinie bis zum hinteren Ende des Mittelkreises, volle Breite; große Dreieckstore (etwa 15 Meter Seitenlänge) zwischen Halbraum und Seitenlinie; Bespielen eines der Tore durch direkten Pass, bevor ein Torabschluss verfolgen darf.
– Defensive: Lenken des gegnerischen Aufbaus nach innen; schnelles Verschieben bei Zuspiel zum Flügel; sofortiger Zugriff im Zentrum; Deckungsschattennutzung, Referenzpunkte v.a. Dreieckstore und äußere Spieler des Gegners.
– Offensive: Tiefes Anbieten der Innenverteidiger neben dem aktiv eingebundenen Torwart; Herauslocken für Vorstöße am Flügel; Nutzen schneller Ablagen aus dem Zentrum heraus; dynamische Läufe, um durch Dreieckstore anspielbar zu sein (v.a. Stürmer); Zurückdrängen der Innenverteidiger, um Zwischenlinienraum zu öffnen.
– Variation 1: Es darf innerhalb der Dreieckstore kombiniert werden. Diese gelten dann als bespielt, wenn der Ball durch eine Seite hinein- und durch eine andere Seite wieder hinausgelangt, ohne dass der Gegner am Ball gewesen ist. Die verteidigende Mannschaft erhält einen Zusatzpunkt, wenn sie den Ball im Dreieckstor erobert und einen erfolgreichen Pass über eine der Außenseiten desselben anbringt.
– Variation 2: Den beiden Toren werden Farben zugeordnet. Der Trainer sagt willkürlich eine der Farben an und kann jederzeit ein neues Kommando hereinrufen. Für Durchspielen des angesagten Dreieckstores gibt es einen Extrapunkt. Wird im Anschluss ein Tor erzielt, ohne dass der Gegner den Ball zwischendurch erobert, zählt dieses zusätzlich doppelt. So wird das Lenken auf eine Seite forciert, wobei der ständige Wechsel eine zusätzliche Umschaltkomponente ins Spiel bringt.

Durch entsprechende Anordnung der Dreieckstore in Kombination mit anderen Elementen kann der Trainer schließlich unter Gegnerdruck klarere Abläufe und Muster ins Spiel bringen, ohne die Entscheidungsfindung grundlegend einzuschränken. Dadurch wird einerseits ein insgesamt höheres Bewusstsein bei den Spielern erzeugt, wenn sie bereits auf einem relativ hohen Niveau agieren und über entsprechendes Priming verfügen. Andererseits ist innerhalb des dann abgesteckten Rahmen vielerlei explizites Coaching möglich, wobei dies neben Konturierung eigener Spielerrollen beispielsweise ganz konkret der Gegneranpassung dienen kann. Hier geht es schon ordentlich ins Detail, weshalb ein ausführliches Beispiel folgt:

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asymmetrische-dreieckstore
– 7 gegen 6; asymmetrischer Aufbau (aus 4-3-3 abgeleitet) gegen 4-2/2-2-2-Pressing; ca. halbes Feld; 3 Minitore auf der Mittellinie für rotes Angriffsteam; 2 frontal und 2 seitlich stehende Minitore für Konter des Verteidigungsteams; Dreieckstore (5-7 Meter Seitenlänge) und rechteckige Zone (ca. 10*15 Meter) wie dargestellt; nachdem der Ball im Aus war, startet das Spiel stets mit Aufbau von Rot.
– Bevor Rot ein Tor erzielen darf, müssen während eines Spielzugs entweder beide blauen oder beide roten Dreieckstore bespielt worden sein, ohne dass der Gegner zwischendurch den Ball erobert.
– Der orange unterlegte Innenverteidiger darf durch einen „Laserpass“ zusätzlich direkt einen Treffer erzielen, ohne dass die Dreieckstore bespielt wurden.
– Die schwarz markierte Zone repräsentiert den Sechserraum. Dieser muss ständig besetzt sein –  wobei es dabei egal ist, durch wen dies geschieht.
– Blau darf frei auf eines der vier zur Verfügung stehenden Minitore kontern. Dauert der Konter zu lange, unterbricht der Trainer und es geht wieder bei Rot los.

Zur Erklärung der Spielform werden beide Teams voneinander separiert, wobei der Coachingfokus auf Team Rot liegt. Blau bekommt allgemeine Informationen in Hinblick auf ihre Formation und das Pressing. Eine Möglichkeit wäre es gar, Team Blau überhaupt nicht mitzuteilen, wie Rot Tore erzielen kann, sondern lediglich das Ziel des Ballgewinns und eines anschließenden schnellen Konters zu formulieren.
Der Zweck der Spielform liegt in der Etablierung eines flexiblen Aufbauspiels bei Rot, das zunächst gegnerunabhängig erfolgen soll und sich vor allem nach den Charakteristiken der eigenen Spieler richtet.

Der rechte Außenverteidiger positioniert sich rechts neben den beiden Innenverteidigern. Er ist ein eher tief spielmachender Typ, der sowohl andribbeln als auch gezielte Diagonalpässe in den Halbraum anbringen kann. Im Idealfall spielt der nach innen gerückte, solide aufbauende Innenverteidiger, bereits ganz zu Beginn durch Dreieckstor 1 zu ihm. Er dribbelt entweder an, wenn sich ein entsprechender Raum in Richtung von Dreieckstor 2 bietet oder versucht bei höherem Gegnerdruck einen Pass auf den nach vorne geschobenen rechten Achter anzubringen.

Sind dem rechten Außenverteidiger alle Optionen verstellt, löst er entweder über den Sechserraum oder spielt den Ball zurück zum Innenverteidiger.
Dieser leitet schnell zu seinem linken Partner weiter, welcher über ein hervorragendes Passspiel verfügt und den Zwischenlinienraum konstant erreichen kann. Er sucht bei sich auftuender Lücke direkt den Pass aufs Minitor. Ist der Weg zu, kann er wiederum diagonal über den Sechserraum lösen. Alternativ bietet sich der höher postierte linke Außenverteidiger in der Nähe des Dreieckstors 3 an. Wird er attackiert, lässt er auf den Innenverteidiger zurückprallen. Kann er aufdrehen, dribbelt er durch das Dreieckstor. Er kann sich genauso zuvor schon etwas höher anbieten und den Ball direkt nach einem Pass durch das Dreieckstor erhalten.

Der linke Außenverteidiger ist ein im Vergleich zum Spieler auf der Gegenseite stärkerer dynamischer Dribbler, der gerne mit dem Ball nach innen zieht. Hierfür zieht der linke Achter zum Beispiel entgegengesetzt nach außen. Anschließend kann der Weg durch Dreieckstor 4, etwa zum ballfernen Achter oder direkt in Richtung Tor, gesucht werden. Sollte dieser unzugänglich sein, wird das Spiel abermals neu aufgebaut.

Im Laufe der Spielzeit werden stets leicht veränderte Situationen entstehen. Dadurch, dass es keine Reihenfolge für das Bespielen der Tore gibt und durch ihre bloßen Winkel sind in Relation zum Pressing vielerlei andere Varianten möglich. Zudem können Achter und Sechser sich in der Besetzung der zentralen Zone abwechseln oder ein Innenverteidiger füllt diese situativ auf. Das Coaching wird zwar gewisse Lösungen anbieten, doch die Spieler können weiterhin eigene Alternativen dazu entdecken.

SV Training #3: Eine Prise Nagelsmann

Wer einen besonderen Spielstil erfolgreich umsetzt, verfügt in der Regel auch über eine durchdachte Trainingsmethodik. Vor allem, wenn dies so schnell geschieht, wie im Falle des Hoffenheimer Trainers.

SV Training ist unsere Praxis-Rubrik. Die Inhalte verknüpfen technische, taktische und konditionelle Komponenten innerhalb eines ganzheitlichen Trainingskonzeptes, bei dem das Treffen von Entscheidungen unter variablem Raum-, Zeit- und Gegnerdruck im Vordergrund steht. Aus den grundsätzlichen Ideen soll jeder Trainer schließlich selbst für ihn passende Spielformen kreieren.

Vor dem Heimspiel gegen Hertha BSC im vergangenen April hatte ich die Gelegenheit, mir eine öffentliche Trainingseinheit von Julian Nagelsmann anzuschauen. Es dauerte in einer Saisonphase, in der viele Spieler bereits unter den vorangegangenen Belastungen zumindest ein bisschen litten, kaum mehr als 60 Minuten. Zum Aufwärmen gab es im Wechsel für je eine Gruppe eine eher simple Passform sowie ein vom Aufbau nicht schwer zu erfassendes Rondo, bei dem ein Spieler der jeweils ballbesitzenden Mannschaft sich im Zentrum bewegte.

Im Anschluss ging es direkt zum interessanten Teil – einer weiträumigen Spielform mit mehreren Stangentoren etwa auf Höhe Mittellinie – über. Ich werde im weiteren einen grundsätzlich ähnlichen Aufbau und die grundlegende Idee dahinter besprechen sowie die ein oder andere Variante diskutieren.

In der Ursprungsform baut ein Team im Bereich bis zu den Stangentoren in beliebig festgelegter Formation gegen das hohe Mittelfeld- oder Angriffspressing des Gegners auf. Die Formation kann dabei entweder dem nächsten Gegner nachempfunden sein („Sparringsteam“) oder auch das eigene Pressing repräsentieren. Im ersten Fall geht es um eine spezifische Gegneranpassung, während im letzteren offensive und defensive Grundprinzipien innerhalb des eigenen Teams im Vordergrund stehen. Hierbei lassen sich die genutzten Grundformationen selbstverständlich variieren.

Im konkreten Beispiel baut Team Rot in einer 3-4-Staffelung samt Torhüter gegen sechs im 4-2 formierte Spieler von Team Weiß auf. Ziel für Team Rot ist es, durch eines der Stangentore auf die andere Seite zu gelangen – entweder nur per Pass oder wahlweise auch per Dribbling. Geschieht dies, so dürfen (und sollten) alle Spieler beider Teams so schnell wie möglich nachrücken. Rot darf auf der gegenüberliegenden Seite ein Tor erzielen. Für das Durchspielen eines Stangentores erhält das Team einen Punkt, ebenso für einen erfolgreichen Torabschluss.

Gewinnen die Spieler von Team Weiß den Ball bereits beim Aufbauspiel von Rot, so dürfen sie direkt ein Tor erzielen, wofür sie ihrerseits einen Punkt erhalten. Bei entsprechendem Ballgewinn dürfen die im anderen Feld befindlichen Spieler beider Teams in die entsprechende Hälfte einrücken. Wurde Weiß wiederum in die eigene Hälfte zurückgedrängt, dienen ihnen die Stangentore zum Kontern – Pass oder Dribbling durch eines von ihnen bringen einen Punkt und sorgen dafür, dass das Spiel von neuem beim Torhüter von Rot beginnt („Start-Stop-Spielform“).

Um den Umschaltfokus der Spielform zu erhöhen, kann man das Geschehen an dieser Stelle einfach weiterlaufen lassen. Es ergeben sich vielerlei Ballbesitzwechsel. Die Punkteregelungen vereinfachen sich praktisch und gestalten sich für beide Teams gleich: Durchspielen durch ein Stangentor (nur vorwärts!) = 1 Punkt, Erzielen eines Treffers ins jeweilige Großtor = 1 Punkt. Diese offene Gestaltung bietet sich im Rahmen des allgemeineren Trainings an, während erstere dem Übergangsspiel gegen eine konkrete Gegnersimulation eher entgegenkommt.

Feldform und Größe lassen sich dabei gleichzeitig variabel gestalten. Anders als im Bildbeispiel ließe sich beispielsweise auch das gesamte Feld nutzen und die Stangentore direkt auf der Mittellinie platzieren. Diese kann man zur Provokation unterschiedlicher Pass- oder Dribbelwinkel auch schräg aufbauen oder zu Dreieckstoren erweitern.

Gleichzeitig kann man die Spielform für jüngere Spieler natürlich auch auf das Kleinfeld transferieren, wobei sich hier die freie „Endlos“-Variante anbietet und die Anzahl der Spieler den jeweiligen Wettkampfbedingungen angepasst wird.

Außerdem ist es, vor allem zu Beginn, möglich, bestimmte Vorgaben für das Defensivteam einzubauen. Etwa, dass die Innenverteidiger oder die gesamte Viererkette nicht vor der Mittellinie verteidigen dürfen und erst bei erfolgtem Zuspiel vorrücken. So ergibt sich ein Zwischenlinienraum für die roten Spieler. In diesen kann man beispielsweise auch einen der Wingbacks bei Ballbesitz in der eigenen Hälfte gehen lassen. Der jeweilige Spieler kann vom Flügel ballfern einrücken und sich ebenfalls durch eines der Stangentore anspielbar machen.

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Aufbau über eingerückten Wingback

Aufbau über eingerückten Wingback

Allgemeine Coachingpunkte (explizit/implizit) sind in jedem Fall:

  • ruhige Ballzirkulation gegen aggressives Anlaufen
  • Einbindung des Torhüters ins Aufbauspiel
  • Laserpässe
  • Andribbeln und gegenseitige Absicherung
  • Bewegung abseits des Balles, um Anspieloptionen zu schaffen (Zurückfallen des Stürmers, Pendeln der „Zehner“)
  • Auf Bewegungen der Mitspieler achten und Passwege öffnen (vor allem Sechser)
  • Je nach Spielphase: Schnelles Nachrücken
  • Rhythmuswechsel und Reaktion darauf – trotz Druck keine Hektik im letzten Drittel
  • Deckungsschattennutzung gegen den Ball, Versperren zentraler Passoptionen
  • multidirektionales Verhalten im Pressing – vor allem Rückwärtspressing im Fokus

Spielverlagerung Academy: Angriffsspiel

Wir erzählen euch (fast) alles über Angriffsspiel.


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Nach unserem Einstiegsseminar und neben den weiterhin fortlaufenden Workshops widmen wir uns im nächsten Thema dem wohl schönsten und wichtigsten Teil des Fußballs: dem Angriffsspiel.

Wir möchten elementare Ideen, Modelle und Konzepte des Offensivspiels präsentieren. Wie schießt man (mehr) Tore?

Das Seminar besteht aus drei Veranstaltungen, die aufeinander aufbauen, aber auch alleinstehend funktionieren werden:

  1. Teil: Wie fallen Tore? (Grundsätzliche Konzepte des Spiels)
  2. Teil: Wie organisiert man Offensivspiel? (Mannschaftstaktik)
  3. Teil: Wie löst man Situationen mit dem Ball? (Gruppen- und Individualtaktik)

Alle Inhalte sind exklusiv für dieses Seminar erstellt und werden über zahlreiche Beispielvideos vermittelt. Zudem ergänzen wir beispielhafte Trainingsübungen, um auch die praktische Vermittlung zu skizzieren.

Die Seminare richten sich nicht nur an Trainer, sondern auch Fans, Interessierte und Spieler, die besser verstehen möchten, was auf dem Feld passiert und wie man besser Torchancen herausspielt.

Wir bieten zudem eine „Profi-Variante“ an, die sich gezielt an professionelle Trainer und Analysten richtet. Diese Veranstaltungen werden cirka 1,5 Stunden länger dauern, zusätzlich praktische Probleme der Trainingslehre diskutieren und die Teilnehmer stärker einbinden. Zudem sind die Gruppen auf nur 10 Teilnehmer begrenzt und wir stellen eine Aufzeichnung zur Verfügung.

Inhalte der drei Seminare

Alle drei Veranstaltungen werden jeweils 4 bis 5 Stunden dauern, zuzüglich Q&A zum Schluss.

Seminar 1: Wie fallen Tore? (Grundsätzliche Konzepte des Spiels)

Im ersten Teil wird es um grundsätzliche Dynamiken und wesentliche Konzepte gehen, die wichtig sind, um die Wechselwirkungen von Defensive und Offensive zu verstehen, sowie die Verschränkung von individuellen Fähigkeiten und taktischen Ansätzen.

  • Welche Rolle spielen Taktik und individuelle Fähigkeiten in der Torerzielung?
  • Entstehen Tore aus Abwehrfehlern oder guten Offensivaktionen?
  • Wie spielt man eine Defensive aus?
  • Welche Fähigkeiten sind notwendig und wie entwickelt man sie?
  • Wie funktionieren Dribblings und wie nutzt man sie als Mannschaft?

Seminar 2: Wie organisiert man Offensivspiel? (Mannschaftstaktik)

Im zweiten Teil gehen wir ins Detail über die mannschaftstaktischen Möglichkeiten und Varianten. Wir stellen unterschiedliche Strukturen und Prinzipien vor und wie sie das Spiel beeinflussen.

  • Wie bindet man Spieler gut ein?
  • Wie funktionieren Formationen im Offensivspiel?
  • Welche strukturellen Varianten gibt es? Was sind Vor- und Nachteile davon?
  • Wie funktionieren Gegneranpassungen?
  • Welche strategischen Varianten gibt es im Ballbesitzspiel?

Seminar 3: Wie löst man Situationen mit dem Ball? (Gruppentaktik & Individualtaktik)

Im finalen Teil gehen wir in spezifische Momente hinein: bestimmte Überzahl- und Unterzahl-Situationen, Strafraumsituationen, etc. Außerdem diskutieren wir individuelle Lösungen und Fähigkeiten in diesem Kontext.

  • Wie funktioniert Kombinationsspiel? Wie spielt man Gegner aus?
  • Welche typischen Situationen gibt es und wie übt man sie?
  • Was sind entscheidende Aktionen zur Torerzielung?
  • Wie macht man Spieler kreativer bzw. wie wird man als Spieler kreativer?
  • Welche Lösungen und Aktionen kann man coachen?

Vortragender:

Martin Rafelt ist seit 2011 Autor bei Spielverlagerung, hat mal ein Buch über Jürgen Klopp veröffentlicht, schreibt freiberuflich unter Anderem für den Spiegel, hat Gegneranalyse für Thomas Tuchel gemacht und war drei Jahre lang Co-Trainer bei Youth-League-Viertelfinalist Hajduk Split (ein Jahr U19, zwei Jahre Hajduk B) sowie Taktikchef der Hajduk Academy.

Macht neuerdings den Spielgeist-Podcast. Außerdem war er als Redner bereits u.A. beim belgischen und beim niederländischen Fußballverband aktiv, arbeitet mit Fußballprofis in individueller Analyse und als Berater für Vereine. Bei Spox und Transfermarkt kann man Interviews lesen.

Termine

Seminar 1

  • 19. Mai (Freitag), 15 Uhr [Brückentag nach Christi Himmelfahrt]
  • 8. JuNi (Donnerstag), 18 Uhr [Fronleichnam]
  • 14. JuLi (Freitag), 19 Uhr
  • 21. August (Montag), 19 Uhr

Seminar 2

  • 30. Juli (Sonntag), 13 Uhr
  • 24. August (Donnerstag), 19 Uhr
  • 24. September (Sonntag), 12 Uhr

Seminar 3

  • 27. August (Sonntag), 16 Uhr
  • 1. September (Freitag), 19 Uhr
  • 28. September (Donnerstag), 18 Uhr

Profi-Variante

  • 1. Seminar: 29. Mai (Montag), 17 Uhr
  • 2. Seminar: 14. August (Montag), 17 Uhr
  • 3. Seminar: 4. September (Montag), 17 Uhr

Die Profi-Seminare sind auf 10 Teilnehmer begrenzt. Alle anderen auf 20.

Dates in English coming soon!

Kosten und Anmeldung:

Die Kosten betragen 80€ pro Person. Wer direkt alle drei Teile bucht, zahlt nur 200€ (statt 240). Inbegriffen sind die Teilnahme am rund fünfstündigen Seminar, der offenen Fragerunde danach, ein digitales Teilnahmezertifikat und ein Handout.

Die Profi-Variante kostet 150€ pro Person. Zusätzlich zum Zertifikat beinhaltet diese auch ein erweitertes Handout und eine Aufzeichnung des Meetings.

Zur Anmeldung reicht eine formlose Mail mit Name und gewünschtem Termin bzw. gewünschten Terminen an MR@Spielverlagerung.de. Zahlungsmöglichkeiten sind PayPal und Überweisung.

Die weitere Kommunikation erfolgt dann via Mail.

Wir freuen uns auf euer Interesse!

Newsletter

Wer am aktuellen Seminar kein Interesse hat, aber über zukünftige Veranstaltungen informiert werden möchte, kann gerne unserem Mail-Newsletter oder Infogruppen auf WhatsApp oder Telegram beitreten. Auch dafür einfach eine formlose Mail an MR@Spielverlagerung.de.

SV Academy für Vereine

Wir bieten die Veranstaltungen der Academy auch in Präsenz oder online für Vereine an. Die genauen Details und Preise lassen sich individuell gestalten. Wenn euer Verein daran interessiert ist, meldet euch mit euren Vorstellungen bei MR@Spielverlagerung.de.

Spielverlagerung Academy: Die Zukunft des Fußballs – Positionsspiel, Relationsspiel und mehr

Wie sieht der Fußball der Zukunft aus? Warum ist der Guardiola-Fußball so dominant? Kann er durch neue „relationistische“ Ideen überwunden werden? Wir analysieren die neuesten Taktiktrends, wagen eine Vorhersage über kommende Entwicklungen und zeigen, wie neue Spielphilosophien entwickelt werden.


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Einführung

Für diejenigen, denen der Begriff „Relationismus“ noch nichts sagt, empfehlen wir diese Diskussion auf SV.com und diesen einführenden Artikel von Jamie Hamilton, der den Begriff geprägt hat. Kurz gesagt: Es geht darum, (wieder) mehr ins spontane, schnelle Zusammenspiel und Kombinieren zu kommen, anstatt lange den Ball von Raum zu Raum laufen zu lassen, wie es heute üblich ist.

Wir haben bereits in unserer Analyse des Klub-WM-Finals ein wenig über die beiden Ideen und die Debatte darüber gesprochen.

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Dem folgend möchten wir eine weitgreifendere Diskussion über unterschiedliche Spielphilosophien in drei Seminaren anbieten. Wir werden die Gedanken und Gründe hinter diesen Ansätzen in aller Tiefe beleuchten und auch das Potential neuer Ideen diskutieren.

Termine, Umfang & Kosten

Wir werden drei Seminare anbieren, die jeweils 3-4 Stunden dauern werden mit drei Pausen und rund 30 Minuten Zeit für Diskussionen im Anschluss. Die Seminare finden online per Zoom statt.

Die Aufnahmen der Seminare werden ebenfalls verfügbar sein (gleicher Preis) und sind für alle Teilnehmer inklusive.

Das erste Seminar ist „pay-what-you-want“. Vor oder nach dem Seminar können die Teilnehmer entscheiden, welchen Preis sie gerne für das Seminar bezahlen wollen.

Seminar 1: Hinter den Spielphilosophien – Preis: 0€ (Pay-what-you-want)

  • 9. August (Freitag), 18 Uhr
  • 19. August (Montag), 12 Uhr

Seminar 2: Fußball Lösen – Preis: 40€

  • 6. September (Freitag), 18 Uhr
  • 11. September (Mittwoch), 12 Uhr

Seminar 3: Die Kunst des Spiels – Preis: 60€

  • 11. Oktober (Freitag), 18 Uhr
  • 20. Oktober (Sonntag), 12 Uhr

Das erste Seminar ist auf 40 Teilnehmer begrenzt, die anderen auf 20.

For English dates see Spielverlagerung.com.

Inhalt

Seminar 1: Hinter den Spielphilosophien – Die Fragen des Spiels

Im ersten Seminar werden wir den „Relationismus“ vorstellen und ihn mit der etablierten Philosophie des Positionsspiels vergleichen. Wir werden die Unterschiede untersuchen und die zugrunde liegenden Probleme und Fragen des Spiels erläutern, welche diese Ansätze zu lösen versuchen.

  • Was ist „relationales Spiel“ und was ist „positionelles Spiel“?
  • Warum ist das Positionsspiel so erfolgreich?
  • Was sind die Schwächen des Positionsspiels und (warum) könnte das Relationsspiel besser sein?
  • 20 taktische Überlegungen: Wie Positionismus und Relationismus unterschiedliche Antworten auf die Spannungsfelder des Spiels finden.

Seminar 2: Fußball Lösen – Die Antworten auf die Fragen

Das zweite Seminar wird Antworten auf die zuvor aufgeworfenen Fragen diskutieren. Dabei werden wir auch aufzeigen, wie positionale und relationale Ansätze gemischt werden können und wie andere, neue Ansätze aussehen könnten.

  • Wie können Relationismus und Positionismus verbunden werden?
  • Wann sollte welcher Ansatz verwendet werden? Welcher Ansatz ist überlegen?
  • Was könnte ein neues Paradigma, eine neue Spielphilosophie sein?
  • Gibt es universelle Lösungen für die Probleme des Spiels?

Seminar 3: Die Kunst des Spiels – Eigene Ansätze kreieren & in die Praxis umsetzen

Im letzten Seminar vertiefen wir die Coaching-Praxis. Wie coacht und trainiert man relationistische Ideen (und andere)? Wie entwickelt man eine eigene Spielidee? Und wie kann man diese Idee auf seine Spieler zuschneiden?

  • Welche Spieler passen welcher Spielweise?
  • Welche Trainingsübungen und Coachingpunkte sind für verschiedene Ansätze sinnvoll?
  • Wie kann man einen neuen Ansatz erklären und motivieren?
  • Wie kann man eine eigene Philosophie entwickeln und ausbauen?
  • Wie nutzt man eine Philosophie im Sinne der Mannschaft (statt aus Eigensinn)? Wie entwickelt man einen Stil, der zu den Spielern passt?

Mögliche Folgeveranstaltung: Wenn genügend Teilnehmer daran interessiert sind, werden wir eine Folgeveranstaltung anbieten, in der wir die Ideen der Teilnehmer diskutieren und reflektieren können.

Anmeldung

Zur Anmeldung reicht eine formlose Mail mit Name und gewünschtem Termin bzw. gewünschten Terminen an MR@Spielverlagerung.de. Zahlungsmöglichkeiten sind PayPal und Überweisung.

Die Anmeldung umfasst die Teilnahme am Seminar, der Diskussion im Anschluss sowie Erhalt der Aufzeichnung des Seminars und des Handouts der Präsentation.

Die weitere Kommunikation erfolgt via Mail.

Wir freuen uns auf euer Interesse!

Vortragender:

Martin Rafelt ist Fußballtrainer, seit 2011 Autor bei Spielverlagerung, hat mal ein Buch über Jürgen Klopp veröffentlicht, schreibt freiberuflich unter Anderem für den Spiegel, hat Gegneranalyse für Thomas Tuchel gemacht und war drei Jahre lang Co-Trainer bei Youth-League-Finalist Hajduk Split sowie „Taktikchef“ der Hajduk Academy.

Macht neuerdings den Spielgeist-Podcast. Außerdem war er als Redner bereits u.A. beim belgischen, österreichischen und niederländischen Fußballverband aktiv, arbeitet mit Fußballprofis in individueller Analyse und als Berater für Vereine. Bei Spox und Transfermarkt kann man Interviews lesen.

Newsletter

Wer am aktuellen Seminar kein Interesse hat, aber über zukünftige Veranstaltungen informiert werden möchte, kann gerne unserem Mail-Newsletter oder Infogruppen auf WhatsApp oder Telegram beitreten. Auch dafür einfach eine formlose Mail an MR@Spielverlagerung.de.

Frühere Seminare, die als Aufzeichnung verfügbar sind:

SV Academy für Vereine

Wir bieten die Veranstaltungen der Academy auch in Präsenz oder online für Vereine an. Die genauen Details und Preise lassen sich individuell gestalten. Wenn euer Verein daran interessiert ist, meldet euch mit euren Vorstellungen bei MR@Spielverlagerung.de.

Die Torwartkette 2.0 – ND

Vor fast 11 Jahren wurde der erste Artikel über die Torwartkette von RM hier veröffentlicht. Seitdem hat sich einiges getan: Von einer neuen Abstoßregelung bis hin zur Rückkehr des Liberos, den ersten hohen Torwartketten im Profifußball und dem Einfluss eines heutigen Trainers der 2. Bundesliga. Dies und einiges mehr, wie andribbelnde Torhüter und die Trainingsformen, mit denen man die Torwartkette üben kann, werden in diesem Artikel thematisiert.

Der eben erwähnte Artikel legt auch die Grundlagen für diese Artikel, die meisten Punkte bleiben weiterhin relevant. Die Vorteile der Torwartkette sind klar erkennbar: Solange der gegnerische Torwart sich nicht aktiv am Pressing beteiligt, spielt die Mannschaft in einem 11-gegen-10, wodurch immer irgendwo auf dem Feld eine Überzahlsituation bzw. ein freier Mann entsteht. Grundsätzlich lässt sich die Torwartkette noch genauer unterteilen, und zwar anhand der Höhe des Torhüters:

Die neue Abstoßregelung als Katalysator

Seit der Saison 19/20 dürfen sich Spieler beim eigenen Abschlag im Strafraum befinden. Diese Änderung sorgt für deutlich mehr Torwarteinbindung im Spielaufbau und dafür, dass heutzutage kaum eine Mannschaft in dieser Situation auf eine Torwartkette verzichtet – im Gegensatz zu früher. Seit dieser Regeländerung werden die meisten Abschläge kurz ausgeführt. Heutzutage folgt der Großteil der Abstöße einem ähnlichen Muster: Der Torwart steht in der Mitte der Fünfmeterlinie, und zwei Innenverteidiger positionieren sich an den jeweiligen Strafraumkanten. Zu Beginn der Regeländerung wurden die Abstöße häufig vom Torwart direkt auf einen der beiden Innenverteidiger ausgeführt.

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Doch diese Dynamik hat sich inzwischen dahin verschoben, dass einer der Innenverteidiger den Pass auf den Torwart spielt. Dies bringt Vorteile gegen das gegnerische Pressing, da bei der ersten Variante die angespielte Seite sofort erkennbar ist und somit leicht zugestellt werden kann. Sollten die Pässe zugestellt sein und ein Spieler sofort Druck auf den Torwart ausüben, muss der Ball meist lang geschlagen werden.

Spielt jedoch ein Innenverteidiger den Ball in die Mitte zum Torwart, hat dieser mehr Optionen bei einem sofortigen gegnerischen Pressing. Die Richtung der Folgeaktion ist nicht vorgegeben, und wenn die Gegner in Unterzahl pressen, hat der ballführende Torwart mehr Möglichkeiten, das Spiel fortzusetzen. Ter Stegen sagte darüber, als Barcelona unter Setién die Abschläge über die Innenverteidiger ausführte: „Manchmal führen unsere Innenverteidiger die Abstöße aus, um den Gegnerdruck nach dem ersten Pass zu vermeiden. Wir suchen immer nach neuen Ideen, die uns stärker machen und die es dem Gegner komplizierter machen.“ (Quelle: [DFB Akademie](https://www.dfb-akademie.de/die-neue-abstossregel-was-hat-sie-gebracht/-/id-11009171/)).

Bei einigen Mannschaften sind genau solche Aktionen gewollt, z. B. bei St. Pauli (unter Hürzeler), Brighton (unter De Zerbi) und Stuttgart. Wird beispielsweise von der rechten Seite gepresst, so kann der Torwart versuchen, über den Dritten auf den offenen rechten Innenverteidiger zu spielen, der dann aufdrehen kann. Dieser Trick kann jedoch ausgehebelt werden, indem die Spieler, die mannorientiert auf dem Sechser stehen und gut auf das Ablagespiel vorbereitet sind. Dies ist jedoch nicht so einfach, da die Ablagen bei den erwähnten Mannschaften immer gut initiiert sind (dynamisches Abkippen, richtige Passgeschwindigkeit und -gewichtung) und in den richtigen Fuß gespielt werden. Eine einfachere Methode zur Neutralisierung dieses Stilmittels ist es jedoch, nicht zu pressen und die Sechser durch den Deckungsschatten zuzustellen. Sollte dies geschehen, bietet die Torwartkette die Möglichkeit, zu dritt nach vorne zu schieben, wodurch es immer irgendwo auf dem Feld eine Überzahlsituation gibt – entweder in der letzten Linie oder, meistens, in der ersten Aufbaulinie.

Die tiefe Torwartkette

Die wohl gängigste Form der Torwartkette im (heutigen) Profifußball ist die tiefe Torwartkette. Während zur Zeit des ursprünglichen Artikels (tiefe) Torwartketten eine Seltenheit waren, hat sich dies mittlerweile umgekehrt – nahezu jede Mannschaft nutzt die Torwartkette im eigenen Strafraum. Der Grund dafür ist, dass die Vorteile die Risiken deutlich überwiegen: Der zusätzliche Aufbauspieler hat enorme Vorteile im eigenen Kombinationsspiel, und es wird schwieriger, die Mannschaft zu pressen.

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Atletico Madrid (0) : (3) FC Barcelona 23/24

In dieser Szene recycelt Barcelona den Ballbesitz und spielt von der Mittellinie über mehrere Stationen zurück, wodurch diese Anordnung der beiden Mannschaften entsteht. Durch die Mannorientierung von Atlético entsteht ein großer Freiraum für den Zehner, und aufgrund ihres Prinzips, das Zentrum, wenn möglich nicht allein zu verteidigen, steht auch der rechte Flügelspieler frei. Ter Stegen spielt Fermin scharf vertikal an, der jedoch durch schlechte Ballkontakte vier Berührungen benötigt, um dynamisch aufzudrehen. Dies, sowie das schnelle Nachsetzen von Atlético, führt dazu, dass diese sehr gute Situation im Sande verläuft. Selbst auf der Taktiktafel hätte man sich kaum eine bessere Situation vorstellen können: Ein komplett freier Spieler, den der Torwart mit einem direkten Pass anspielen kann, wodurch er selbst zum Nutznießer des Raums wird, den er durch seine Einbindung geöffnet hat.

Die mittlere Torwartkette

Auch die mittlere Torwartkette wird immer populärer. Unter anderem konnte man sie in der Vorbereitung des FC Bayern sehen, aber auch andere Topmannschaften wie Arsenal, Manchester City und einige mehr nutzen sie, um gegen Mannschaften, die nicht sofort hoch pressen, die Vorteile des elften Feldspielers besser ausspielen zu können.

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Schalke (4) : (3) Magdeburg 23/24

In dieser Situation verteidigt Schalke in den ersten beiden Linien mannorientiert, während in den letzten beiden Linien (Viererkette + 6er) raumorientiert verteidigt wird. Durch die Einbindung des Torwarts in das Spielgeschehen wird es möglich, einen Raum anzuspielen, der ohne die Nutzung des elften Feldspielers aufgrund der starken Mannorientierung in der ersten und zweiten Aufbaulinie und des damit verbundenen gegnerischen Drucks nur schwer zu bespielen wäre. Diese Szene zeigt, dass häufig neben den direkt anspielbaren freien Spielern, wie im Fall von Fermin bei Ter Stegen, auch Überzahlsituationen in Bereichen entstehen, die oft nur durch einen langen Ball in die Zielregion angespielt werden können. Durch die Überzahl hat man jedoch gute Chancen, sowohl den ersten als auch den zweiten Ball zu gewinnen. Die meisten Torhüter würden in dieser Situation ebenfalls einen solchen langen Ball in diesen Bereich spielen, doch nicht Dominik Reimann. Er spielt stattdessen einen herausragenden flachen Pass durch die Schnittstelle auf den freien Spieler.

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Schalke (4) : (3) Magdeburg 23/24

Christian Titz‘ Heritage

Nach einer desolaten 0:6-Niederlage des HSV gegen den FC Bayern war für Trainer Bernd Hollerbach nach nur sieben Spielen und drei Punkten Schluss. Der Hamburger SV stand nach 26 Spieltagen mit lediglich 18 Punkten auf dem vorletzten Tabellenplatz und hatte bereits sieben Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz. Der U21-Trainer des HSV, Christian Titz, übernahm das Amt – ein weitgehend unbekannter Name und für viele ein Himmelfahrtskommando im Abstiegskampf, da er zuvor maximal in der Regionalliga tätig war. (Fun Fact: Bei meinem ersten Stadionbesuch stand der eben genannte Christian Titz für den FC 08 Homburg an der Seitenlinie und begeisterte mein kindliches Ich mit offensivem Kurzpassfußball.)

Doch was in den folgenden Wochen zu sehen war, schürte nicht nur die Hoffnung der HSV-Fans auf den Klassenerhalt, sondern stellte auch ein Novum im Profifußball dar: die erste hohe Torwartkette. Titz setzte auf einen radikalen Umbruch in der Spielphilosophie und im Kader. Er ließ proaktiven Fußball spielen und setzte einige Stammspieler auf die Bank, darunter auch Christian Mathenia, der durch den jungen Julian Pollersbeck ersetzt wurde. Was folgte, waren Wochen des sportlichen Erfolgs und der Hoffnung. Der HSV besiegte den späteren Vizemeister und sammelte 13 Punkte in den letzten acht Spielen. Letztendlich reichte dieser Schlussspurt zwar nicht für den Klassenerhalt, doch das Team zeigte der Welt, wie effektiv eine hohe Torwartkette sein kann.

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Hamburg (1) : (0) Freiburg 17/18

In dieser Szene verteidigt der SCF im 4-1-4-1, Pollersbeck agiert als zentraler Part, der hohen 3er Torwartkette nur wenige Meter hinter dem Mittelkreis. Er erhält den Ball vom LIV spielt auf den 6er, der den Ball mit einem Kontakt zur Seite legt und direkt im nächsten Moment Hunt anspielt. So benötigte der HSV lediglich drei Ballkontakte und zwei Pässe, um die ersten beiden Pressinglinien der Freiburger sowie fünf Spieler zu überwinden.

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Hamburg (1) : (0) Freiburg 17/18

Letztendlich spielt Hunt einen Pass in die Tiefe zu Holtby, der zum 1:0 trifft. Diese Situation verdeutlicht die Effektivität der Torwartkette: Es ist nicht allein der Torhüter, der mehrere Linien überspielen muss, um den freien Mann zu finden, wie im Beispiel von Ter Stegen. Vielmehr können die durch den Torhüter entstehenden freien Räume über mehrere Stationen hinweg bespielt werden

Jedoch haben einige Mannschaften gezeigt, wie man die hohe Positionierung der Torwartkette beim HSV kontern kann. Ausgangssituation: Keeper Pollersbeck kann ungestört von der Strafraumgrenze ins zweite Drittel vordringen, während Gladbach mannorientiert verteidigt und den Sechser durch den Deckungsschatten des Zehners zustellt.

Nach einem kurzen Stopp von Pollersbeck läuft der Zehner mit Deckungsschatten auf Steinmann an, der zwar völlig offen steht, aber nicht direkt anspielbar ist.

Während dieser Anlaufbewegung weicht Steinmann zwar nach links aus, bleibt jedoch im Deckungsschatten, sodass Pollersbeck den Ball lang auf den rechten Flügel schlägt. Dort gewinnen die Gladbacher jedoch das Duell um den zweiten Ball.

Diese Szene verdeutlicht, wie man die Torwartkette durch ein passives Verteidigungsverhalten und das Zustellen der zentralen Progressionsspieler, in diesem Fall des 6ers, kontern kann. Gleichzeitig zeigt sie, dass ein Anlaufen des Torhüters Räume öffnet, die von einem Spieler genutzt werden können, der zwar nicht immer direkt, aber beispielsweise über den dritten Mann oder durch einen langen Ball in eine Zone, in der man in Überzahl ist, anspielbar wird. In der gezeigten Situation wäre ein dynamisches Abkippen des 8ers (Holtby) mit anschließender Ablage in den freien Raum eine Möglichkeit gewesen.

Allerdings erfordert dieses Ablagenspiel präzise Pässe, das richtige Verhalten der beteiligten Spieler und viel Trainingsarbeit, um effektiv genutzt werden zu können

Die maximale Torwartkette

Bei dieser Form agiert der Torwart wie ein vollwertiger 11er Feldspieler im eigenen Ballbesitz:

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So könnte eine maximalhohe Torwartkette aussehen. Die Innenverteidiger gehen in die offenen Flügelräume und Halbräume der gegnerischen 4-4-2-Defensivformation. (Grafik und Text aus dem Urspungsartikel)
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Wenn dann einer der Innenverteidiger aufrückt, schieben der Torwart und der Innenverteidiger bereits antizipativ in das Loch, der Außenverteidiger geht in den Halbraum, der Flügelstürmer gibt die Breite. (Grafik und Text aus dem Urspungsartikel)

Die Nutzung dieser Form als „Dauerzustand“ der Torwartkette ist auch in naher Zukunft nahezu auszuschließen, da hier ohne die perfekte Ausführung die Risken die Vorteile, die eine Mannschaft durch die Verwendung erlangt deutlich überwiegt, doch trotzdem wird diese Form in meinen Augen zu selten verwendet. Dies klingt zunächst nach einem Paradoxon, doch vorallem in den letzten Minuten in einem KO-Spiel, bei einem Rückstand von einem Tor, wäre eine maximale Torwartkette ein interessantes Stilmittel. Den häufig wird in solchen Situationen kaum noch aktiv gepresst, und selbst wenn von maximal einem bis zwei Spielern. Durch den Keeper als vollwertigen 11ten Feldspieler, könnte sich die angreifende Mannschaft Vorteil schaffen, sei es als weitere IV, wenn man den letzten strukturierten Angriff spielen möchte oder wenn nur noch lange Bälle in den Strafraum bzw dessen Richtung geschlagen werden hätte man Überzahlvorteile. Klar birgt diese Verwendung auch eine hohe Gefahr für Gegentore nach Ballverlusten, jedoch ist diese Gefahr nicht merklich größer, als wenn der Torwart bei ein Standart mit nach vorne geht.

Andribbelnde Torhüter

In den letzten Jahren haben sich Finten im eigenen Strafraum zum Repertoire vieler Torhüter entwickelt, um pressende Gegenspieler ins Leere laufen zu lassen. Bei einer guten Einbindung des Torwarts wird häufig nur sehr bedacht gepresst, um zu verhindern, dass der freiwerdende Spieler anspielbar ist oder das Anspiel ein hohes Risiko birgt. Ein häufig gewähltes Mittel gegen passiv pressende Mannschaften ist das Andribbeln des Torhüters, um nicht durch lange, horizontale Ballzirkulationen, die keinen Raumgewinn bringen, in offensichtliche Pressingfallen zu spielen.

Folglich ist die Entwicklung hin zu andribbelnden Torhütern nicht auszuschließen. In der Vergangenheit gab es bereits einige Ausnahmen, bei denen Torhüter ins Dribbling gingen, wie zum Beispiel Fabien Barthez oder René Higuita. Auch heute gibt es einige Torhüter, die häufig andribbeln und damit die Effektivität unter Beweis stellen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist wohl André Onana.

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City (1) : (0) Inter Cl Finale 2023

In dieser Situation erkennt Onana die Passivität von City im Pressing und den freien Raum zwischen dem Stürmer und den Flügelspielern und dribbelt in den freien Raum hinein.

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City (1) : (0) Inter Cl Finale 2023

Durch sein dynamisches Andribbeln überwindet er die erste Pressinglinie und hat nun den Winkel, um den Ball in den Zwischenlinienraum zu Martínez zu spielen. Die Szene endet damit, dass Martínez auf Lukaku spielt, der aus etwa 14 Metern zum Abschluss kommt, den Ederson jedoch parieren kann.

Etwa vierzig Minuten zuvor ereignete sich diese Szene:

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City (1) : (0) Inter Cl Finale 2023

City baut im 1-3-Raute-3 auf, während Inter recht mannorientiert verteidigt. Die äußeren Innenverteidiger stehen zwar in letzter Linie ohne Gegenspieler, rücken bei Bedarf jedoch sofort auf die Halbraum-Achter von City heraus, doch Inter presst Ederson nicht.

Prinzipiell hat Ederson aufgrund seiner Körperposition und des daraus resultierenden Passwinkels diese Passmöglichkeiten, doch keine davon ist vielversprechend: Pässe auf Dias (ZIV) und Aké (LIV) lösen das Pressing von Inter aus, und der lange Ball in Richtung des linken zentralen Mittelfeldspielers (LZM) und des linken Flügelspielers (LW) ist ebenfalls eine schlechte Option, da die Staffelung für das Gegenpressing auf den zweiten Ball nicht optimal ist.

In einer solchen Situation wäre ein Andribbeln vom Torwart sinnvoll. Ein optimales Andribbeln ist in Richtung einer Schnittstelle bzw. in sie hinein. Ederson könnte in dieser Szene leicht diagonal zwischen Dias und Ake eindribbeln.

Dabei gibt es jedoch einige Punkte zu beachten:
Vor dem Andribbeln sollte er tief diagonal blicken und dann einen sauberen Kontakt diagonal nach vorne setzen. Gleichzeitig muss er das Verhalten der beiden Spieler, die die Schnittstelle bilden, genau beobachten: Wie reagieren sie? Besonders wichtig ist es, das Verhalten des nächsten Gegenspielers im Auge zu behalten: Läuft er an? Wenn ja, wie? Auch das Anbieten einer sicheren Rückpassoption ist essenziell. Das Andribbeln des Torwarts hat zwei Effekte: Entweder löst der Gegner das Pressing aus, oder der Torwart schafft durch kluges Andribbeln bessere Passoptionen. Häufig wird das Pressing in solchen ungewöhlichen Situationen nicht perfekt initiiert, wodurch sich Räume und Lücken auftun können.

Je nachdem, ob und wer das Pressing auslöst, ergeben sich unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten. Sollte beispielsweise Barella anlaufen, wird er versuchen, Aké oder Gündogan mit seinem Deckungsschatten herauszunehmen.

Läuft er mit Deckungsschatten auf Gündogan an, wäre Aké frei, könnte aufdrehen und je nach Verhalten von Darmian, der sehr mannorientiert auf Gündogan verteidigt, agieren. Wenn Darmian herausrückt, könnte Grealish diagonal tief einlaufen und von Aké angespielt werden. Bleibt Darmian jedoch passiv, wäre Gündogan völlig frei im Raum und könnte das Spiel nach Belieben gestalten.

Selbst wenn Inter weiter passiv bleibt, hätte Ederson nach dem Andribbeln bessere und mehr Passoptionen als zuvor, und City hätte eine bessere Ausgangslage für einen kontrollierten tiefen Spielaufbau. Diese Rolle ist jedoch technisch äußerst anspruchsvoll, sodass nicht jeder Spieler sie sinnvoll ausfüllen kann. Zudem erfordert sie viel Trainingsarbeit, damit sich die Spieler in der Umgebung richtig verhalten. Wenn diese Voraussetzungen jedoch gegeben sind, kann dieser Aspekt sehr interessant und effektiv sein.

The Return of the Libero

Fußballtaktiken sind oft zyklisch. Ein Beispiel ist die WM-Formation, die bereits vor 99 Jahren aufkam, lange in Vergessenheit geriet und von Guardiola wiederentdeckt wurde, sodass sie nun von vielen Teams praktiziert wird. Dasselbe gilt für den inversen Außenverteidiger, den Paul Breitner schon vor 50 Jahren spielte und der heute in vielen Systemen eine Schlüsselrolle einnimmt. Meist kehren diese Trends nicht in ihrer ursprünglichen Form zurück, doch die grundlegende Idee bleibt ähnlich. So gestaltet sich auch die Rückkehr des Liberos: Der moderne Libero agiert zwar nicht mehr hinter den Manndeckern, sondern bildet gegen den Ball eine Kette mit den anderen Verteidigern, doch die grundlegenden Charakteristika im Offensivspiel bleiben gleich. Wie schon früher „ (…) schaltet sich der Libero oft ins Angriffsspiel seiner Mannschaft ein und überbrückt eine große Menge an Raum, um sich im Mittelfeld als Anspielstation anzubieten oder gar selbst an vorderster Front zum Abschluss zu kommen“ (Libero). Dieses Konzept findet sich auch beim modernen Libero wieder, dessen Wiederaufkommen teilweise der Torwartkette zu verdanken ist.

Diese Entwicklung ist durchaus logisch: Sollte eine Mannschaft gegen den Ball mit drei Innenverteidigern agieren, muss Platz für den aufrückenden Torwart geschaffen werden. Bei einem Dreieraufbau in der ersten Linie rückt meist der zentrale Innenverteidiger in Libero-Manier ins Mittelfeld, um dem Torwart die zentrale Position zu überlassen.

Auch zur Herstellung eines Viereraufbaus kann der Libero verwendet werden:

Ein Trainer, der diese Spielerrolle nutzt, ist Fabian Hürzeler. In der letzten Saison wurde diese Rolle von Eric Smith beim FC St. Pauli gespielt, und er war in dieser Position einer der Schlüsselspieler für den Erfolg der Kiezkicker. Durch seine sehr guten Fähigkeiten am Ball konnte er das Spiel der Paulianer entscheidend prägen und dominieren.

Torwartkette trainieren

Tiefer Spielaufbau vom Abstoß an

In dieser Trainingsform wird der tiefe Spielaufbau ausgehend vom Abstoß trainiert. Man startet mit der gewünschten tiefen Aufbaustruktur. In diesem Beispiel wird ein Aufbau mit 5 Aufbauspieler plus Torwart gegen 5 Pressingspieler verwendet. Es empfiehlt sich jedoch, vor allem zu Beginn der Übung, mit einer Überzahl an Aufbauspielern zu arbeiten. Mit fortschreitendem Übungsfortschritt kann man dann zur Gleichzahl übergehen und zusätzlich einen Spieler an der Seite postieren, der je nach Übungsverlauf vom Trainer ins Spiel gerufen werden kann.

Ziel der blauen Spieler: Den Ball durch die aufgestellten Tore zu dribbeln oder per Kurzpass durchzuspielen. Nach einem Ballverlust sollen sie den Ball schnellstmöglich zurückgewinnen oder das Tor verteidigen.

Ziel der roten Spieler: Den Ball durch Pressing oder die 1-gegen-1-Verteidigung zu erobern und danach so schnell wie möglich zum Torabschluss zu kommen.

Coachingaspekte:

Blaue Mannschaft:

  • sauberes Passspiel
  • variable Aufbauvarianten
  • hohe Aktivität des Torwarts (z.B. häufiges Anbieten)
  • tiefe durch Läufe anbieten
  • situationsgerechte Passvariabilität
  • den ballführenden Spieler durch Freilaufen, Dummy Runs oder Anbieten unterstützen
  • sofortiges Nachsetzen nach Ballverlust.

Rote Mannschaft:

  • mutiges Anlaufen
  •  korrektes Anlaufverhalten
  • arbeiten mit dem Deckungsschatten
  • nach dem Überspielen nicht abschalten
  • schnelles Umschalten nach Ballgewinn.

Das Spiel mit der Torwartkette

In dieser Trainingsform wird den Spielern das Spiel mit der Torwartkette nähergebracht. Gespielt wird auf einem kleineren Feld, bespielsweise im 6-gegen-6. Auf beiden Spielfeldhälften wird neben der Mittellinie die Torwartlinie markiert, deren Höhe variabel ist.

In dieser Spielform gibt es keine Anstöße; stattdessen wird das Spiel vom Torwart auf der genannten Linie begonnen oder fortgesetzt, wenn der Ball ins Aus geht. Die Spieler des Teams, das den Anstoß ausführt, dürfen bis zur gegnerischen Torwartlinie aufrücken.

Das Kleinfeld ist besonders zu Beginn der Einführung der Torwartkette sinnvoll, da der Torwart sich so ein gutes kurz- und mittellanges Passspiel auch unter hohem Druck aneignen kann. Das kleinere Feld sorgt für hohen Druck, überwiegend kurze Passdistanzen und mehr Ballaktionen, als es direkt auf einem Großfeld der Fall wäre. Diese Übung lässt sich jedoch auch als Spielform auf das Großfeld übertragen.

Coachingaspekte:

  • scharfes, aber sauberes Passspiel
  • hohe Aktivität des Torwarts (z.B. häufiges Anbieten)
  • Torwartpositionierung je nach Ballposition
  • sofortiges Freilaufen nach Passabgabe
  • offene Körperstellung für den optimalen Fortsatz
  • sofortiges Nachsetzen nach Ballverlust

Fazit

Im Ursprungsartikel blickte RM voraus, dass die häufige Anwendung der Torwartkette im gesamten ersten Drittel sinnvoll erscheint und vermutlich auch früher oder später zur Normalität wird. Nun, knappe 11 Jahre später, lässt sich bilanzieren, dass dieser Punkt erreicht wurde. Die Torwartkette gehört nun zum Repertoire der meisten Ballbesitzmannschaften; bei einigen wenigen Teams wird sie auch im hinteren Teil des zweiten Drittels genutzt. Zudem zeigt sich, dass sie sowohl gegen Teams, die aktiv pressen, als auch gegen passiv verteidigende Mannschaften ein Gamechanger sein kann.

Der deutsche Fußball gehört zu den führenden Nationen im Bezug auf die Einbindung des Torwarts im Spielaufbau, wie unter anderem der Goalkeeper Buildup Index von Twitter-Nutzer Ben Griffis zeigt. In seiner eigens erstellten Metrik landen alle drei deutschen Profiligen in den Top 10 der Ligen, je nach Torwartbindung im Aufbau. Die 2. Bundesliga findet sich auf dem 3. Platz wieder, dicht gefolgt von der Bundesliga auf Rang 4, und die 3. Liga steht auf Platz 10. Auch im Ranking der einzelnen Mannschaften landen drei deutsche Teams in den Top 5: Magdeburg belegt den ersten Platz, Düsseldorf und Schalke II folgen auf den Plätzen 4 und 5. (Disclaimer: Diese Statistiken gelten für die Hinrunde der Saison 23/24.)

Doch trotz dieser gewaltigen Fortschritte ist die Entwicklung der Torwartkette bzw. die Einbindung des Torwarts ins eigene Ballbesitzspiel noch lange nicht abgeschlossen: Sei es durch andribbelnde Torhüter, die weitere Verbreitung von hohen Torwartketten oder möglicherweise auch die Verwendung der maximalen Torwartkette in kurzen Phasen. Mal sehen, ob und wann dies passiert

Zum Autor

ND ist Liebhaber von (hohen) Torwartketten, Titz´ Mannschaften, spanischen Mittelfeldspielern Anfang der 2010er sowie Nick Woltemade. 

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