Verletzungen im Fußball werden meistens als Pech bezeichnet. Das stimmt nicht ganz. Natürlich ist es ungemein schade, wenn sich Menschen verletzten. Bei Fußballern gibt es auch finanzielle Einbußen und sie sind nicht im Stande ihren Beruf und ihre Passion zumindest in der unmittelbaren Zeit nicht auszuüben. Doch genau deswegen ist es wichtig, sich über die Gründe für eine Vielzahl der meisten Verletzungen klar zu werden.
Verletzungen hängen nämlich im Normalfall mit vielen Faktoren zusammen. Ein wichtiger Punkt ist die genetische Disposition, die man als Trainer natürlich nicht beeinflussen kann. Viele andere Aspekte sind jedoch vom Trainer und vom Spieler durchaus zum Positiven zu verändern. Das Stichwort hierbei lautet Prävention.
Der Treibstoff: Prävention durch Ernährung und Schlaf
Zwei sehr grundsätzliche Punkte – die hauptsächlich in der Verantwortung des Fußballers liegen – sind der Schlaf und die Ernährung. Schlechte Ernährung sorgt nicht nur für mehr Gewicht, für Fette und einen schwächeren Stoffwechsel, sondern vermindert auch die Leistungs- und Belastungsfähigkeit des Spielers. Diese Punkte können dazu führen, dass der Spieler sich überlastet bzw. sonst adäquate Belastung nicht mehr verträgt. Viele Verletzungen können die Folge davon sein. Nicht umsonst spricht z.B. Fitnessguru Raymond Verheijen vom Fußballer als Formel-1-Wagen. Die Ernährung ist hierbei der Treibstoff, welcher zugeführt wird. Unpassender Treibstoff wird sich auf viele Aspekte des Formel-1-Wagens auswirken.
Beim Schlaf ist es ähnlich. Je weniger ein Spieler schläft, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich verletzt. Das hat viele Gründe. Oftmals sind es sogar neurologische Aspekte. Spieler antizipieren und reagieren langsamer und ungenauer, wodurch sie sich im Spiel unpassend verhalten. Das erhöht das Verletzungsrisiko sowohl indirekt (zu spätes Ausweichen von Zweikämpfen) als auch direkt (schlechte Koordination). Desweiteren ist der Körper ohne Schlaf schlichtweg erschöpft, die Muskeln und Bänder sind anfälliger für Überbelastung und Fehlreaktionen.
Der Formel-1-Wagen: Prävention durch korrektes Training
Neben der genetischen Disposition, der Ernährung und dem Schlaf ist auch die tägliche Trainingsarbeit mitentscheidend. Die falsche Wahl der Trainingsübungen kann zum Beispiel fatale Folgen haben. Die besten Beispiele sind isolierte Sprint- und/oder Dauerläufe, welche bis heute vielfach zum Training der Ausdauer verwendet werden.
So fanden Sport- und Trainingswissenschaftler in der NBA bei internen Analysen heraus, dass Verletzungen der Leiste und Adduktoren extrem hoch waren nach besonderen Trainingseinheiten zur Entwicklung der Schnelligkeitsausdauer. Die Verletzungsraten fielen drastisch ab, als im Training die Sprints nie länger als zehn Meter gemacht wurden. Die Golden State Warriors – aktueller NBA-Sieger – haben sich außerdem weitestgehend von den klassischen Übungseinheiten der Basketballer verabschiedet und trainieren – wie z.B. Mourinho, Schmidt oder Favre im Fußball – fast nur noch mit Spielformen. Die Folge? Fitness hoch, Verletzungen gering.
Im Fußball ist dies ebenso. Isolierte Ausdauereinheiten sind diese nicht nur bei der Ausbildung der fußballspezifischen Kondition ineffizient (und vernachlässigen viele andere Trainingsinhalte komplett), sondern können einer der größten Gründe für eine Häufung unterschiedlichster Verletzungen sein.
“I don’t believe in soft-tissue injuries. If you get a soft-tissue injury in football, a mistake has been made.” – Roberto Martinez
Ein Faktor ist das Training falscher Aspekte. Der Spieler kann dann zwar lange in einem Tempo laufen, aber verfügt nicht über die relevanten Fähigkeiten für ein Fußballspiel. Wenn er im Fußballspiel dazu gezwungen wird, geht er (zu) weit über seine Grenzen und die Verletzungsgefahr erhöht sich drastisch, weil der Spieler trotz einer guten Grundausdauer schlichtweg keine Fußballausdauer besitzt.
Für das biomechanische und das neuronale System bedeutet ein nicht-fußballspezifisches Training ebenfalls eine hohe Gefahr und erhöhte Verletzungswahrscheinlichkeit. Die Muskeln und Sehnen sind besonders in Teilaspekten überlastet und dadurch anfällig sich bei Belastung zu verletzen. Gleichzeitig sind sie schlichtweg auf die falsche Art und Weise trainiert. Das Training kreiert bestimmte Strukturen in den Muskeln und Sehnen, die letztlich bei einer anderen Art von Belastung fragil sind. Wenn diese Strukturen brechen, entstehen Verletzungen.
Auch das neuronale System ist hier enorm wichtig. Das propriozeptive System, die Struktur der Nerven und die Weiterleitung der Informationen sowie ihre Informationsverarbeitung im Gehirn funktionieren nicht adäquat, wodurch deswegen ebenfalls die Verletzungsgefahr enorm steigt, weil Gehirn und Körper nicht fähig sind die Reize konstant adäquat zu verarbeiten und darauf zu reagieren. Dies trifft auch auf den Gleichgewichtssinn und sogar das visuelle System zu, welche mit ihren Aufgaben den Fußballer bei Aktionen stabilisieren.
Weiters ist es für Fußballer enorm wichtig, dass sie nicht nur Kondition, sondern auch Regenerationsfähigkeiten haben. Wenn diese nicht intervallartig mithilfe von fußballspezifischen Übungen im richtigen Rhythmus trainiert werden, können die Spieler zwischen Aktionen nicht adäquat erholen und ermüden. Diese Ermüdung sorgt wiederum für akute Verletzungsanfälligkeit im Spiel.
„High-level players have less time to catch their breath between their actions. (…) This is what makes playing football on a higher level so tough. (…)This does not teach you to recover faster between actions. Endurance runs make players slower. (…) During endurance runs at one tempo, the fast muscle fibers become slower, resulting in players executing their actions in a less explosive manner.” – Raymond Verheijen
Die Wartung: (Individualisierte) Periodisierung und Rotation
Die Wahl der richtigen Trainingsformen alleine reicht im Trainingsbetrieb allerdings nicht aus, um Verletzungen weitestgehend zu vermeiden. Es ist auch wichtig, dass die Spieler im richtigen Ausmaß belastet werden. Wie lange dauern Spielformen? Wie intensiv sind sie? Wie genau werden sie aufgebaut? Ein 3-gegen-3 hat beispielsweise eine ganz andere körperliche Belastung als ein 6-gegen-6. Zu welchem Zeitpunkt in der Vorbereitung wird wie sehr belastet? Gibt es Spieler, auf die besonders Acht gegeben werden muss? Und wie beginne ich die Vorbereitung und wie trainiere ich über die Saison hinweg?
“It is a general problem in football, if you do too much too soon, in the first few weeks of pre-season, you develop shorter-term fitness. If you do the same amount of fitness work spread over six weeks, you develop longer-term fitness that will last for 10 months.” – Raymond Verheijen
Wie dieses Zitat zeigt, wird in der Vorbereitung oftmals falsch periodisiert. Die Spieler werden zu Beginn der Saisonvorbereitung (häufig sogar unspezifisch) überlastet, woraufhin sich wegen der Ermüdung die Verletzungen in den darauffolgenden Wochen und Monaten häufen können. Nicht umsonst steigt die Verletzungsgefahr pro Spieldauer, senkt sich aber nach der Halbzeitpause wieder kurz ab.
Außerdem ist diese Fitness nur kurzlebig. Verheijen setzt sich darum für eine graduelle Periodisierung ein, welche die Spieler langsam entwickelt und sie bei hoher Frische hält, damit Verletzungen vermieden werden.
Die richtige Periodisierung betrifft aber nicht nur gesamtmannschaftliche Punkte und die korrekten Trainingsformen. Ein Fokus sollte auch auf das Individuum in der Gruppe gelegt werden. Einzelne Spieler können schlichtweg über schnellere Muskelfasern verfügen, weswegen eine andere Art von Belastung für sie notwendig ist. Auch darum ist ein durchgehendes Monitoring der Spieler und seiner (körperlichen) Leistungsindikatoren extrem wichtig. Vielfach werden auch weniger fitte Spieler mehr und härter trainiert, anstatt weniger.
In seinem Buch „Football Periodisation“ schrieb Verheijen zum Beispiel darüber, dass Craig Bellamy immer wieder aus Übungen herausgeholt und seine Trainingszeit verkürzt wurde. Anstatt aber weniger fit zu sein, ergab sich das Gegenteil. Die Belastung war ausreichend, um Bellamy konditionell zu entwickeln, er hatte weniger Verletzungen (und somit Rückschläge) und war insgesamt leistungsbereiter.
„Because of the limited amount of oxygen, explosive muscle fibres reocver slower between actions. Football players with a lot of fast muscle fibres therefore struggle to maintain making many actions for ninety minutes.”
Physiologe Jesper Andersen erzählte in The Sports Gene sogar, dass Fußballer in der ersten dänischen Liga im Schnitt weniger schnelle Muskelfasern hätten als der durchschnittliche Däne. Die vermutete Ursache: Gleiches Training im Fußball für alle, wodurch sich die Fußballer mit schnellen Muskelfasern schon in der Jugend häufig verletzen und letztlich nicht Profi werden (können). Verheijens Studien fanden sogar heraus, dass sie im Wachstum nachhaltig gestört werden können.
Die Spieler müssen deswegen auch bei Übungen in der Gruppe auch immer individuell betrachtet werden. Dies bezieht sich auf die körperlichen, mentalen, technisch-taktischen und sogar die neurologischen Komponenten. Der Leistungsstand jedes Spielers muss beachtet werden, um ihn ideal ausbilden zu können. Dabei muss auch das Spiel beachtet werden. Teilweise wurde in Spielen die bis zu 9fache Verletzungswahrscheinlichkeit im Vergleich zum Training beobachtet.
Ermüdete oder schlichtweg nicht fitte Spieler würden also oftmals gut daran tun, wenn sie zwar am Mannschaftstraining (auch längere Zeit) teilnehmen, ohne bei den Spielen (von Beginn an) aufzulaufen. Verheijen sprach z.B. davon, dass Spieler nach Verletzungen möglichst lange aufgebaut und danach schrittweise an die Spielbelastung herangeführt werden sollen.
Ein mögliches Schema wäre das Einsetzen von 15 Minuten in einem Spiel, 30 Minuten im nächsten, einer Spielpause, dann 45 und 60 Minuten sowie eine langsame Erhöhung in Richtung der neunzig Minuten. Verheijen empfiehlt übrigens nur ein Spiel pro Woche, dabei erst zwanzig Minuten, dann eine Halbzeit, 65 Minuten und schließlich neunzig.
Ähnliches sollte übrigens nicht nur in der Reha mit einer eigenen Periodisierung, sondern auch in der Jugend und sogar bei Neuverpflichtungen beachtet werden.
Das Umfeld: Analyse externer Aspekte und der Faktor Glück
Ein letzter Aspekt sind natürlich jene Gründe, welche Trainer oftmals als Entschuldigung für die vielen Verletzungen nehmen – auch wenn ihnen kaum die Verantwortung dafür gegeben wird. Meistens sind es die vielen Reisen, der Spielplan, die Nationalmannschaftseinsätze, die Doppelbelastung, der Gegner oder das Pech, welche als Gründe für die Verletzungen angegeben werden. Dies ist natürlich richtig.
Dennoch geht der schon mehrfach erwähnte Verheijen bspw. davon aus, dass 80% der Verletzungen schlichtweg durch besseres Training und passende Periodisierung vermieden werden können. Einzelne Reha-Programme zeigten auch, dass die Wiederverletzungswahrscheinlichkeit um 75% gesenkt werden konnte. Es gibt sogar regionale Differenzen bei Verletzungen. In Nordeuropa verletzten sich Spieler häufiger, in Südeuropa gibt es mehr Kreuzbandrisse (besonders ohne Gegnereinwirkung). Die meisten gehen davon aus, dass die Nordeuropäer ihre Spieler eher übertrainieren, während die Südeuropäer oftmals nicht fit genug für die Belastung sind. Die Existenz dieser Belastungsvarianz zeigt aber schon die tieferliegenden Ursachen.
Das richtige Training kann die Verletzungswahrscheinlichkeit also drastisch senken, vorrangig natürlich bei „soft tissue“-Verletzungen. Knochenbrüche sind in der Regel hierbei ausgeschlossen, können aber dennoch indirekt oder in Einzelfällen ebenfalls daran hängen.
Es ist aber schlicht auch die Aufgabe des Trainers um diese externen Aspekte herum zu planen. Die Berücksichtigung des Jetlags bei Planungen eines Trainingslagers, passende Ruhepausen für Nationalspieler, Rotation auf einzelnen Positionen und die Kaderplanung sind ebenfalls wichtige Aspekte, die berücksichtigt werden müssen.
Dennoch müssen bestimmte Aspekte natürlich zugestanden werden. Ein brutales Foul, eine schlichtweg extrem unangenehme Situation oder private Probleme eines Spielers können und sollen nicht dem Trainer angelastet werden. Auch ist klar, dass nicht alles realisierbar ist; im Fußball geht es schlicht um zu viel Geld (und Fußballer sind auch vielfach zu ehrgeizig), um in wichtigen Spielen müde Spieler pausieren zu lassen. Insofern wäre es schlichtweg den Spielern und Trainern gegenüber fair, wenn bestimmte Aspekte der Doppelbelastung von den verantwortlichen Institutionen gelockert werden.
Allerdings sollte klar sein, dass viele Spiele in kurzer Zeitdauer nicht nur die Verletzungswahrscheinlichkeit erhöhen, sondern auch die Leistung senken. Gelegentlich wäre eine Rotation von Schlüsselspielern vielleicht sogar hilfreich.
Fazit
„Verletzungspech“: Selten war ein Wort so korrekt und so falsch gleichzeitig. Nur in einem Fünftel der Fälle ist es wirklich Pech. In vier von fünf Fällen im aktuellen Leistungsfußball ist es eine andere Art von Pech: Nämlich das Unglück nicht adäquat trainiert und periodisiert worden zu sein. Dabei sind Verletzungen für jeden Fußballer ungemein gefährlich. Selbst nach nahezu perfektem Verlauf ist die Rückkehrrate zu vorheriger Leistungsfähigkeit meist nur bei knapp über 90%. Im Normalfall liegt dieser Wert deutlich geringer.
Dass sich vieles ändern muss, ist klar. Das beginnt bei den Verbänden, welche die Spieler überlasten und kann bei undisizplinierten, unvorsichtigen Spielern enden. Vielfach sind es aber die Trainer, welche für Verletzungen sorgen und so das Ausnutzen von Potenzial bei ihren Spielern vermeiden. Besonders sind es sogar Jugendspieler, die darunter leiden müssen. Trainer wie Mourinho, Favre und Schmidt gehen diesbezüglich mit leuchtendem Vorbild voran.
Andere wiederum nutzen ihre eigenen Verfehlungen sogar dafür sich selbst im Job zu halten. Jens Keller nannte zum Beispiel einst die vielen Verletzten als Grund, wieso die Mannschaft nicht die gewünschten Ergebnisse leisten konnte.
Nach seiner Entlassung sprachen einige Mutige davon, dass die Verletzungen nicht als Ausrede taugten. Richtiger wäre noch gewesen, wenn die Verletzungen als zusätzliches Argument gegen Keller gesprochen hätten. Keller forderte u.a. „Kevin-Prince Boateng müsse im nächsten Spiel auch verletzt spielen“, weil die Personallage damals so schlecht war. Interessanterweise sagte Keller zu Beginn der vergangenen Saison bei Schalke, er wüsste gar nicht, ob er ein Trainingsprogramm für so viele Spieler im Kader habe. Das angesprochene Zitat mit Boateng kam ungefähr eineinhalb Monate später.
Anstatt solchen Trainern Aufschub zu geben und die Gründe für die Verletzungen zu ignorieren, sollte man sich vielleicht über Folgendes klar werden:
„If you don’t score goals, you analyse why and think about what you should do in training; it’s the same with injuries. If you have a lot of muscle injuries, you need to look at why that’s happening. Presidents may not be aware of just how important the coach is in the injury situation at a club. Players are tracked for injuries, but it might be an idea to track coaches too. There is a proven correlation between injuries and success. If you want good injury prevention, my first piece of advice is to be aware that coaches are the most important people in terms of injuries. Coaches who say they have bad luck with injuries show that they don’t really have knowledge about these things. It’s not bad luck.“ – Dr. Jan Ekstrand