Endlich wieder Bundesliga. Wir werfen aber nicht nur einen Blick drauf wie man RBL taktisch beikommen könnte, sondern blicken auch nach England, auf Kinderfußball, auf Götze, Vestergaard, auf das 3-4-2-1 und den Busquets-Typus.
Im Mailbag beantworten wir Leserfragen. Wer selber welche hat, sendet diese mit Betreff „Mailbag“ an MR[at]spielverlagerung.de oder twittert sie mit dem Hashtag #SVMailbag.
Fangen wir direkt mit der perfekten Rückrunden-Frage an:
„Taktische Mittel gegen Raba Leipzig wenn man keinen Thiago hat?“
Und es ist eine sehr schwierige. Ich denke, Schalke hat angedeutet, dass eine Dreierkette mit Flügelläufern für das 4-2-2-2-Pressing tendentiell schwerer zu kontrollieren ist. Dennoch bleibt es wichtig, dass man an irgendeiner Stelle in den Pressingblock reinkommt und dann auch wieder raus. Wenn man nur versucht, außen rum zu spielen, wird man irgendwann zerdrückt. Weigl war ja vergangene Saison ein Killer für dieses System gegen Leverkusen. Solche Nadelspieler, die das können, haben ja tatsächlich nicht wenige Bundesligisten. (Name-dropping-time: Meyer, Bentaleb, Kampl, Dahoud, Raffael, Kramer, Malli, Didavi, Rupp, Latza, Grifo, Fabian, Gnabry, Koo, Moravek, Bittencourt, Holtby, Darida) Die muss man dann aber im richtigen Moment einbinden und braucht auch Spieler, die den Ball dann zuverlässig in enge Räume passen können – die sind aber auch nicht mehr selten.
Ansonsten könnte man sich schlichtweg auf eine Gegenpressing-Schlacht einlassen und viele lange Bälle spiele, sich auch darauf fokussieren, Leipzig den Ball zu überlassen, was ja letztlich auch ein wichtiger Teil von Bayerns Sieg war. Ein 4-3-3-0 (oder auch ein 3-3-4/3-5-2) könnte ich mir gut vorstellen, um den überladenen Bereich vor der Abwehr mit drei Sechsern zu versperren und dann schnell über drei, vier Angreifer gegen die Innenverteidiger zu kontern.
Ansonsten könnte Raumstrukturdiagonalisierung ein entscheidendes Tool sein, die kann ich aber in dem Rahmen hier nicht erklären. Ha, ich blödes Teaser-Arschloch.
„Ist die Premier League diese Saison auf einem guten Weg langsam mal im modernen Fußball anzukommen?“
Sieht ganz so aus. Das kündigt sich ja schon seit geraumer Zeit an mit Pocchetino und Co., aber nun scheint es endgültig so weit zu sein. Auch wenn sich die Beobachter dagegen wehren und so tun, als ob der althergebrachte Quatsch tatsächlich schon immer voll gut gewesen wäre, sobald ein Klopp oder Guardiola mal ein Spiel durch zweite Bälle verliert. Mal sehen, was für Trainer und Spieler in den kommenden Jahren so geholt werden. Wie Swansea demonstriert kann man solche Entwicklungen ja auch schnell wieder einreißen und noch gibt es keine breite Basis von Trainern, die zuverlässig und erfahren in der Vermittlung von gutem Fußball sind. Außerdem neigen die Geldschleudern in den mittleren bis unteren Tabellenregionen ja stark dazu, ihre Mittel sehr merkwürdig einzusetzen und völlig unbalancierte, wirre Kader zu basteln.
„Wie bewertest du Mario Götzes Hinrunde und wie könnte er in der Rückrunde (noch) besser eingebunden werden?“
War okay. Ich finde, ihm ist nicht viel vorzuwerfen, er hat sich defensiv sehr gut entwickelt und hat mit Ball stabil abgeliefert. Allerdings konnte er seine Fähigkeiten mit Ball noch nicht besonders oft und effektiv einbringen, weil er selten in Tornähe und in engen Szenen eingebunden wurde. Das Mittelfeldzentrum wurde von Dortmund teilweise sehr vertikal überspielt, was ihm nicht entgegenkommt, und es gab wenig Überladungen und Positionswechsel für Kombinationen. Zudem spielte er ja häufig einfach auf tiefen Positionen.
Das System aus den letzten beiden Spielen war da schon eine massive Verbesserung mit der Überladung halbrechts und Dembele als freiem Spieler, der oft auch den Kontakt zu Götze suchte. Ich denke, die Synergie zwischen Götze und Pulisic – und eben auch Dembele – muss ein zentraler Bestandteil im Dortmunder Spiel werden. Götze und Pulisic ergänzen sich hervorragend mit ihrer schnellen, erfolgsstabilen Lösungsfindung in engen Szenen in Strafraumnähe. Dafür muss Götze aber natürlich etwas näher an den Strafraum.
„Wäre Zelalem, Dahoud, Kovacic, etc. das fehlende Puzzleteil zum Titel für BVB?“
So ein strategischer, passspielernder Achter wäre schon Gold Wert. Zum einen ist es die perfekte Ergänzung zu Weigl, zum anderen löst man damit eben Götze, Kagawa und Castro für höhere Positionen und kann die durchschlagskräftigen Leute vorne häufiger einbinden. Besser als Bayern wird man damit nicht automatisch, aber man hätte dann wohl das Zeug zu einer Weltklasse-Mannschaft.
„Wieso wird 3-4-2-1 immer mehr als Formation gewählt?“
Weil 3-4-2-1 beste Leben! Tatsächlich im Grunde meine Lieblingsformation, hab das auch schon Mal bisschen begründet. Einfach eine sehr schöne Grundstruktur, die den Raum mit sehr vielen Verbindungen abdeckt und dennoch freie Bewegungen ermöglicht, die leicht balanciert werden können. Daher wird das System ja auch ganz unterschiedlich gespielt, mal mehr als 3-2-4-1 wie beim BVB, mal mehr 3-4-3 wie bei Chelsea.
„Wird die Dreierkette (bzw verschiedene taktische Formationen die diese enthalten) demnächst die Viererkette als häufigste Defensivformation ablösen?“
Kann ich mir gut vorstellen. Dreierkettensysteme erleichtern zum einen ein kontrolliertes, gut abgesichertes Ballbesitzspiel, was ja immer mehr angestrebt wird. Umgekehrt erleichtern sie aber auch das Verteidigen gegen ebensolche Systeme, sodass sich das vermutlich gegenseitig hochschaukeln wird.
Ich bin aber schon mal im Voraus der Meinung, dass das nur eine Zwischenstufe ist und sich in der Folge – gerade bei den Topteams – auch wieder vermehrt Viererketten finden, um einen zusätzlichen Pressingspieler in die erste Linie oder das Mittelfeldzentrum zu bekommen und/oder den Aufbau in einer Zweierkette zu gestalten. Denn die Dreierkette ist im Aufbau wohl die „komplettere“ und sauberere Variante, aber dafür benötigt man eben einen zusätzlichen Spieler in tiefen Zonen. Eine Viererkette mit hohen Außenverteidigern lässt ja quasi ein 2-4-3-1 oder auch mal ein 2-1-4-3, 2-4-2-2 oder ähnliches entstehen, womit man eben immer noch einen zusätzlichen Spieler in den Offensivräumen hat. (Ohnehin müsste man wohl eigentlich häufiger vom Aufbau aus einer Zweierkette reden bzw. „einer Zweierkette, die gegen den Ball zur Viererkette wird“, allerdings schieben die Außenverteidiger in einer Viererkette halt oft weniger konsequent vor, da die Absicherung für die Innenverteidiger deutlich schwieriger ist.)
„Wer sollte ab nächster Saison Xabi Alonso ersetzen?“
Kimmich.
„Wenn Barca mal Busquets-Ersatz/Nachfolger braucht, wen könnte man holen? Oder hilft nur Systemumstellung?“
Kimmich.
Ernsthaft: Ich denke, ein Sechser mit der Komplettheit und der taktischen Dominanz von Busquets ist für eine Spitzenmannschaft kaum verzichtbar. Die Einbindung kann aber ein bisschen variieren und damit auch das genaue Fähigkeitsprofil an; man schaue sich beispielsweise Baier oder eben Kimmich an, Kroos bei der Nationalmannschaft, Lahm oder Schweinsteiger 2014. Das wird immer bisschen unterschiedlich gespielt, aber hat die gleiche Grundaufgabe oder besser vielleicht den gleichen Grundeffekt: Stabilisierung der Mannschaft in allen Phasen durch Ballverteilung, durch Strukturierung, Verbindung und zentrale Absicherung in den Staffelungen, durch die Kontrolle des Sechserraums im Pressing, durch schnelle Orientierung und korrekte Entscheidungen in Umschaltsituationen.
Dieser Busquets-Typus ist übrigens gar nicht mal so selten. Solche Jungs gibt’s im Nachwuchsfußball massenweise, aber meist sind die eher langsam, unauffällig und werden nicht besonders gefördert.
Bezüglich eines Nachfolgers sollte Barca wohl mal abwarten, was in den nächsten fünf Jahren so nach oben kommt. Mindestens so lange wird Busquets ja vermutlich noch auf Topniveau spielen können.
„Ist Jannik Vestergaard ein vollkommen überschätzter Spieler, der seine Ablösesumme vor allem für einen Verein wie Gladbach nicht wert ist?“
Darf ich einfach „Nein“ sagen? Vestergaard ist einer dieser Fälle, bei denen ich mich regelmäßig wundere, was die Leute ständig an ihm auszusetzen haben. Kann technisch zuweilen spektakuläre Dinge, ist körperlich herausragend und im Abwehrverhalten und strategisch zwar nicht top, aber wenn ich ihn sehe eigentlich immer gut. Sein Goalimpact sieht auch gut aus, zumal er bisher nicht bei sehr starken Mannschaften spielte:
Sollten auch Kleinkinder durch Spiele die Technik lernen oder erst die „richtige“ Technik isoliert lernen und dann im Spiel anwenden? [Das wirklich interessante Buch „Fußball durch Fußball“ lässt da für mich leider ein bisschen was offen. Grade im Bezug zu Dribbling & Finten: Sollte man bspw Übersteiger speziell zeigen und erst ohne Gegner üben und dann erst im 1gg1 trainieren/anwenden lassen? Oder Kinder nur so in Spiele mit vielen 1gg1 bringen, ohne Finten vorher speziell zu zeigen/üben?]
Kinder lernen unheimlich schnell und komplex. Gerade das motorische Lernen von Kindern lässt sich nicht mit dem von Erwachsenen vergleichen und als Erwachsener schätzt man das vermutlich deshalb gerne mal falsch ein. Kinder müssen vor allem die Grundlagen lernen in puncto Rhythmisierungsfähigkeit, Koordination, etc. Das passiert unter Spielbedingungen ganz hervorragend. Deshalb sind ja die „Straßenfußballer“ auch immer die mit der besseren Technik und der besseren Koordination.
Im Fußball von „richtiger Technik“ zu reden ist ohnehin fragwürdig. Anders als beispielsweise im Turnen gibt es ja keine Bewertung davon. Technik ist die Umsetzung einer Entscheidung. Schaut man sich beispielsweise Dembele an, so sind fast alle seine Aktionen sehr unsauber. Das Timing und die Wahl der Aktionen sind aber so gut, dass das schlichtweg keine Rolle spielt; es hilft ihm sogar eher, weil er damit unberechenbarer wird und weniger Kontrolle zu haben scheint als er tatsächlich hat, was die Gegner zu falschen Abwehraktionen provoziert.
In „Fußball durch Fußball“ werden ja auch die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Sichtweise erklärt. Selbst in weniger kreativen Bereichen wie der Leichtathletik ist ja nachgewiesen, dass das differentielle Lernen mehr bringt als das mechanische Einschleifen. Das „Beibringen“ von Technik ist für den Trainer immer angenehm, weil er selber die Kontrolle über den Lernprozess hat und die Lernfortschritte gut überprüfen kann. Das ignoriert aber die Individualität jedes Spielers und schränkt den Lernprozess eben auf genau den Inhalt ein, den man gerade vermittelt. Eine Spielform trainiert einen Spieler so komplex, dass man schwer nachprüfen kann, was er am Ende davon lernt. Er kann aber äußerst viele Sachen lernen und wird das vor allem im jungen Alter auch tun.
Insofern denke ich, dass Kinder schlichtweg in vielen engen Spielformen trainieren sollten, die schnelle, präzise Lösungen erfordern, und darin immer wieder dazu ermutigt werden sollten, neue Dinge zu probieren und die Angst vor dem Ball und dem Gegner zu verlieren.