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Die personenzentrierte Gesprächsführung nach C. Rogers

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Im heutigen Fußball wird immer wieder über flache Hierarchien, einen partizipativen beziehungsweise transformationalen Führungsstil und Mündigkeit der Spieler geredet. Diese stellen jedoch oftmals nur die Konsequenz des zwischenmenschlichen Umgangs dar.

Methodische Probleme in der Definition

Bei der vereinfachten Definition komplexer Mannschaftskonstrukte werden häufig Buzzwörter wie die in der Einleitung erwähnten genutzt. Dabei wird aber vergessen, dass diese nur einen von außen gesehenen Teil des Mannschaftsgefüges wiedergeben, welcher innerhalb der Mannschaft dynamisch und variabel ist. Beispielsweise ist ein „Führungsspieler“ nicht in allen Situationen ein solcher, kuam ein Spieler ist bei jedem Thema „mündig“ und der Führungsstil des Trainers kann auch von Spieler zu Spieler variieren, insbesondere wenn dieser aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommt.

Dieses Problem ist auch in der psychologischen Wissenschaft bekannt. So vertritt zum Beispiel Hazel Markus diese Ansicht. Sie hat dafür ein psychologisches Konstrukt entwickelt, nämlich jenes der situativ wirksamen Selbst-Schema. Je nach Situation und der Eigenbewertung der Situation ist ein anderes Selbstkonzept aktiv. Dieses „working self concept“ ist also variabel und berücksichtigt die dynamische und interaktive Natur des menschlichen Verhaltens.

Dies ist eines vieler Indizien dafür, dass die letztlich vereinfachende Außendarstellung von Mannschaftsgefüge und Spielerpersönlichkeiten selten ausreichend ist. Wichtiger ist die Ursache für bestimmte Dynamiken; hier gibt es ein Konzept, welches in der psychologischen Beratung und Therapie sämtliche Themenbereiche und Stile durchzieht. Meistens befolgen die Toptrainer der Moderne dieses Konzept bereits intuitiv.

Die klientenzentrierte Gesprächsführung

Die sogenannte „klienten- oder personenzentrierte Gesprächsführung“ beschreibt in der Beratung und Therapie eine von Carl R. Rogers ab 1942 entwickelte Methode, um mit Patienten und Klienten umzugehen. Dabei wird anhand einfacher Richtlinien den Patienten und Klienten ein positives Gefühl gegeben, für Eigeninitiative bei der Lösungssuche und präziser Problemfindung geholfen.

So ist für den Beratungserfolg letztlich auch nicht entscheidend, welche Interventionen und Maßnahmen genutzt werden, sondern die Art der Beziehungsgestaltung. Dieser Effekt ist auch wissenschaftlich erwiesen [1]; unabhängig der Therapiemethode gibt es einen signifikanten positiven Effekt, wenn Rogers Gesprächsführungskonzept verfolgt wird.

Die zugrundeliegende humanistische Persönlichkeitstheorie Rogers‘ ist für die erfolgreiche Anwendung und die positiven Effekte im Grunde nebensächlich. Grundsätzlich basiert diese Theorie aber auf der Annahme, dass dem Mensch eine Aktualisierungstendenz innewohnt. Der Mensch besitzt ein Entwicklungsprinzip, welches den Menschen zur Ausnutzung seines Potenzials antreibt; später wird daraus die „Selbstaktualisierungstendenz“. Vereinfach könnte man sagen, dass aus Differenzen zwischen dem Erlebten (Aktualisierung) und dem Bewerteten (Selbstaktualisierung) sorgt Inkongruenz entsteht, welche dann psychische Probleme auslösen kann. Wissenschaftlich erwiesen konnte aber nur eine sehr ähnliche Theorie, nämlich jene der kognitiven Dissonanz.

Für den Fußballtrainer – und bis heute jeden Berater, Therapeuten oder sonst in sozialen Berufen arbeitenden Personen – stellen aber ohnehin lediglich die Grundpfeiler von Rogers‘ Konzept wichtige Anhaltspunkte im zwischenmenschlichen Umgang dar. Jeder Berater oder Therapeut möchte seinen Klienten positiv verändern; ebenso ist dies das Ziel eines Fußballtrainers.

Rogers‘ drei Grundaspekte

Um diese positive Veränderung beziehungsweise generell eine positive Beziehung zu besitzen, gibt es drei grundlegende Eigenschaften, welche der Therapeut bzw. Berater zeigen soll.

Empathisches Verstehen:

Die Bedeutung nach Rogers persönlich ist „den inneren Bezugsrahmen des anderen möglichst exakt wahrzunehmen, mit all seinen emotionalen Komponenten und Bedeutungen, gerade so, als ob man die andere Person wäre, jedoch ohne jemals die Als-Ob-Position aufzugeben“. Der Berater soll sich also in den Klienten hineinversetzen und seine Perspektive übernehmen versuchen.

Das grundlegende Ziel davon ist die angstfreie Aussprache von Gefühlen, Gedanken und Ideen seitens des Klienten. Er soll sich akzeptiert fühlen und durch diese Akzeptanz seine Gefühlswelt dem Gegenüber möglichst offen, ehrlich und frei schildern können. Die Schilderung ermöglicht bereits einen ersten positiven Therapieschritt. Desweiteren führt sie zu weiteren positiven Konsequenzen: Durch die Äußerung der Gefühlswelt wird ihnen eine negative Komponente bereits genommen, man kann sich auch effektiv distanzieren, die Gedanken können besser und direkter analysiert werden, zusätzlich kann der Berater eingreifen.

Bestimmte Gefühle kann er dann konkretisieren, das Verhalten und die Sprache des Patienten spiegeln, um ihm ein positives Gefühl sowie durch die Nutzung von Synonymen (aber nicht nur verbale Spiegelung möglich) einen leicht veränderten Einblick geben, aus welchem wiederum bestimmte Differenzen und eine genauere Beschreibung der Gefühle entnommen werden können. Die Nutzung vieler Adjektive, eines fragenden Sprechstils zur Anregung des Weitersprechens und –ausführens sowie das Aufgreifen des Repräsentationssystems des Klienten sind weitere praktische Aspekte der Umsetzung.

Unbedingte Wertschätzung:

Dies bedeutet „eine Person zu schätzen, ungeachtet der verschiedenen Bewertungen, die man selbst ihren verschiedenen Verhaltensweisen gegenüber hat“. Letztendlich bedeutet dies eine Akzeptanz des Gegenübers ohne Rücksicht auf sein Verhalten, auf seine Herkunft, seine Charaktereigenschaften oder ähnliches; also nicht nur eine vorurteilsfreie, sondern eine komplett urteilsfreie Haltung. Dies wird ebenso nicht nur verbal „umgesetzt“. Stattdessen ist auch der Inhalt und Tonfall der Sprache, die Mimik, Gestik und Körperhaltung wichtig.

Durch diese Akzeptanz wird das Grundbedürfnis nach Anerkennung und Selbstdarstellungsmöglichkeit eines jeden Menschen ermöglicht, was den Klienten wiederum zu einer kompletten Offenheit gegenüber dem Berater führen soll. Es hilft bei der Prävention von konformen und von der Gesellschaft erwünschten Aussagen, welche nicht der wahren Gefühlslage des Klienten entsprechen, stärkt die Selbstachtung und erzeugt somit erst die Möglichkeit zu einer richtigen Selbstbewertung. Das Wichtigste ist aber der Abbau von Angst- und Verteidigungsverhalten gegenüber dem Berater.

Kongruenz:

Die Kongruenz wird häufig als die fundamentale Eigenschaft von Rogers‘ Konzept bezeichnet. Sie bedeutet, dass „die Beraterin sich dessen, was sie erlebt oder empfindet, deutlich gewahr wird, dass ihr diese Empfindungen verfügbar sind und sie dieses Erleben in den Kontakt mit dem Klient einbringt, wenn es angemessen ist“. Das zeigt den ganzheitlichen Ansatz dieses Konzepts; nicht nur das Gefühlsleben des Klienten wird berücksichtigt, sondern auch die eigene. Ein nicht-kongruenter Berater kann nicht authentisch sein, wenn er sich eigene Probleme nicht eingesteht und diese (möglichst konstruktiv) in sein Berufsleben einbaut.

Kongruenz ist somit nicht statisch, sondern  ein aktives Bemühen um Wahrnehmung, Klärung und Offenheit gegenüber eigenen Gefühlen beim Therapeuten selbst. Hinzu kommt natürlich auch die Vorbildwirkung des Therapeuten, der natürlich nicht frei von Mängeln sein kann, aber mit einem offenen und ehrlichen Umgang mit diesen Schwächen den Klienten ein positives Beispiel ist.

Wie soll die Anwendung im Fußball aussehen?

Natürlich stellt sich hier die Frage, was dieses Grundkonzept aus der psychologischen Praxis für eine Bedeutung für den Fußball haben sollte. Neben dem Fakt, dass es eigentlich schlichtweg eine wundervolle Richtlinie für einen positiven Umgang miteinander darstellt, hilft es auch in der täglichen Coachingpraxis.

Durch das empathische Verstehen beispielsweise kann in Diskussionen über Taktik, Training oder auch schlichtweg die Leistung des Spielers die Meinung des Akteurs besser erfragt werden. Hält sich der Trainer immer wieder zu einer Perspektivenübernahme an, kann er auch zu besseren Erkenntnissen seines eigenen Coachings gelangen, welche Aspekte dem Spieler bislang noch unverständlich blieben oder missverständlich angekommen sind, erhält implizit Feedback durch die Spieler und kann selbst ein präziseres und für das Individuum passenderes geben.

Um dies zu erfüllen, ist die unbedingte Wertschätzung möglich. Sie bewahrt den Trainer auch von zu frühen Entscheidungen, was zum Beispiel bei einem Vereinswechsel oder bei Neuzugängen mit unterschiedlicher Vorgeschichte schnell der Fall sein kann. Auch bestimmte Spielertypen, die auf den ersten Blick nicht komplett ins System passen, können durch diese urteilsfreie Anschauung in einem anderen Licht betrachtet werden. Im persönlichen Gespräch werden die Spieler außerdem auch früher und offener zugeben, wenn sie mit einer bestimmten Maßnahme oder auch mit ihrer Position auf dem Feld oder gar generellen Rolle in der Mannschaft nicht zufrieden sind; Probleme innerhalb der Mannschaft sollten also früher und genauer erkannt sowie aus der Welt geschafft werden.

Die Kongruenz bezieht sich letztlich auf die Authentizität des Trainers. Der Trainer muss sich über seine eigene Gefühlswelt im Klaren sein, insbesondere bei etwas so Komplexem wie beim Coaching einer größeren Gruppe und dem zeitgleichen Verfolgen eigener Spielprinzipien. Ist er hier nicht im Reinen mit sich selbst, wird er daran scheitern und auch die Spieler nicht von seiner Idee oder der Art der Umsetzung überzeugen können. Oder um es mit Guardiola zu halten:

„Wir werden mit meinen Ideen spielen. Sonst kann ich nicht hier trainieren – wenn ich etwas sagen müsste, was ich nicht fühle. Es ist unmöglich, wenn ich den Spielern etwas sage, was ich nicht fühle. Sie sind intelligent.“

Fazit

Die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Rogers hat sich durchgesetzt, auch wenn sich sein humanistisch-philosophisches Bild nicht gänzlich halten konnte. In der modernen Psychologie werden in fast allen Settings (exkl. Schockinterventionen) diese Grundkonzepte des zwischenmenschlichen Umgangs durchgehend genutzt. Im Coaching hat dies ebenfalls Einzug gehalten. Der Schleifer ist vom Kumpeltyp abgelöst worden, die Spieler haben ihren Umgang mit dem Trainer, aber auch Medien und Mitspielern, verändert. Eine weitere Bewusstwerdung der dazugehörigen Aspekte durch die Nutzung der wissenschaftlichen Definition der klientenzentrierten Gesprächsführung sollte hier noch weitere Vorteile im Umgang mit der Mannschaft bringen.

 

[1]

Counselling is the recommended treatment for individuals with mild to moderate mental health problems of recent onset. In this evaluation of a primary care counselling service offering person-centred counselling, the Core Outcome Measure (CORE-OM) was administered at referral and at the beginning and end of therapy. A pre-post therapy effect size for 697 individuals over a 5 year period was 1.2. This compares with a waitlist (between referral and pre therapy) effect size of 0.24 for 382 individuals over a three year period. The results indicate that person-centred counselling is effective for clients with common mental health problems, such as anxiety and depression. Effectiveness is not limited to individuals with mild to moderate symptoms of recent onset, but extends to people with moderate to severe symptoms of longer duration.

Gibbard, I. & Hanley, T. (2008): A five-year evaluation of the effectiveness of person-centred counselling in routine clinical practice in primary care. Counselling and Psychotherapy Research, 8(4). p. 215-222.

[2]

In fact, these results are uniformly good news for Person-Centred/Experiential practitioners: Clients use our therapies to make large changes in themselves; these changes are maintained over time and are much larger than our clients would have experienced without therapy. Furthermore, our clients show as much change as clients seen in other therapies, including CBT, but only if bonafide Person-Centred, Process-Experiential and Other Experiential therapies were involved. 


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